Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Die große politische und gewerkschaftliche Macht von einst haben auch die italienischen Metallarbeiter nicht mehr. Selbst dann nicht, wenn sie, wie seit gut einem Jahr, die von den rechteren Branchengewerkschaften der Zentralen CISL und UIL (FIM + UILM) betriebene Spaltung überwinden können und wieder vereint vorgehen. Während der Streik der italienischen Metaller und ihre landesweite Demo in Rom 1977 noch zum Sturz der damaligen DC-PSI-PSDI-PRI-PLI-Regierung unter Giulio Andreotti führte, waren anno 2005 diverse Streiks und Protestaktionen bisher nicht in der Lage gegen die Beton-Haltung des Industriellenverbandes Federmeccanica wenigstens einen annehmbaren neuen Tarifvertrag zu erkämpfen. Der alte ist nämlich seit fast 12 Monaten abgelaufen. Auch der gut befolgte 8stündige Generalstreik der Metaller (real ca. 50%, offiziell „über 80%“) und ihre zentrale Demo in Rom mit real (!) 10.000 – 12.000 (offiziell „100.000 – 150.000“) Teilnehmern am 2.Dezember 2005 (über den wir nebenstehend informieren) hat daran zunächst nichts geändert). Einblicke, warum das so ist und wie die Stimmung unter den Aktiven aussieht, vermittelt der folgende Bericht von der in Vorbereitung des Streiks durchgeführten Konferenz der RSU-Delegierten (also der italienischen Metall-„Betriebsräte“) aus der unabhängigen linken Tageszeitung „il manifesto vom 12.11.2005.

 

„Das wird eine Piazza voller Metallarbeiter“

 

Die FIM-, FIOM- und UILM-Delegierten: Demonstration am 2.Dezember und Tarifvertrag bis zum Jahresende.

 

MANUELA CARTOSIO – Mailand

 

„Heute seid Ihr hier 5.000. Am 2.Dezember in Rom müsst Ihr pro Kopf 20 <weitere> mitbringen.“ Das ist die „Aufgabe“, die der Sekretär der <zweitgrößten und christdemokratischen Branchengewerkschaft> FIM, Giorgio Caprioli, den im Palalido in Mailand versammelten Metallarbeitern stellt. Das numerische Ziel lautet 100.000 Blue Collars für die Erneuerung des Tarifvertrages demonstrieren zu lassen. Die Wahl des 2.Dezember lässt den Ohren klingeln: Das ist der Tag, an dem 1977 die „Invasion“ der Metallarbeiter stattfand, die von <dem bekannten bürgerlichen Karikaturisten> Forattini in dem berühmten Bild von <KP-Chef> Enrico Berlinguer in Morgenrock und Pantoffeln verewigt wurde, der Tee schlürft, während die Arbeiterklasse unter seinem Fenster entlang marschiert. Der Streik am 2.Dezember „wird nicht der letzte Schulterstoß sein“, denken die Sekretäre der Branchengewerkschaften, Rinaldini <FIOM-CGIL>, Capioli <FIM-CISL> und Regazzi <UIL-UILM> bereits weiter. Und doch erinnert Caprioli, „hat es nach einer landesweiten Demonstration in Rom immer einen Tarifvertrag gegeben“. Was das gestern den Delegierten „übermittelte“ politische Ziel verdeutlicht: Den Tarifvertrag bis zum Jahresende abzuschließen. „Wir müssen es tun, wir können es tun und – vor allem – wir werden es vereint tun“, schließt Caprioli, nachdem er die drei dafür notwendigen „Zutaten“ genannt hat: „Hoffnung, Verantwortung<sbewusstsein> und Zähigkeit“. Da die Proklamation des Streiks absehbar und die Demonstration in Rom bereits sicher war, sind die knappen Zeiträume die wahre Neuigkeit der Versammlung. Vor Beginn der Veranstaltung haben wir auf den Rängen des Palalido unter den Delegierten nicht einen gefunden, der davon überzeugt war, dass es bis Weihnachten zu einem Abschluss kommt. „Es ist noch zuviel Arroganz vorhanden. Der Streik am 2.Dezember wird nicht ausreichen, um die Federmeccanica in die Knie zu zwingen.“ Die drei nationalen Sekretäre haben, auch wenn sie bekräftigen, dass die Kämpfe intensiviert werden müssen, die Begrenzungslinien eines möglichen Abkommens abgesteckt. Es herrscht der Eindruck, dass sie etwas in der Hand haben, dass die Federmeccanica hinter der harten Fassade bereit ist, in punkto Lohn etwas mehr herauszurücken und die Forderungen in Sachen Flexibilität zu mäßigen.

