Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Im Folgenden die Übersetzung eines Diskussionsbeitrages, den Mario
Tronti zur Einschätzung der Lage nach dem neuerlichen Bruch zwischen
den großen italienischen Gewerkschaftsbünden CGIL einerseits und
CISL / UIL andererseits in der linken italienischen Tageszeitung “il manifesto”
vom 9.6.2002 veröffentlichte. Dieser, Mitte März 2002 notdürftig
gekittete, Bruch betrifft mehr als “nur” die Auseinandersetzung um den Kündigungsschutzartikel
18. Auch wenn der Bruch (noch) nicht durchgehend ist, hat er mittlerweile
eine strategische Dimension erreicht. Das bedeutet, daß CISL und UIL
unserer Meinung nach bereit sind, eine noch untergeordnetere und servilere
Position gegenüber Kapital und Regierung zu akzeptieren, in der Erwartung,
daß auch dort noch Brosamen abfallen und dies die zeitgemäße
“Realpolitik” sei, während die CGIL an dem Level kapitaldominierter
“Sozialpartnerschaft” festzuhalten versucht, das seit 1992 Standard war und
damals mit der Aufgabe der scala mobile (d.h. der gleitenden Anpassung der
Löhne an die Inflation, die bedeutete, das es in den Tarifrunden nur
um reale Lohnerhöhungen ging) bereits eine herbe Verschlechterung bezogen
auf die 80er Jahre darstellte, die ihrerseits... Die CGIL will Essentials
dieser Variante der Sozialpartnerschaft (z.B. den Kündigungsschutz in
mittleren und Großbetrieben für die unbefristet Beschäftigten)
verteidigen und benutzt dies - in Gestalt des nun Anfang September aus Altersgründen
ausscheidenden CGIL-Generalsekretärs Cofferati - auch als Symbol
für den Versuch einer Neuauflage klassischer sozialdemokratischer Politik
seitens des linken Flügels der “Linksdemokraten” (DS), dem Cofferati
und Tronti angehören.
Mario Tronti war in den 60er Jahren einer der führenden Theoretiker
des Operaismus, der es sich zum Ziel gesetzt hatte - u.a. mittels der berühmten
“militanten Untersuchung” - “eine organisierte militante Opposition innerhalb
der offiziellen Arbeiterbewegung und der KPI” zu bilden, um diese zu erobern
und “die Arbeiterrevolution” “(mit allen ihren Instrumenten) erneut
und konkret zum Minimalprogramm der Arbeiterbewegung werden” zu lassen. Von
dieser Radikalität hat er heute einiges eingebüßt. Dennoch
ist er nach wie vor eine bedeutende Persönlichkeit der italienischen
Linken und der vorliegende Diskussionsbeitrag alles andere als uninteressant.
Seine, für die führenden operaistischen Zeitschriften “Quaderni
Rossi” (Rote Hefte) und “Classe Operaia” (Arbeiterklasse) verfaßten,
wichtigsten Aufsätze erschienen als Sammelband 1966 im renommierten
Einaudi-Verlag und deutsch 1974 unter dem Titel “Arbeiter und Kapital” im
Verlag Neue Kritik. Die obigen Zitate entstammen Letzterem (S.244 und S.16).
(Die Auslassungspunkte zu Beginn des folgenden Beitrages stammen von der
“il manifesto”-Redaktion.)
Wenn die CGIL ein “Fall”
wird
Die Prekarisierung der Arbeit bringt das Niveau
der Zivilität einer Gesellschaft in Gefahr. Und die grassierende Flexibilität
ist das Gegenteil der Freiheit. Dies ist der entscheidende Punkt an dem die
Politik sich messen muß.
Mario Tronti
Gibt es in der politischen Konjunktur Italiens einen “Fall CGIL” ?
Ja, es gibt einen Fall CGIL. Das sagt die Regierung. Das hat - zuvor - die
Confindustria gesagt. Das haben mit entgegengesetztem Standpunkt die Arbeiter
am 23.März <auf der CGIL-Massendemonstration in Rom> allein um
diese Organisation herum und am 16.April <beim gemeinsamen Generalstreik>
um die vereinten Gewerkschaften herum wiederholt. An diesem Punkt stimmen
die sozialen Parteien überein. Die politischen Parteien ergreifen Partei.
Die Partie ist offen. Der Ausgang ist unsicher. Aber die Bewegung ist gesund.
Die Rechte sorgt sich. Auf der Linken holt man Luft. (...) Eines der ungelösten
Probleme, die die Arbeiterbewegung uns hinterlassen hat, ist gerade dieses:
Wie die Vertretung eines Teilinteresses aufrechterhalten, ohne das gesellschaftliche
Allgemeininteresse aufzugeben ? Im vergangenen Jahrzehnt hat es die
Schwankungen weniger auf gewerkschaftlicher als vielmehr auf politischer
Ebene gegeben und zwar in Form der “zwei Linken”. <Ein Ausdruck, der von
Fausto Bertinotti, dem Sekretär von Rifondazione Comunista geprägt
wurde.> Ein Unglück, das man hätte vermeiden können. Aufgrund
entgegengesetzter Motive (einerseits eine Praxis der leeren Alternative,
andererseits eine Praxis der blinden Regierung) hat es eine politische Vertretung
der Arbeiter nicht mehr gegeben. Aber da, trotz der falschen Propheten des
Endes der Arbeit dieser Lebenssaft weiterhin in den Venen der kapitalistischen
Gesellschaft fließt, hat er sich - wie ein Hochwasser führender
Fluß dorthin gewendet, wo er eine Mündung gefunden hat, d.h. in
die gewerkschaftliche Vertretung.
Es ist der Verdienst der CGIL in der jüngsten Zeit, dies begriffen zu
haben. Am 23.März haben wir gesehen: mit den Augen, mit dem Herzen,
mit dem Verstand. Es hat eine Art von Engagement von unten für ein Programm,
für eine Organisation und für eine Führung gegeben.
Jetzt will ein Bemessungsstil, das dies als eine Passage und nicht als ein
Endresultat betrachtet wird. Die CGIL muß daran arbeiten, die politische
Vertretung wieder den natürlichen Subjekten zu übergeben und zwar
über jenen Druck in Richtung Einheit, der in der Demonstration von Rom
und im Generalstreik zum Ausdruck gekommen ist. Sagen wir, daß sie
gegenwärtig zu einer provisorischen politischen Aufgabe aufgerufen ist.
Sie dürfen sich nicht von dem politischen Einmischungsgeschrei beeindrucken
lassen, das von Unternehmerschaft und Regierung kommt. Der Angriff auf den
Artikel 18 und über diesen auf das Arbeiterstatut ist eine auf symbolische
Weise politische Aktion. Sie hat daher eine Antwort auf ihrem Niveau bekommen.
Ein weiterer Verdienst der CGIL ist es, an ihrem Einsatz zur Verteidigung
einer Position festgehalten zu haben. Das ist ihr mit der Zustimmung <breiter
Massen> vergolten worden. Wir auf der Linken waren es nicht mehr gewohnt,
das Vertrauen der Massen in die Führer zu erleben.
Politisch an sich ist die Forderungsplattform, die durch die Notwendigkeiten
des Augenblickes diktiert ist, und an sich politisch ist die Ebene der Kämpfe,
die sich daraus ergibt. Nicht zufällig ist das Problem, das sie verbindet
und das gelöst werden muß, heute das der Rechte. Ein vereinigendes
Thema. Weil - das Geschwätz über die Globalisierung einmal beiseite
gelassen - die umwerfende Wiederentdeckung seiner animalischen Geister die
wahre Neuheit des zeitgenössischen Kapitalismus ist. Diese Geister,
die in gewisser Weise durch die - vor allem europäische - staatliche
Politik gezähmt worden waren, machen wieder mit Erfolg den wilden Ausdruck
geltend, der ihnen in der amerikanischen Lebensweise gegeben worden war.
Die Realität der universellen Reprivatisierung lanciert auf’s Neue die
Illusion vom individuellen Vertrag. Es ist immer der Traum des Kapitalisten,
der nun die anonyme Struktur des multinationalen Großunternehmens mit
dem Mini-Padrone des Kleinbetriebes verbindet, gewesen, ein privates
Verhältnis zum einzelnen Arbeiter herzustellen - ohne die lästige
Vermittlung einer organisierten Vertretung. Jetzt, da es keinen Sozialismus
mehr gibt, der behauptete geradewegs verwirklicht zu sein; jetzt da es keine
Massenparteien mehr gibt, die sich nichts weniger als kommunistisch nannten;
jetzt da all jene Ideen einer möglichen anderen Welt begraben sind,
die sich aus einer “realistisch” genannten Theorie nährten - denkt ein
bißchen nach - <ach ja>: Marxismus <hieß sie>; welchen
Sinn hat es da, daß diese archaische Sache existiert, die sich Gewerkschaft
nennt. Vertrag ja, weil die bürgerliche Vermarktung des Lebens gewiß
nicht reduziert werden kann, aber warum ein kollektiver ? Dieses Wort
ist altertümlich. Und jetzt müssen alle Worte “neo” sein, müssen
“post” sein. Täuschen wir uns nicht über das neue Ziel. Die Bossi,
die Haider und die Le Pen sind eine marginale Gefahr. Die zentrale Gefahr
ist die unangefochtene Hegemonie der bürgerlich-kapitalistischen Lebensweisen
in bezug auf alle Aspekte der menschlichen Existenz. Hier ist der Punkt,
an dem die Linke an der Regierung oder auf der piazza mit dem Kopf gegen
eine Mauer rennt, die heute solider nicht sein könnte. Entweder finden
sich die wirksamen Waffen für die Auseinandersetzung, um die Solidität
dieser Mauer anzugreifen oder man wird fortfahren, Kraft und Zustimmung zu
verlieren. Gebt acht, daß, wenn man den modernen wilden Freihandel
nicht bezwingt, der die Bereitschaft der gegenwärtigen subversiven Einstellung
der herrschenden Klasse zum Kampf darstellt, der Populismus einer vormodernen
Rechten in den armseligen Teilen und in den Zwischenschichten einer Gesellschaft
ohne Politik, die sogar voll von antipolitischem Gift ist, immer mehr Gehör
finden wird.
Und heute gibt es nichts, das eine größere politische Bedeutung
hat als das Terrain, wo gewerkschaftliche Rechte ansetzen und Ansprüche
geltend machen. Weil von hier das gesamte Netz der Rechte herrührt,
von den Bürgerrechten über die politischen bis hin zu den sozialen
Rechten, gemäß der, von dem Soziologen Marshall in seinem Bürgerschaftskonzept
gegebenen, klassischen Einteilung und Reihenfolge. Die Rechte am Arbeitsplatz
sind die politische Grundlage jedes anderen Rechtsausdruckes. Man muß
nichts auf die These geben, daß der Arbeitsplatz in einer Gesellschaft,
die nur die zeitgenössische Ideologie als Nach-Arbeitsgesellschaft bezeichnen
kann, an Zentralität verloren habe. Ohne Zweifel ist die zentrale Rolle
der Fabrik (und relativ gesehen der Industrie) zuende. Nicht aber die Zentralität
des Arbeitsplatzes im Leben des Menschen. Die Einführung von prekären,
provisorischen, unsicheren, willkürlichen und im wesentlichen unfreien
Bedingungen hier drinnen beim Antritt, dem Ausscheiden und der täglichen
Ausübung der <Lohn-> Arbeit richtet sich gegen die ganze große
proletarische Zivilisationsgeschichte des Kapitalismus, die mit dem regelrechten
Zivilisationsprozeß der Modernität zusammenfällt, verleugnet
sie und kehrt sie um.
Wenn Flexibilität das Wort ist, das diese Realität beschreibt,
dann muß man anhand der verfügbaren Daten (einer nach der anderen)
und mit allen unvermeidlichen sozialen Auswirkungen zeigen, daß Flexibilität
das Gegenteil von Freiheit ist. Aufgrund einer komplexen Reihe auf fundamentale
Weise politischen Gründen hat sich der Fall CGIL als derjenige einer
Gewerkschaft erwiesen, der sich an einer Grenze abspielte, die nicht nur
für die Interessen der Arbeiter, sondern für das Schicksal des
ganzen Landes entscheidend ist. Inzwischen ist es bis hierher gelungen, bei
der Programmatik der Linken eine starke Korrektur durchzusetzen: weg von
der verheerenden Parole “Weniger den Vätern - mehr den Kindern !”, der
die Mitte-Links-Regierungen in die Mitte-Rechts-Regierungen überführt
hatte, hin zur Kampfansage dieses 1.Mai, die durch ein Transparent auf der
Kundgebung in Bologna gut zusammengefaßt wurde: “Für unsere Kinder
bewahren wir die Errungenschaften unserer Väter !”
Eine letzte Sache: Arbeit / Arbeiten / Arbeiter. Auch hier laufen Zugeständnisse
in puncto Sprache Gefahr, sich in sachbezogene Zugeständnisse zu verwandeln.
Gewiß nicht nur der Arbeitsprozeß bzw. die Arbeitshandlung ist
zersplittert. Auch die arbeitenden Figuren und die Arbeitsmodalitäten
sind es. Die Materialität der Arbeit ist mittlerweile mehr Sache des
künstlichen Armes der Maschine als des natürlichen Körpers
des Arbeiters, aber deshalb zu behaupten, daß der general intellect
des Kapitals in eine absolute Entmaterialisierung der Arbeit überführt
worden ist, geht daran vorbei. Wie auch immer. Eine schwierige Aufgabe der
Gewerkschaft ist heute zweifellos die, die Unterschiedlichkeit der Arbeiten
zu repräsentieren und gleichzeitig die, ein gemeinsames Zugehörigkeitsgefühl
zu einer Organisation wiederherzustellen. Je mehr tatsächliche Differenzen
<es gibt>, um so mehr <besteht> die Notwendigkeit zu einer Form
von Einheit. Das ist nicht so sehr die Suche nach einer gewerkschaftlichen
Identität. Die Idee des Gewerkschaftsbundes muß jetzt mehr als
zur Abwehr der Gefahren separierter Arbeitskörper zum erneuten Zusammenfügen
der autonomen Existenz im Positiven, der lebendigen Präsenz einer Welt
der Arbeit dienen. Außerdem muß symbolische Vertretung von der
politischen Kraft der Linken geleistet werden. Kurz: In bezug auf die Tatsache
der Arbeit(en) muß in neuen Formen wieder die historische Funktion
der Arbeiter zum Vorschein kommen. Und diese müssen im Wert der Arbeit
einen neuen politischen Sinn sehen. Die Regeneration der Linken führt
durch diese enge Pforte. Die Parteien und die Kultur, die die größte
Verantwortung für die Niederlagen haben, sollten in bezug auf sich zumindest
einen Willen spüren, sich freizukaufen. Aber hier besteht nicht mehr
als eine skeptische Hoffnung.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover