Ambivalenter neuer
Lohntarifvertrag der italienischen Metallarbeiter
Eine erste kurze
Zusammenfassung und Bewertung
Am 19.1.2006 wurde nach
langen, zähen Verhandlungen, mehreren landesweiten Streiks, zahllosen
organisierten wie spontanen betrieblichen Arbeitsniederlegungen, Straßen-,
Gleis-, Fähr- und Flughafenblockaden sowie diversen Massendemonstrationen ein
neuer Lohntarifvertrag der italienischen Metallarbeiter erreicht. Der alte
Tarifvertrag (mit 2 jähriger Laufzeit) war bereits am 31.12.2004 (!) abgelaufen
und die Kapitalisten wollten im neuen Tarifabkommen zum einen deutlich weniger
Lohn zugestehen als gefordert (65-70 Euro gegen 130 Euro in der wichtigsten
Lohngruppe), obwohl die Gewerkschaftsforderung von FIOM-CGIL, FIM-CISL und
UILM-UIL nur einen Inflationsausgleich für die letzten Jahre vorsah. Zum
anderen wollten sie unbedingt den Samstag als Regelarbeitstag durchsetzen und
bezüglich der Arbeitszeitfestlegung und Überstundenbezahlung die italienischen
"Betriebsräte" (RSU'en) entmachten, die dabei bislang informations-
und zustimmungspflichtig bzw. verhandlungsberechtigt waren. In Zusammenhang mit
der Regelung des sog. Lehrlingsstatus (einer kaschierten Form hoch prekärer und
unterbezahlter Arbeit mit sehr geringem Ausbildungsanteil) sollten
darüberhinaus weitere Prekarisierungsschritte erzwungen werden.
Nun gibt es in und außerhalb
Italiens zahlreiche Stimmen, die meinen, dass der mit soviel Einsatz und Opfern
erzielte Lohntarifvertrag dies alles durchkreuzt habe und (zumindest) wie ein
bedeutender Sieg der Arbeiter aussehe. Diese Ansicht vertritt die Spitze der
CGIL-Metallergewerkschaft FIOM ebenso wie die Führung von Rifondazione
Comunista und diverse Autoren in der von ihr herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“,
um von der italienischen Mitte-Links-Union ganz zu schweigen. Teuer genug
bezahlt wurde dieses Tarifabkommen immerhin, denn viele Arbeiterinnen und
Arbeiter kommen auf 70 Stunden Streik und das bedeutet, angesichts des Fehlens
von Streikkassen und Streikgeldern in Italien, 70 Stunden Verdienstausfall für
jede(n) von ihnen.
Lässt man den Blick etwas
weiter schweifen, wird jedoch schnell klar, dass die Meinungen über diesen
Abschluss zumindest sehr unterschiedlich sind, wie man z.B. auf der bekannten
Website www.pane-rose.it des linken
Flügels von Rifondazione Padua + Venetien feststellen kann. Teile des linken
CGIL-Flügels (z.B. Alternativa Operaia) halten ihn (aufgrund der gerade zum
Ende hin gezeigten Kampfkraft der Arbeiter/innen) für "eine verpasste
Gelegenheit", Boden gut zu machen und Schweinereien zu verhindern. Die
linken Basisgewerkschaften, wie der beispielsweise im Alfa Romeo-Werk von
Mailand-Arese sehr starke SLAI Cobas, sehen darin einen "Tarifvertrag
des Elends und der Flexibilität".
"Liberazione" vom 21.Januar 2006 berichtet, dass in der Versammlung
der RSU-Delegierten von FIOM, FIM, UILM der Vertragsentwurf von den 500
Versammelten bei 3 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen wurde. Dabei
spielt unseres Erachtens neben der weitgehenden Abwehr der übelsten
Unternehmerforderungen auch eine bedeutende Rolle, dass dieser Tarifvertrag von
den führenden Köpfen der CGIL-Linken (FIOM-Generalsekretär Gianni Rinaldini und
der Nr.2 der FIOM, Giorgio Cremaschi) federführend mit ausgehandelt wurde (die
ihn natürlich auch feiern). Man aber innerhalb der FIOM (die knapp 350.000 der
ca. 600.000 organisierten Metaller vertritt), angesichts der gegenwärtig
laufenden Wahlen und Abstimmungen für den im April stattfindenden CGIL-Kongress
die eigene Führung bzw. Führung des linken (d.h. im wesentlichen:
linkssozialdemokratischen) CGIL-Flügels nicht schwächen will.
Was die wichtigsten
Fakten anbelangt wurde für die Lohngruppe 5 (die wichtigste weil
verbreitetste) eine in drei Tranchen gestaffelte Lohnerhöhung von 100
Euro durchgesetzt. Jetzt gibt es 60 Euro, im Oktober 2006 weitere 25 und im
März 2007 noch einmal 15 Euro Lohnerhöhung, was bei Berücksichtigung der Staffelung
allerdings selbstverständlich weniger ist. Noch geringer fällt allerdings die
Erhöhung für die unteren Lohngruppen aus. Von unten nach oben sind es für die Lohngruppe
2: 73,13 Euro, Lohngruppe 3: 86,25 Euro und Lohngruppe 4:
91,25 Euro. Die besser Besoldeten bekommen natürlich auch diesmal mehr (damit
die Motivation der Meister und Vorarbeiter nicht leidet!). Lohngruppe 6:
118,75 Euro und Lohngruppe 7: 131,25 Euro. Für den tariflosen Zeitraum
von knapp 13 Monaten gibt es zwei Einmalzahlungen von jeweils 160 Euro: Eine im
Februar und eine weitere im Juli 2006.
Die – bislang
"heilige" – Laufzeit des Lohntarifvertrages wurde, wie von den
Industriellen der Federmeccanica gewünscht, ausgedehnt. Diesmal auf 2 1/2
Jahre, aber bei den nächsten Gelegenheiten möglicherweise noch länger.
Der Lehrlings-
(besser: Laufburschen-) Status bleibt hochprekär. Die "Lehrzeit"
schwankt je nach Lohngruppe und Schulabschluss, wurde aber für besagte
Lohngruppe 5 auf nicht weniger als 5 Jahre festgelegt - bei einer vereinbarten
realen Ausbildungszeit von 160 Stunden im ersten "Lehrjahr",
140 im zweiten und 120 Stunden im dritten. Das bedeutet bei einem 8-Stunden-Tag
gerademal 20 Tage Ausbildung im ersten "Lehrjahr", 17,5 Tage
im zweiten und pralle 15 Tage im dritten etc. Den Rest der Zeit müssen die "Auszubildenden"
die volle Arbeit der normalen Beschäftigten leisten.
Was die Flexibilität
der Arbeitszeit angeht, so darf diese nun zwischen 32 und 48 Stunden
schwanken und zwar nicht nur – wie bisher – saisonbedingt, sondern auch bei
einzelnen Marktspitzen. Die Einheitlichen Gewerkschaftlichen Vertretungen im
Betrieb (RSU'en) sind allerdings weiter zustimmungspflichtig und die
geleisteten (und mit 10% Lohnzuschlag vergüteten) Überstunden müssen innerhalb
der nächsten 5 Monate wieder ausgeglichen werden.
Ansonsten ist noch von
zentraler Bedeutung, dass im alten Tarifvertrag der Anteil der prekären Stellen
(Leiharbeiter etc.) auf 8% der Gesamtbelegschaft festgelegt wurde, auch wenn
die Gewerkschaften oftmals selbst in sehr gut organisierten Betrieben wie dem
Lamborghini-Werk im "roten" Bologna eine Überschreitung dieses
Wertes geduldet haben. Durch das die Prekarisierung massiv
vorantreibende, berühmt-berüchtigte Gesetz Nr. 30 / 2003 wurden diese
Begrenzungen gekippt, wobei die linkeren Teile der Gewerkschaftsbewegung (an
vorderster Front die FIOM!), laut zahllosen verbalradikalen Ankündigungen, mit
tariflichen Regelungen kontern und den Bestimmungen des Gesetzes Nr.30 so in
der Praxis einen Riegel vorschieben wollten. Der neue
"Lohntarifvertrag" der italienischen Metaller sieht nun die
Einsetzung einer Kommission aus Kapital- und Gewerkschaftsvertretern vor, die
bis Ende Juli 2006 eine neue Regelung für den Metallsektor finden muss,
ansonsten wird die "Experimentierphase" mit der neuen noch
flexibleren Arbeitszeitregelung automatisch beendet und der alte Zustand wieder
hergestellt. So zumindest die Theorie! Angesichts der knüppelharten Haltung der
Federmeccanica (dem Gegenstück zur deutschen Gesamtmetall) darf man auf das
Ergebnis gespannt sein.
In einer ersten
Zusammenfassung kann man also sagen, dass noch eine Menge Zündstoff
erhalten bleibt und dass "bedeutende Siege der Arbeiter" –
zumindest für uns – doch etwas anders aussehen!
Demnächst gibt es an dieser
Stelle von uns die wichtigsten Kommentare, Berichte und Interviews zum
italienischen Metallabschluss
Gewerkschaftsforum Hannover
+ Antifa-AG der Uni
Hannover