 

„Wenn irgendjemand meint, dass er den Tarifvertrag mit einer Lohnerhöhung zwischen 70 und 80 Euro (alles inklusive) abschließen kann, wird er den Kopf verlieren“, gebraucht FIOM-Sekretär Gianni Rinaldini deutliche Worte. Das stillschweigend darin Enthaltene ist, dass man über eine Zahl oberhalb von 90 Euro (die Tarifforderung beläuft sich auf 105 Euro, zu der 25 Euro für diejenigen hinzukommen, bei denen es keine <ergänzende> betriebliche Tarifebene gibt) anfangen kann zu reden. Allerdings ohne „Tauschgeschäfte“ zwischen Lohn und Flexibilität bzw. Prekarität, bekräftigt Rinaldini. Das Nein zu „Tauschgeschäften“ kehrt in den Reden der Delegierten wieder. „Ein Fluch, eine bodenlose Gemeinheit“, sagt Elega Tega von Siemens Mailand. Graziano Martinelli, Delegierter der ehemaligen Lucchini-Fabrik in Piombino demontiert das Gerüst der „Kompatibilitäten“ der Unternehmerseite mit einem trockenen: „Für uns Arbeiter besteht die Kompatibilität zwischen Lohn und Leben.“

 

Die mediale Nachrichtensperre, die auf dem Arbeitskampf der Metallarbeiter lastet, ist die andere, von der Versammlung wiederholt angeschlagene Taste. „Nie zuvor war die Information, was uns anbelangt, so karg“ beklagt der UILM-Sekretär Tonino Regazzi. Rinaldini fordert eine Live-Berichterstattung über die Demonstration am 2.Dezember im Fernsehen. „Die Freiheit muss für alle herrschen, nicht nur für <Adriano> Celentano, behauptet Caprioli.

 

Der FIOM-Sekretär <Rinaldini> geht noch einen Schritt weiter. Zur Gleichgültigkeit der Medien fügt er diejenige der Politik hinzu. Mittlerweile befänden wir uns im Wahlkampf und die Metallarbeiter „würden gern vor dem 2.Dezember wissen, wie die Parteien, die sie wählen, über ihren Tarifvertrag denken“. Und ich beziehe mich da nicht auf Berlusconi stellt er klar. Ein Aufruf an die Parteien der Linken, die einige Stunden später Lebenszeichen von sich geben, allerdings wieder einmal <nur> mit Erklärungen der für diesen Bereich Zuständigen. Namens der Linksdemokraten (DS) bekräftigt Cesare Damiano <ehemals ein führender Vertreter des rechten Minderheitsflügels der FIOM> die „volle Unterstützung für den Streik und die Demonstration der Metallarbeiter“. Paolo Ferrero <Mitglied des 7köpfigen Sekretariats von Rifondazione Comunista – PRC> kündigt an, dass Rifondazione „am 2.Dezember, an der Seite der Metallarbeiter auf der Straße sein wird“. Der DS’ler <und ehemalige hohe CGIL-Funktionär> Alfiero Grandi fordert „die gesamte <Mitte-Links> Union“ auf, sich spürbar mit dem Kampf der Metallarbeiter zu solidarisieren.

 

Kehren wir zum Palalido zurück, um Episoden und Eindrücke zu vermitteln, die vielleicht erklären, warum FIM, FIOM und UILM die Angelegenheit beschleunigen wollen. Die SIRTI-Arbeiter bilden einen Pulk um einen Brief, in dem das Unternehmen mitteilt, in Vorwegnahme des Tarifabschlusses, eine Lohnerhöhung um 75 Euro vorgenommen zu haben. Nicht für alle – damit das klar ist – sondern nach eigenem Ermessen, um die Front zu zerbrechen. Es scheint, dass die Nutznießer des Vorschusses „Zwei von Zehn“ <Arbeitern> in der Abteilung sind, die im Augenblick am meisten brummt, nämlich diejenige, die für den Hochgeschwindigkeitszug TAV arbeitet. „Wir werden darauf antworten, indem wir auch den Streik greifbar machen“, sagt einer aus der Gruppe. Das ist selbstverständlich eine gute Sache. Aber der „Schachzug“ des Unternehmens hat Einfluss, auch wenn sich ein bei <der relativ großen linkskommunistischen Gruppe> Lotta Comunista (Kommunistischer Kampf) organisierter Beschäftigter des SIRTI-Betriebes in Genua mit Lenin tröstet: „Der Kapitalismus kann den einzelnen Arbeiter korrumpieren, aber er kann die Massen nicht befriedigen.“

 

Wir schnappen ein Gespräch zwischen zwei Metallern aus Ferrara auf: „Wir müssen böser sein. Schluss mit den kleinen, 4stündigen Streiks ein bisschen hier, ein bisschen da. Die Bereitschaft zu kämpfen ist unter den Arbeitern vorhanden“, sagt ein Delegierter der CT-Pack. „Ich sehe diese Streikbereitschaft ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ich beobachte eine Zögerlichkeit“, behauptet der Delegierte von Vortex. „Bei uns drängt das Unternehmen dazu, einen Vorvertrag abzuschließen und Vielen missfällt diese Idee durchaus nicht.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover