Antifa-AG der Uni
Hannover:
In einer
großen Rolle rückwärts, weit hinter 1968 zurück und wieder fest im Gedankengut
der Adenauer-Ära verankert, hat ein Großteil der deutschen „Linken“ und
„Linksradikalen“ Israel als unantastbarsten und verteidigenswertesten aller
bürgerlich-kapitalistischen Staaten entdeckt (dicht gefolgt von den USA, an
denen sich Kritik von wegen „Antiamerikanismus“ weitgehend verböte). Die
israelische Linke und insbesondere die revolutionäre Linke Israels wird von
diesen Kreisen so weit wie möglich ignoriert, um nicht zur Kenntnis nehmen zu
müssen, dass sich die israelischen Genossinnen und Genossen selbst ganz
überwiegend als Antizionisten verstehen. Mit solchen „Nestbeschmutzern“ und
„Vaterlandsverrätern“ wollen “Antideutsche“ und „Antinationale“ nichts zu tun
haben. Wo die Ignoranz allein nicht mehr ausreicht, wird das Verhalten rabiater. So fordern viele dieser anständigen Deutschen mittlerweile ganz offen
Auftrittsverbot für israelische Linke in der BRD. Einige erklären sie (z.B. den Schriftsteller und führenden Kopf von Gush Shalom, Uri Avnery) – in
altbekannter Manier – gar für nicht zurechnungsfähig.
Wir
ziehen es dagegen (bei allen Differenzen im Detail) vor, uns mit der radikalen
und revolutionären israelischen Linken anstatt mit Sharon, Peres und Mofaz zu
solidarisieren. Daher im Folgenden die Übersetzung einer von Yasha Marmerstein
für die Gruppe Maavak Sozialisti verfassten Einschätzung der Lage nach
den palästinensischen Präsidentschaftswahlen. Sie stammt vom 9.2.2005 und ist
auch wenn das Gipfeltreffen von Sharon und Abbas mittlerweile stattgefunden hat
und die Waffenruhe offiziell besteht (was die israelischen Besatzungstruppen
keineswegs von täglichen Razzien, Festnahmen und Knüppelorgien gegen
palästinensische wie israelische Friedensaktivisten oder dem massiven Ausbau
der Siedlungen im Westjordanland abhält), ist der Text nach wie vor
hochaktuell. Maavak Sozialisti ist eine trotzkistische Organisation, die
international dem Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) angehört und
nach der Organisation for Democratic Action (ODA), die die Zeitschrift
„Callenge“ herausgibt (deutschsprachige Artikel unter http://www.challenge-magazin.de/),
die zweitgrößte Gruppe der jüdischstämmigen revolutionären Linken in Israel.
Den Artikel entnahmen wir der Homepage von Maavak Sozialisti www.maavak.org.il/
Nach den Wahlen der
Palästinensischen Autonomiebehörde
Yasha Marmerstein
9.2.2005
Was steckt hinter den Bemühungen um
eine Waffenruhe ?
Der neu gewählte Führer der
Palästinensischen Autonomiebehörde (Palestine Authority), Mahmud Abbas,
steht – kaum dass die Wahlurnen geschlossen sind, vor seiner ersten
Herausforderung. Dies zeigt deutlich, dass Abbas den Versuch unternehmen muss,
mit starkem Druck aus verschiedenen Richtungen fertig zu werden: von der
israelischen Regierung und von bewaffneten palästinensischen Gruppen. Nach dem
Karni-Anschlag <Anm.1> erklärte Sharon, dass Abbas genauso „irrelevant“
sei, wie es Arafat war. Auch wenn diese Stellungnahme später zurückgezogen
wurde, zeigt sie die Vorbedingungen, die Israels herrschende Klasse Abbas für
ihre Unterstützung stellt. Sie verlangen, dass Abbas die bewaffneten
palästinensischen Gruppen vollständig “kontrolliert“.
Die israelische Regierung
will, dass Abbas die schmutzigsten Seiten „des Krieges gegen den Terror“
praktiziert. Das bedeutet offene Konfrontation mit bewaffneten Milizen und
polizeiliche Überwachung der Besetzten Gebiete, in der West Bank und im Gaza-Streifen.
Nach vier Jahre dauerndem
Versuch, die Intifada zu unterdrücken, ist Israels herrschende Klasse zu dem
Schluss gelangt, dass die alltägliche Arbeit der Aufrechterhaltung der
Besatzung für sie zu kostspielig geworden ist und das sowohl politisch wie
ökonomisch. Sie will nun den Versuch unternehmen, die Autonomiebehörde als neue
stabilisierende Macht wieder aufzubauen, die das für sie erledigen kann.
Die Frage, die sich beide –
Israels herrschende Klasse und auch Abbas selbst – stellen ist, ob er dies
schaffen kann, ohne eine Massenopposition gegen seine Herrschaft
heraufzubeschwören ?
Die Wahlen in Palästina
waren der erste von Israels herrschender Klasse und den wichtigsten
imperialistischen Mächten unternommene Schritt, den palästinensischen Massen
Abbas’ Amtsgewalt aufzudrücken. Die Wahlbeteiligung war allerdings geringer als
erwartet. Außerdem zeigt der überwältigende Sieg der Hamas in der zweiten Runde
der Gemeinderatswahlen, die in Gaza 1 ½ Wochen danach abgehalten wurden, dass
Abbas und Al Fatah im Allgemeinen sicherlich nicht länger die stärkste
politische Macht in den Besetzten Gebieten sind.
Sharons Regierung hat seit
einiger Zeit begriffen, dass Israel, um Abbas eine breitere soziale Basis in
Palästina zu verschaffen, einige Kompromisse eingehen muss. Eines der
Hauptthemen in dieser Hinsicht ist die Freilassung palästinensischer Gefangener
aus israelischen Gefängnissen. Die israelische Regierung hat erklärt, dass sie
bereit sei, rund 900 von den ungefähr 7.000 freizulassen, die in Israel im
Gefängnis sitzen. Die allgemeine Forderung auf den palästinensischen Straßen
ist allerdings die Freilassung aller Gefangener. Das ist der Grund, warum Hamas
diese Forderung als Vorbedingung für eine Waffenruhe mit Israel stellt.
Es finden Gespräche über
eine Waffenruhe statt, inklusive mehrerer Treffen von israelischen und
palästinensischen Offiziellen. Ein Treffen von Sharon und Abbas ist für Mitte
Februar in Ägypten vorgesehen. Die israelischen Medien schildern diese
Entwicklungen mit großem Optimismus. Das sind Echos der Illusionen, die Israels
herrschende Klasse bezüglich der Vorstellung hat, eine neue neokoloniale
Herrschaft in den Besetzten Gebieten errichten zu können. Dies kann im Kontext
des moderaten Wirtschaftswachstums in Israel gesehen werden. Historisch hat
Wirtschaftswachstum stets Hoffnungen auf neue „Optionen“ für die israelischen
Bosse sprießen lassen, insbesondere den Gedanken an einen „Marktfrieden“, d.h.
an eine wirtschaftlich stabilere Gesellschaft und bessere Bedingungen für die
Ausbeutung der Arbeiter beiderseits der Grenze.
Das gegenwärtige Wachstum
der israelischen Wirtschaft ist allerdings zerbrechlich, da es hauptsächlich
auf der Konsumblase in den USA basiert. Außerdem sind die wirtschaftlichen
Bedingungen in Palästina etwas ganz anderes als in den 1990er Jahren. In den
vergangenen vier Jahren hat die israelische Armee die Infrastruktur der
palästinensischen Wirtschaft buchstäblich zerstört und Massenarmut sowie Hunger
hinterlassen.
Arbeiter in Israel und in Palästina
betrachten den Medien-Hype bezüglich der Waffenruhe mit einem großen Maß an
Skepsis. Für die Mehrheit der palästinensischen Arbeiter und armen Bauern würde
eine Waffenruhe nicht notwendig mehr Sicherheit und ein normales Leben
bedeuten. Tatsächlich würde direkte militärische Unterdrückung nicht
verschwinden und die Übertragung der Herrschaft über die Städte an die
Palästinensische Autonomiebehörde wird keine spürbaren Auswirkungen auf den
sinkenden Lebensstandard, Schrecken erregende Arbeitslosenraten und Armut
haben. Deshalb hat die Mehrheit der Palästinenser keine Illusionen was die
Rolle von Abbas anbelangt, der von US-Diplomaten als „unser wichtigster Mann“
beschrieben wird.
Die politische Kraft, die
von dieser Stimmung des Misstrauens Abbas gegenüber in der Hauptsache
profitiert, ist die Hamas. Die historischen Gewinne, die die Hamas bei den
jüngsten Gemeindewahlen im Gaza-Streifen erzielt hat, zeigen das zwischen Hamas
und Fatah in den Besetzten Gebieten insgesamt herrschende Kräfteverhältnis. Die
Ergebnisse der Wahl, bei der die Hamas 80% der Stimmen erhielt, werden von
Hamas-Führern als Beleg dafür gewertet, dass „die militante <d.h. kämpferische> Herangehensweise“ der beste Weg voran ist. Sie
sagen, dass eine „militante Herangehensweise“ nicht nur Siege auf dem
Schlachtfeld bedeute, sondern auch in der Politik. (Hamas-Führer verweisen
außerdem auf eine harte Haltung gegenüber der israelischen Besatzung und
kritisieren die Korruption der Fatah.)
Herausforderungen für Hamas
Die nächste Periode wird
aber nicht nur eine Herausforderung für die Fatah darstellen, sondern auch für
Hamas. Die imperialistischen Mächte sind zu der Erkenntnis gelangt, dass jeder
Deal die Hamas einbeziehen muss. Die Fähigkeit der Hamas zwischen dem starken
Druck von Seiten der Palästinenser und von Seiten der, die Rückendeckung der
USA genießenden, herrschenden Klasse Israels zu balancieren, ist begrenzt.
Hamas braucht dringend riesige Summen Geld, um die in den palästinensischen
Gebieten (hautsächlich in Gaza) errichtete wohlfahrtsstaatliche Infrastruktur
aufrechtzuerhalten. Mehr Geld könnte der Hamas helfen, überall in Gaza die
Macht zu übernehmen. Das, so meinen die Hamas-Führer, würde es Hamas erlauben,
nicht die Rolle der militanten Opposition spielen zu müssen und ihr den
Spielraum verschaffen, um darüber hinaus mit Israel zu verhandeln. Diese
Denkweise zeigt tendenziell allerdings nur, dass sich Hamas und der politische Islam
insgesamt als unfähig erweisen werden, die unterdrückten Massen in Palästina
zum Sieg zu führen.
Die Unfähigkeit
pro-imperialistischer Führer, wie Abbas, die Lebenssituation der
palästinensischen Massen zu verbessern und die verfehlten Taktiken des politischen
Islam bedeuten, dass die palästinensischen Arbeiter und Armen zu dem Schluss
kommen werden, dass sie sich selbst mit einem unabhängigen Programm bewaffnen
müssen. Eine sozialistische Massenkraft kann die richtige Strategie für den
palästinensischen Kampf um nationale und soziale Befreiung entwickeln.
Das bedeutet einen Kampf
gegen beide Unterdrücker: Gegen die herrschende Klasse Israels und gegen die
korrupte und pro-imperialistische Elite der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Es bedeutet einen Massenkampf gegen imperialistische Einmischung und die
Verbindung mit den arabischen Massen, um die imperialistischen Kräfte aus dem
Mittleren Osten zu vertreiben. Ein unabhängiges sozialistisches Palästina und
ein sozialistisches Israel als Teil einer wirklich freiwilligen und
gleichberechtigten sozialistischen Föderation des Mittleren Ostens werden das
Ziel künftiger Massenkämpfe für die Beendigung nationaler, sozialer und
ökonomischer Unterdrückung sein.
Anmerkung
1:
Bei einem
Angriff palästinensischer Guerillakämpfer auf den israelischen Grenzposten
Karni wurden am 14.Januar 2005 sechs israelische Soldaten getötet, drei weitere
Israelis wurden lebensgefährlich verletzt. 3 der palästinensischen Kämpfer
kamen bei der Attacke ebenfalls ums Leben. Es war eine der für die
Besatzungstruppen verlustreichsten Aktionen seit langem.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover