Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Es ist schon ein sehr besonderer und bemerkenswerter Vorgang, wenn ein aktiver und bekannter, kommunistischer Gewerkschafter und RSU-Delegierter (die italienische Mischung aus Vertrauensmann und Betriebsrat) in einem Mailänder Metallbetrieb ohne nähere Begründung ins Fadenkreuz einer sog. Anti-Terror“-Razzia gerät und ihm seine Gewerkschaft (die sonst eher als links bekannte FIOM-CGIL), genau wie bei allen anderen betroffenen CGIL-Gewerkschaftern, sofort die Mitgliedschaft suspendiert, ihm den gewerkschaftlichen Rechtsschutz entzieht und ihn als RSU-Delegierten schasst, während ihm andererseits die Tageszeitung der Agnelli-Familie (immerhin die Haupteigner des FIAT-Konzerns!) in Form eines Interviews Raum gewährt, um seine Position darzustellen und Polizei wie Justiz scharf anzugreifen.

 

Mit der traditionellen linksliberalen, selbstbewussten und unaufgeregten Haltung der wichtigsten Kapitalistenfamilie Italiens und ihrer Zeitung „La Stampa ist das nur teilweise zu erklären. Was die FIOM und die CGIL anbelangt, bleibt es ein Skandal, der zeigt, wie tief die Gefolgschaftstreue gegenüber dem bürgerlichen Staat und seinen Repressionsorganen auch bei den Vertretern des linken Flügels des etablierten Gewerkschaftsspektrums verwurzelt ist. Und das obwohl das gesamte Konstrukt der angeblichen Gründung einer „politisch-militärischen Kommunistischen Partei (PC-mp)“ bzw. – wie sensationslüstern verbreitet wurde – „neuer Roter Brigaden“ auf äußerst tönernen Füßen steht. Denn dieser angeblich seit 2001 existierende PC-mp hat bislang keine einzige Aktion durchgeführt und in 6 Jahren nicht ein Flugblatt oder eine Erklärung herausgegeben.

 

Wohingegen das skrupellose Vorgehen der von Rechtsradikalen durchsetzten Anti-Terror-Polizei DIGOS berühmt und berüchtigt ist. So schlugen DIGOS-Beamte beispielsweise bei einer Durchsuchung des Mailänder Centro Sociale Leoncavallo vor einigen Jahren nicht nur den Computerraum kurz und klein, sondern urinierten anschließend auch auf die Überreste der Computeranlage und hinterließen große Hakenkreuze an den Wänden. Um nicht mit leeren Händen zu gehen, wurden mehrere Flaschen Grappa als „mögliche Molotow-Cocktails“ beschlagnahmt.

 

Das Wissen um diese Hintergründe war wahrscheinlich einer der Gründe dafür, den jetzigen Betroffenen Massimiliano Murgo in „La Stampa vom 17.2.2007 einmal selbst zu Wort kommen zu lassen:

 

Interview mit dem FIOM-Delegierten Massimiliano Murgo, gegen den ermittelt wird:

 

„Diese Ermittlungen dienen dazu die sozialen Bewegungen zum Schweigen zu bringen“

 

SUSANNA MARZOLLA

 

Die „Genossin“ Boccassini <Anm.1> soll mir sagen, warum sie diese Anschuldigungen gegen mich erhebt: Waffenbesitz, Bewaffnete Bande, Attentate. – Wie? Wo? Wann? Ich habe immer Politik im Lichte der Sonne gemacht. Ich kann es nicht abwarten, vernommen zu werden, um zu erfahren, woher bestimmte Dinge kommen.“ Massimiliano Murgo (31 Jahre), Kranführer und Gabelstaplerfahrer bei Brollo (einem zum Marcegaglia-Konzern gehörenden Unternehmen) in der Viale Sarca, gegen den im Rahmen der Ermittlungen gegen die so genannten „neuen Roten Brigaden (BR)“ ermittelt wird, versteckt sich nicht. Ganz im Gegenteil! Seit die Presseagenturen seinen Namen als einen der involvierten Gewerkschafter verbreitet haben (er ist gewerkschaftlicher Delegierter für die FIOM, die ihn suspendiert hat), gibt er im Centro Sociale „La Fucina <Die Schmiede / Brutstätte> in Sesto San Giovanni <der ehemals als „italienisches Stalingrad“ berühmten Arbeitervorstadt Mailand> ein Interview nach dem anderen. Bevor wir reden, will er „eine politische Vorbemerkung“ machen.

 

Welche?

 

„Diese Ermittlungen werden instrumentalisiert, um alle soziale Bewegungen zu attackieren. Sie schmeißen die Arbeiter, die Delegierten, die – wie ich – die Regierung und die zu nachgiebigen Entscheidungen der großen Gewerkschaftsbünde kritisieren, in denselben Topf. Sie benutzen die Ermittlungen, um uns einen Maulkorb zu verpassen.“

 

Waffen haben sie allerdings gefunden…

 

„Bei mir haben sie gar nichts gefunden. Sie haben meiner Mitbewohnerin einen Schrecken eingejagt als sie im Morgengrauen bewaffnet und vermummt bei mir aufgetaucht sind. Aber am Ende haben sie außer dem Computer nur Zeitungen, CD’s und Papiere mitgenommen, in denen nichts Illegales steht. Alles Sachen, die ich aus dem Internet herunter geladen oder mir bei öffentlichen Aktionen mitgenommen habe.“

 

Sie suchten den im Untergrund erscheinenden Bulletin L’Aurora

 

„Wer hat den jemals zu Gesicht bekommen? Ich habe, zusammen mit anderen RSU-Delegierten diese Zeitung (Assemblea <Versammlung>, Untertitel: „Die Stimme derjenigen, die keine Stimme haben“) ins Leben gerufen, in der alle Autoren mit Vor- und Zunamen genannt werden und die unter den Arbeitern von Sesto San Giovanni öffentlich verteilt wird.“

 

Kennen Sie irgendjemand von den Festgenommenen?

 

„Ich bin seit 15 Jahren mit Massimiliano Gaeta befreundet. Der stammt aus Foggia, genau wie ich. Wir sind Altersgenossen. Wir trafen uns und haben über Politik diskutiert, genau wie mit Dutzenden anderen Leuten.“

 

Keine Nachsichtigkeit gegenüber Klandestinität und bewaffnetem Kampf?

 

„Absolut nicht. Ich habe immer die Kämpfe vorangebracht und dabei mein Gesicht gezeigt – in der Fabrik und außerhalb. Wenn es wirklich irgendjemanden gab, der dabei war, sich militärisch zu organisieren, dann denke ich, dass es sich nur um nützliche Idioten handelt. Die gehören nicht zur Arbeiterbewegung.“

 

Hatten sie Probleme im Betrieb?

 

„Mit meinen Kollegen überhaupt nicht. Ich habe es ihnen sofort erzählt und sie haben sich solidarisiert. Die FIOM dagegen hat meine Mitgliedschaft suspendiert und mir den gewerkschaftlichen Schutz entzogen. Sie hindert mich faktisch daran die Kämpfe weiter voranzubringen, indem sie mich dem Unternehmen schutzlos ausliefert.“

 

Und was werden Sie jetzt machen?

 

„Ich fahre nach Vicenza <zur Großdemonstration gegen den Ausbau der US-Militärbasis am 17.2.2007>, wenn sie mich nicht vorher verhaften.“

 

Und warum sollten sie Sie verhaften?

 

„Weil es von einigen Zeitungen und politischen Kräften eine Hetzkampagne gibt: Wie kann ein ‚gefährlicher Terrorist’ in Freiheit bleiben?“

 

 

 

Anmerkung:

Mit der ironischen Bezeichnung „Genossin Boccassini ist die ermittelnde Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini (57) gemeint, die aufgrund ihrer rot gefärbten Haare und ihren Ursprüngen im PCI-Milieu den Spitznamen „die rote Ilda trägt. Die Boccassini ermittelte lange gegen die Mafia. In den Jahren 1992-95 zählte sie zu den Ankläger(inne)n im Parteien-Schmiergeldskandal Tangentopoli und sorgte mit den Mani Pulite genannten Ermittlungen und Verurteilungen für eine schwere Krise des italienischen Parteiensystems, im Zuge dessen sich die korrupte Democrazia Cristiana (DC) und Bettino Craxis PSI auflösten bzw. zerfielen und insbesondere durch Berlusconis Konzernpartei Forza Italia ersetzt wurden. Gegen Silvio Berlusconi und seinen Vertrauten Cesare Previti ermittelte Boccassini in den letzten Jahren mit wechselndem Erfolg.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

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