Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasvorkommen zwecks Neuaushandlung der Verträge mit den ausländischen Ölkonzernen und einer kräftigen Erhöhung der Einnahmen des Andenstaates, eine teilweise Landreform, Schimpfkanonaden gegen die Bush-Administration, außenpolitische Bündnisse und Handelsabkommen mit Kuba und Venezuela etc. – der neu gewählte linke indigene Staatspräsident Boliviens, Evo Morales von der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) ist in aller Munde. Das nahm die linke italienische Tageszeitung „il manifesto vom 13.5.2006 zum Anlass, historische Parallelen zu ziehen (siehe Anmerkung am Schluss!) und dazu den linken argentinischen Autor und Regisseur César Brie zu befragen, der nach langem Exil in Westeuropa nun in Bolivien lebt und politisch aktiv ist.

 

Interview mit César Brie, der zwischen Lateinamerika und Europa ein Leben im Exil verbrachte.

 

Evo und Marcelo

27 Jahre später

 

ADRIANA POLLICE

 

Mit 18 Jahren aus dem Argentinien der Generäle geflohen, hat der Autor und Regisseur César Brie – nach einer langen Zeit in Europa (genauer gesagt in Holland und Italien) – in Bolivien eine neue Heimat gefunden, wo er 1991 das Theater der Anden gründete. Künstlerischer Ausdruck und Sensibilität für die sozialen Dynamiken, politische Leidenschaft und die Suche führen ihn auf die Spuren von Marcelo Quiroga Santa Cruz. Das ihm gewidmete Theaterstück Otra vez, Marcelo tourt in diesen Tagen durch die italienischen Schauspielhäuser.

 

César Brie, der Andenstaat versucht es noch einmal. Nach der von Marcelo 1969 unterzeichneten Verstaatlichung der Kohlenwasserstoffvorkommen versucht der Kokabauern-Präsident <Evo Morales> erneut die Geschichte Boliviens zu ändern. Welche Unterschiede bestehen zwischen den beiden Gesetzen?

 

„Als Marcelo seine Regelung ausarbeitete, übten die multinationalen Konzerne bereits ihren Druck auf die Staaten aus, allerdings auf weniger eindringliche Weise als heute. So schrieb das Gesetz von 1969 die vollständige Verstaatlichung des Sektors vor. Die führenden Leute der Gulf Oil, die den Sektor allein kontrollierte und Bolivien ein ‚Trinkgeld’ in Höhe von 11% überließ, wurden in ein Flugzeug gesetzt und nach Hause geschickt. Heute wäre eine derartige Aktion undenkbar und Morales weiß das. Seine Norm sieht 82% für den Staat und 18% für die Multis vor, die darauf auch Steuern zahlen müssen. Außerdem haben sie 6 Monate Zeit, ihre Verträge neu auszuhandeln.“

 

Die Länder mit den größten Investitionen in diesem Sektor sind Spanien und Argentinien mit Repsol-YPF und Brasilien mit Petrobras sowie Frankreich mit Total. Haben die USA in Bolivien keine Interessen mehr?

 

„Die USA verfügen über Direktinvestitionen mit Exxon und Panamerican Energy. Außerdem kontrollieren sie andere südamerikanische Gesellschaften auf indirekte Weise. Und in der Tat haben sie sich nicht auf eine Zuschauerrolle beschränkt. Die Destabilisierungsstrategie ist bereits im Gange. Zuerst der Anschlag in einem Hotel in La Paz mit 300 kg Sprengstoff. Dann das Abkommen der USA über den Soja-Verkauf an Kolumbien, um Bolivien einen wichtigen Markt zu entziehen. Danach der Bau einer ansehnlichen Landebahn an der paraguayischen Grenze in der Nähe der wichtigsten bolivianischen Erdölfelder.“

 

Morales hat zwei weitere Prioritäten für seine Regierung genannt: eine Verfassungsreform, die die Rechte aller <ethnischen> Gemeinschaften anerkennt und den Kampf gegen den Großgrundbesitz. Folgt er auch darin Marcelos Politik?

 

„Zum Teil. Quiroga Santa Cruz war ein klassischer Marxist, für den der Kampf um die Volkssouveränität den Fortschritt Aller einschloss (die indigene Gemeinschaft inklusive). Er besaß ihr gegenüber jedoch eine große Achtung. Verwurzelt war seine Politik unter den Arbeitern. Er setzte sich allerdings unermüdlich für die Beseitigung des Großgrundbesitzes ein und tat in 5 Jahren mehr dafür als die anderen Politiker in 150 Jahren. Das war die zweite Sache, die sein Todesurteil besiegelte. Damals wurden sogar in italienischen Zeitungen Teile des Urwalds an diejenigen verkauft, die ihren persönlichen Teil des Dschungels erstehen wollten. Noch heute werden die Ländereien allerdings – so wie zu Zeiten des Zars in Russland – zusammen mit den <dort lebenden>’Seelen’ verkauft.“

 

Anmerkung:

Der sozialistische Bergbau- und Erdölminister Marcelo Quiroga Santa Cruz (1931 – 1980) sorgte 1969 für die vollständige Verstaatlichung der bis dahin vom US-Multi Gulf Oil kontrollierten Erdöl- und Erdgasvorkommen Boliviens. Quiroga starb am 17. Juli 1980 beim Überfall rechtsradikaler Militärs und Paramilitärs auf den Sitz des bolivianischen Gewerkschaftsdachverbandes COB. Diese Attacke fand im Rahmen des Militärputsches von General Luis García Meza statt, der gegenwärtig in Bolivien in Haft sitzt.

 

 

Vorbemerkung, Anmerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover