Antifa-AG
der Uni Hannover:
Wenn es um die Attentate auf Politiker,
Journalisten u.a. geht, die seit der Ermordung des
ehemaligen Ministerpräsidenten, Multimillionärs und „libanesischen
Berlusconi“ Rafiq al-Hariri
am 14.Februar 2005 in Beirut (zusammen mit 22 anderen Menschen) im Libanon
stattfanden, wird als Haupt- wenn nicht gar als alleiniger Verdächtiger Syrien
genannt. In der entsprechenden Richtung konzentrieren sich auch die Recherchen
der sog. UNO-Ermittler. Die Aktivitäten des südlichen Nachbarstaates Israel,
der bekanntermaßen „kein Kind von Traurigkeit“ ist und seit langem
massiv Einfluss auf die libanesische Politik nimmt, wurden dabei in der
Vergangenheit geflissentlich übersehen. Nach dem Auffliegen eines israelischen
Agentennetzes, das offenkundig für diverse gezielte politische Morde
verantwortlich ist, dürfte das von nun an etwas schwerer fallen, wie die linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“
am 17.6.2006 berichtet:
Wenn der Mossad im Land der Zedern zuschlägt
Verstrickung der israelischen
Geheimdienste in einige erstklassige Morde im Libanon aufgedeckt.
STEFANO CHIARINI – aus Sidon
Ein grauer Mercedes, der nur
noch aus einem Haufen Blech besteht, zieht im Hauptquartier der militärischen
Geheimdienste in der Peripherie von Sidon die Blicke auf sich. Das ist alles,
was von der Autobombe übrig blieb, die am 26.Mai 2006 den militärischen Chef
des Islamischen Jihad im Libanon, Mahmoud
Majzoub, und seinen Bruder Nidal
(auch er ein Aktivist der Organisation) tötete. Das vor ihrer Wohnung geparkte
Auto explodierte genau in dem Augenblick als die beiden militanten
Palästinenser aus dem Haus kamen, um zur Arbeit zu gehen. Eine nicht zu starke
und nicht zu schwache Sprengladung – praktisch perfekt. Die Tötung der beiden
Brüder hat die Bewohner von Sidon, die der palästinensischen Sache immer nahe
standen und dafür einen sehr hohen Preis bezahlten (2.000 Opfer bei den <israelischen> Bombardements von 1982) zutiefst erschüttert und die
Straßen der Stadt erlebten in diesen Tagen so beeindruckende gemeinsame
Protestdemonstrationen wie seit den 70er Jahren nicht mehr. Tausende und
Abertausende Libanesen und palästinensische Flüchtlinge des nahe gelegenen
Lagers Ein el Helwe (90.000 Einwohner) folgten dem
Aufruf auf die Straße zu gehen, der von den arabisch-nationalistischen und nasseristischen (sunnitischen) Bewegungen, die in der Stadt
traditionell die Vorherrschaft innehaben, von den schiitischen Bewegungen
Hisbollah und Amal sowie den verschiedenen
palästinensischen Gruppen lanciert wurde und sogar Solidarität von der Freien
Patriotischen Bewegung des ehemaligen christlich-maronitischen
Generals Michel Aoun erfuhr. Das ist praktisch die
neue Achse des konfessionsübergreifenden Lagers, das sich (zusammen mit dem
pro-syrischen maronitischen Exponenten Suleiman Franjieh und dem sunnitischen Vertreter Tripolis’, Omar Karame) einem neuen Kolonialmandat Frankreichs und der USA
über den Libanon, der Entwaffnung des libanesischen und palästinensischen
Widerstandes und einem Abbruch der Beziehungen zu Damaskus widersetzt. Das
heißt dem Programm, dass von der Mehrheit der Regierung der nationalen Einheit
verfolgt wird, zu der Ministerpräsident Foud Siniora, die sunnitische Hariri Inc., die <rechtradikalen> falangistischen Kräfte von Samir Geagea,
der Protagonist des Massakers von Sabra und Chatila <Anm.1>, sowie der
Drusenführer Walid Jumblatt gehören.
Dieses Mal scheint die
Forderung der Einwohner von Sidon nach Gerechtigkeit jedoch zum Teil erfüllt
worden zu sein. Die libanesischen Sicherheitskräfte deckten zum ersten Mal ein
ausgeklügeltes Netzwerk auf, das für die israelischen Geheimdienste Dutzende
von Anschlägen verübt haben soll. Der Kopf der Gruppe sei ein libanesischer
Staatsbürger aus Hasbaya, einer drusischen Ortschaft
in der ehemals von Israel besetzten Zone, ein ehemaliger Beamter der
libanesischen Sicherheitskräfte, Ex-Offizier der israel-freundlichen
Milizen des Generals Lahad im Südlibanon sowie der
Neffe / Enkel eines <führenden> Vertreters der Progressiven Sozialistischen Partei
Walid Jumblatts.
Mahmoud Rafeh, so der Name des
Verdächtigen Nr.1, habe gestanden, für vier Attentate verantwortlich zu sein,
bei denen, außer Mahmoud und Nidal
Majzoub, die Hisbollah-Funktionäre Ali Hassan Dieb
(am 16.8.1999 in Abra) und Ali Saleh (am 2.7.2003 in
Süd-Beirut) sowie der Palästinenser Jihad Jibril <die Nr.2 der linken palästinensischen Organisation PFLP-GC> getötet wurden. Die Operationsbasis sei eine Mahmoud Rafeh gehörende Villa im
südlibanesischen Zentrum von Hasbaya gewesen, in
deren Garage die Ermittler hoch entwickelte Abhör- und
Kommunikationsgerätschaften mit dem dazugehörenden Chiffriercodes,
Computerdateien über die beiden getöteten Vertreter des Jihad,
falsche Ausweispapiere und Militäruniformen fanden. Zu den Mitgliedern der
aufgeflogenen Gruppe, gegen die jetzt ermittelt wird, soll auch ein militanter
Palästinenser aus dem Flüchtlingslager Ain el Helwe
(Hussein Kattab) gehören, der bereits festgenommen
worden war, weil er verdächtigt wurde, an der Ermordung von Jihad
Jibril beteiligt gewesen zu sein, dann aber – nach
der Intervention einiger sunnitisch-islamistischer
Scheichs – wieder freigelassen wurde.
Mahmoud Rafeh sei bereits 1994 auf
Vorschlag des später nach Israel geflüchteten Verantwortlichen für die
Geheimdienste der pro-israelischen Miliz im Südlibanon, Alameddine
Badaoui, vom Mossad
rekrutiert worden. Die Aufdeckung der Gruppe von Agenten, die für die
israelischen Dienste arbeiteten, hat tief greifende politische Auswirkungen auf
die libanesische Szenerie. Die schiitische Partei Hisbollah und die übrigen
gegen die US-freundliche Achse gerichteten Oppositionsbewegungen erinnerten in
ihren Kommentaren zu diesem Vorfall daran, dass Israel nach wie vor eine
Bedrohung für den Libanon darstellt und somit die Notwendigkeit bestehe, den
Widerstand nicht zu entwaffnen und die Geheimdienste Tel Avivs nicht „von der Liste der Verdächtigen der Morde
und Attentate, die im Libanon stattgefunden haben, zu streichen“. Ein
deutlicher Bezug auch auf die Möglichkeit einer israelischen Verstrickung in
das Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq
Hariri, der am Valentinstag 2005 getötet wurde.
Anmerkung1:
Unter den
Augen der in den Libanon einmarschierten und von Kriegsminister Ariel Sharon
befehligten israelischen Truppen verübten am 16. und 17.September 1982 in den palästinensischen
Flüchtlingslagern Sabra und Chatila etwa 150 falangistische Milizionäre unter dem
Kommando von Elie Hobeika ein
blutiges Massaker an den dort lebenden Palästinensern (fast komplett
Zivilisten). Israelische Stellen gehen von rund 800 Toten aus, nach anderen
Schätzungen wurden ca. 2.000 Menschen buchstäblich abgeschlachtet. Die PLO
sprach von 3.300 Ermordeten. Selbst die israelische Kahan-Kommission
wies Sharon eine politische Mitverantwortung für das Massaker zu. Der
Rechtsradikale Hobeika wurde für das unter seiner
Leitung begangene Massaker nie strafrechtlich belangt, sondern fungierte nach
Ende des Libanesischen
Bürgerkrieges acht Jahre lang als Minister in der libanesischen
Regierung. Anfang 2002 wurde er durch eine Autobombe getötet.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und
Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover