Antifa-AG
der Uni Hannover:
Prozionismus,
„Stahlhelm-Humanismus“, Islamophobie und ähnliche
neokoloniale Ideologien sind nicht nur in Deutschland auf dem Vormarsch. Auch
in Italien, wo der PCI und die radikale Linke traditionell antiimperialistisch
eingestellt waren, aber auch Craxis PSI und große Teile der Christdemokratie (Moro, De Mita, Andreotti)
jahrzehntelang Israel eher kritisch gegenüberstanden und – aus ökonomischen und
geostrategischen Gründen – eine mehr oder minder pro-arabische Politik
verfolgten, greifen diese Ideologien immer mehr um sich. Wovon die Linke
keineswegs verschont ist, wie sich während der heißen Phase des Libanonkrieges
im Juli / August 2006 auch in den Leserbriefspalten der von Rifondazione
Comunista (PRC) herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ zeigte. In der Ausgabe vom 12.8.2006
nahm Miriam Marino von den Ebrei contro l’occupazione (Juden
gegen die Besatzung = italienische Sektion der EJJP; siehe http://www.rete-eco.org/ bzw. www.ejjp.org) ein Prachtexemplar dieser
Anpassung an den neokolonialen Zeitgeist zum Anlass für eine notwendige
Entgegnung.
Leserbriefe:
Die Linke und Israel – Eine Demokratie kann keine grausame Besatzung
aufrechterhalten und eine Demokratie bleiben
Liebe Genossen,
Nachdem ich Sergio Franzeses Brief gelesen habe, verstehe ich, warum an einem
Fackelzug, bei dem an die Opfer des Krieges erinnert wird und vor allem auf
einer Solidaritätsdemonstration mit dem angegriffenen und besetzten Libanon und
dem in ein bombardiertes Lager verwandelten Gaza tausend Leute teilnehmen. Ich
möchte Franzese, der die israelische Demokratie
verteidigt, einige Dinge sagen, die er nicht berücksichtigt hat:
<Erstens:> Die israelische Demokratie ist eher fragwürdig als
gut. In erster Linie ist Israel ein theokratischer Staat. Daher existiert die
Demokratie nur für die jüdischen Bürger. Für die Nicht-Juden gilt sie nicht.
Nur ein Beispiel: Für die von einem Siedler während der Räumung Gazas getöteten
arabischen Israelis gab es keine Entschädigung auf der Grundlage des Gesetzes
über die Opfer des Terrorismus, weil der Siedler Jude war und somit kein Feind.
Ergo sind nur die Anderen die Terroristen. Siedler und Soldaten können machen,
was sie wollen.
Zweitens: Eine Demokratie kann nicht 60 Jahre lang eine
grausame Besatzung aufrechterhalten und <gleichzeitig>
eine Demokratie bleiben. Übergriffe und Repression in den besetzten Gebieten
hören niemals auf.
Drittens: Israel hält 10.000 Gefangene in Administrativhaft,
was nicht demokratisch ist. Und ebenso wenig demokratisch ist es Gesuchte ohne
Prozess umzubringen und in diesem Zusammenhang Zivilisten abzuschlachten.
Viertens: Israel hält seit ewigen Jahren alle UNO-Resolutionen
zum Narren und fordert nur eine, die ihr genehm ist.
Fünftens: Israel hat einen souveränen Staat angegriffen und
ist in ihn einmarschiert, hat Infrastrukturen zerstört und die Bevölkerung
massakriert und dasselbe tut es in Gaza, wobei es auch chemische und
biologische Massenvernichtungswaffen einsetzt, d.h. jene deretwegen dem Irak
der Krieg erklärt wurde.
Sechstens: Israel hat Abgeordnete, Bürgermeister und
verschiedene Administratoren einer demokratisch gewählten Regierung entführt.
Ich höre hier auf, obwohl es
noch mehr zu sagen gäbe.
Kommen wir zum zweiten
Punkt: der Hamas und der Hisbollah. Anstelle von Franzese
würde ich nicht von Verhetzung der Kinder durch diese Organisationen sprechen
und sie mit Israel vergleichen. Ich versichere Franzese,
dass die Aufhetzung der jüdischen Kinder mindestens gleich stark ist. Nur ein
Beispiel: die Aufschriften auf die für den Libanon bestimmten Granaten.
Hisbollah existierte vor der Libanon-Invasion der 70er Jahre und vor allem vor
derjenigen von 1982 nicht. Während die Hamas seinerzeit von Israel als Anti-PLO
gefördert wurde. Israels Kriegspolitik schafft keine Sicherheit. Weder für die
Anderen noch für es selbst.
Zur Hamas: Ihre Regierung
wurde genau in dem Moment angegriffen als sich in ihrem Innern eine positive
Debatte entwickelte, die diese Organisation zunehmend von den
fundamentalistischeren Position entfernte – etwas, das mit ihrer Einwilligung,
sich an den Wahlen zu beteiligen, begonnen hatte. Wahlen, die in Palästina wirklich
demokratisch waren und damit bewiesen, dass es im Mittleren Osten eine andere
Demokratie geben könnte, wenn dem palästinensischen Volk nicht die Bedingungen
eines ständigen inhumanen Widerstandes aufgezwungen würden. Die Hamas hatte
bereits akzeptiert den palästinensischen Staat auf 22 Prozent des
palästinensischen Bodens zu gründen. Ein großzügiges Angebot, dass Israel
besser in Betracht ziehen sollte, da sein Projekt darauf hinausläuft die
Gründung eines palästinensischen Staates unmöglich zu machen. Israel hält die
Schlüssel zum Frieden immer in der Hand. Das Problem ist nicht, ob die Hamas
Israel anerkennt, sondern ob Israel den Palästinensern das Recht zuerkennt,
einen eigenen Staat zu haben, was 40 Jahre nach dem Krieg von `67 noch immer
nicht geschehen ist.
Anfügen möchte ich, dass das
Gipfeltreffen der arabischen Staaten im Jahre 2002 Israel – im Austausch für
die besetzten Gebiete Gazas und Cisjordaniens, des Golans und der Shebaa-Höfe
im Libanon – einen vollständigen Frieden vorschlug. Israel hat sich nicht darum
gekümmert, weil es nur die Option des Krieges im Auge hat.
Unser Leserbriefschreiber,
der Israel nicht auf die Anklagebank setzen will, erreicht zwei Dinge: Zum
einen die Missachtung eines Volkes, das stärker als so nicht gepeinigt werden
könnte und zum anderen die Ermutigung einer Politik, die allen weh tut
(Israelis inbegriffen) und die – solange es sie gibt – jede mögliche Hoffnung
auf Frieden im Mittleren Osten verhindern wird. Die israelische und die
amerikanische Politik müssen hart kritisiert und nicht ermutigt werden und das
auch zum Wohle der Bürger Israels.
Letzter Punkt: Die israelischen Bürger, die den Dialog mit ihren
Nachbarn suchen, sind nicht „gezwungen sich zu verteidigen und damit Krieg
zu führen“. Diese Bürger haben sehr klare Vorstellungen davon, was man zum
Wohle Israels und der gesamten Region tun muss. Ihre Organisationen heißen Gush Shalom, Yesh
Gvul, Ta’yush, New Profile,
Frauenbündnis für den Frieden, Frauen in Schwarz, Anarchists
against the Wall und viele
andere Organisierte und Einzelpersonen. Ich lade Franzese
ein, sich über ihre Positionen zu informieren.
Miriam Marino
(Ebrei contro
l’occupazione)
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung
in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover