Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der folgende Artikel erschien in der linkssozialistischen italienischen
Tageszeitung “il manifesto” vom 24.11.2001:
Die Revolte von Marseille
Die seit 10 Tagen im Ausstand befindlichen Hafenarbeiter
verschärfen den Kampf und blockieren den Hafen. “Das ist ein Aufstand
!” Die Hafenverwaltung ruft die Polizei, die in Anti-Aufruhr-Manier auftritt.
Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen Arbeitszeit, Löhne und Privatisierungen.
Anna Maria Merlo - Paris
Stunden starker Spannung am Hafen von Marseille, wo sich die Hafenarbeiter
seit 10 Tagen im Streik befinden und die Polizei gestern rund um den Bereich
Stellung bezogen hat, bereit einzugreifen. Der Hafen ist seit Donnerstag
vollständig blockiert. Alle Zugänge sind von den Streikposten geschlossen
worden - ausgenommen derjenige für das Einschiffen auf die Passagierschiffe.
Die Verwaltung des autonomen Hafens hat sich an Polizei gewendet und spricht
von “Aufstandsbewegung”. Sie beschuldigt die Hafenarbeiter ein Kommando von
ca. 30 Personen organisiert zu haben, das in der Nacht von Donnerstag auf
Freitag auf die Verladerampen vorgedrungen ist und dort Einbrüche verübt
hat. “Sie haben einige Kräne verschoben, um die Zugangstore zu blockieren,
dann haben sie in den dortigen Gebäuden alles zerschlagen, die Kameras
der Video-Überwachung zerstört und die Docker gezwungen die Entladung
eines Schiffes zu unterbrechen”, erklärte der Sprecher der Direktion.
Die größte Gewerkschaft, die CGT, hat sofort auf Aussagen geantwortet
und die Hafenverwaltung beschuldigt, die “Provokationen” zu vervielfachen.
Besonders stark sind die Hafenarbeiter durch die Tatsache gereizt worden,
daß die Gesellschaft, die den Passagierverkehr von Marseille nach Korsika
betreibt (die SNCM), die Schiffe zum Hafen von Toulon umgeleitet hat als
die Zugänge für die Passagiere nicht blockiert waren.
Die CGT räumt ein, daß es Schäden gegeben hat. Auch wenn
er behauptet, “keine Informationen über die Details (zu) haben”, insbesondere
über den Vandalismus gegen die Video-Überwachung, beschuldigt der
Gewerkschaftsbund bestimmte Gruppen von LKW-Fahrern “außer Kontrolle”
zu sein und mit Gewalt interveniert zu haben, um die Blockade der Eingänge
aufzuheben und die Streikposten zu überwinden. “Wir sind zum Obst-Terminal
gegangen”, erklärt ein CGT-Gewerkschafter “und dort haben wir versucht
die von Gruppen von LKW-Fahrern verursachten Schäden zu reparieren.
Wir haben die Tore repariert. Es sind nicht die Lastwagenfahrer im Allgemeinen
gewesen, die die Verwüstungen verübt haben, sondern nur einige
Gruppen, die außer Kontrolle sind.”
Bis zum Donnerstag blockierten die Streikposten nur die Erdöl-Terminals.
Aber in den letzten beiden Tagen ist die Bewegung härter geworden und
alle Brücken des Warenverkehrs wurden geschlossen. Die Verhandlungen
befinden sich an einem toten Punkt und auch dem vom Verkehrsministerium ernannten
Vermittler ist es nicht gelungen, den Dialog zwischen Direktion und Hafenarbeitern
wieder anzuknüpfen. Die Diskussionen drehen sich um die Anwendung des
Gesetzes über die 35 Stunden-Woche. Die CGT verlangt die Einstellung
von 30 Personen und 12 Tage Urlaub mehr. Die Direktion schlägt 9 Neueinstellungen
und 3 oder 4 Tage Urlaub mehr vor.
Aber jenseits der 35 Stunden-Woche ist die Hauptfrage die Furcht vor der
Privatisierung. Laut der CGT “hat die Direktion beschlossen, einige Anlagen
Elf Atofina zur Verfügung zu stellen, um die Verarbeitung der Produkte
sicherzustellen”. Ein im Bau befindlicher Zweig des Hafens (der K1) sei dem
Erdölkonzern zur Verfügung gestellt und die Hafenarbeiter und ihre
Organisation dabei ausgeschlossen worden. Die Blockade des Hafens von Marseille
wird spürbare Konsequenzen haben. Die Raffinerien laufen Gefahr bereits
ab Sonntag auf dem Trockenen zu sitzen. Die frischen Produkte könnten
schnell in den LKW’s verfaulen. Andererseits ist das Volumen der Waren, die
hier umgeschlagen werden, enorm. Marseille ist der größte Hafen
Frankreichs und der drittgrößte in Europa. Im Jahr 2000 hat er
einen Umsatz von 974,6 Millionen Franc <rund 292 Millionen DM bzw. 2,05
Mrd Schilling.> für den Verkehr von 95,7 Millionen Tonnen Gütern
gemacht, davon 61,7 Millionen Tonnen Kohlenwasserstoffe.
Übersetzung, Anmerkungen in eckigen Klammern und Nachbemerkung:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
Nachbemerkung:
Leider fand sich - wie so oft - weder in “il manifesto” noch in irgendeiner
anderen Publikation eine Information über den weiteren Verlauf / Ausgang
dieses Kampfes. Falls dennoch jemand etwas darüber weiß, wären
wir für einen entsprechenden Hinweis dankbar.