Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover:

Bei dem folgenden Interview mit einem führenden Mitglied der linken Palästinenser-Organisation PFLP handelt es sich um ein Exklusiv-Interview für die links-unabhängige italienische Tageszeitung “il manifesto” vom 7.11.2001. Erinnern muß man in diesem Zusammenhang daran, daß die PFLP eine Organisation ist, in der es zwei ausgeprägte Flügel gibt. Während der, derzeit aufgrund der Verfolgung durch die israelischen Besatzungstruppen sowie die palästinensische Autonomiebehörde Arafats untergetauchte neue PFLP-Generalsekretär Ahmet Saadat zum linken Flügel gehört und nach der gezielten Ermordung des alten PFLP-Führers Abu Ali Mustafa durch die Israelis mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt wurde, zählt der hier interviewte Abdul Rahim Mustafa zum minoritären rechten Flügel der Organisation. Das ändert u.E. allerdings nichts daran, daß es sich um ein interessantes und hochaktuelles Zeugnis des linken palästinensischen Widerstandes handelt, das Verbreitung verdient.


Abdul Rahim Malluh:

“Wir sind keine Terroristen”

Es spricht der PFLP-Führer im Untergrund: “Die Leute sind mit uns.”

Michele Giorgio - Jerusalem

Bis vor einigen Wochen begab sich Abdul Rahim Malluh, einer der wichtigsten Führer der “Volksfront für die Befreiung Palästinas” (PFLP) jeden Morgen in aller Ruhe zum Sitz seiner Organisation zwischen Ramallah und Al-Bireh. In wenigen Tagen hat sich alles verändert. Ende August wurde der Führer der PFLP, Abu Ali Mustafa, mittels einer israelischen Rakete ermordet, die auf sein Büro abgefeuert worden war. Vor einem Monat wurde der israelische Tourismusminister und Führer der extremsten israelischen Rechten, Rechavam Zeevi, zur Vergeltung von einer Zelle der PFLP ermordet. Der neue Sekretär der PFLP, Ahmet Saadat, wird von den Geheimdiensten Israels und der <von Yassir Arafat geleiteten /d.Ü.> Palästinensischen Autonomiebehörde ANP gesucht. Jetzt ist Malluh an der Führung der PFLP beteiligt, einer (laizistischen) Organisation (und der zweitwichtigsten innerhalb der PLO, die vor einigen Tagen auf die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien geführte Liste der “internationalen terroristischen Gruppen” gesetzt worden ist. Auch Malluh ist gezwungen worden, strengste Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Die israelischen Hubschrauber liegen immer auf der Lauer und die Mitglieder seiner Leibgarde haben uns erst nach langem Abwarten und wiederholten Programmwechseln erlaubt, ihn zu treffen. Wir haben Abdul Rahim Malluh Montagabend an einem Ort im Bezirk Ramallah interviewt. Wir haben mit ihm über die Situation in Palästina, über die gegenwärtig schwierige Lage der PFLP und die Vorschläge seiner Organisation zur Lösung des Konfliktes mit Israel diskutiert.

In den letzten Wochen hat sich die PFLP im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit befunden. Euer Führer ist ermordet worden und der neue, gerade erst nominierte, ist flüchtig. Außerdem hat die PFLP vor wenigen Tagen Aufnahme in die amerikanische Liste der internationalen terroristischen Gruppen gefunden. Es ist eine komplizierte Situation...

“Mehr als kompliziert. Ich würde sagen, daß sie absurd ist. Die PFLP ist eine Organisation, die für die Freiheit des palästinensischen Volkes kämpft. Das heißt sie kämpft gegen die militärische Besetzung durch Israel, die durch wohlbekannte Resolutionen des Sicherheitsrates der UNO verurteilt worden ist. Es ist das Recht jedes unterdrückten Volkes für seine Freiheit und volle Selbstbestimmung zu kämpfen. Unser Name auf jener amerikanischen Liste ist eine Beleidigung der Rechte aller Palästinenser. Die Volksfront praktiziert keinen Terrorismus, sondern bringt einen legitimen Befreiungskampf voran. Ich möchte hinzufügen, daß unsere bewaffneten Aktionen keine israelischen Zivilisten treffen, sondern die Besatzungskräfte auf den Territorien des Staates Palästina, den wir auszurufen beabsichtigen.”

Wie fügt sich die Ermordung des Tourismusministers und Führers der israelischen extremen Rechten, Zeevi, in diesen Kontext ein, die von Eurem bewaffneten Arm, der “Brigade Abu Ali Mustafa”, beansprucht wurde ? Jemand hat geschrieben, daß die Palästinenser einerseits die von Israel begangenen politischen Morde verurteilen und sich andererseits mit denselben Verbrechen beschmutzen.

“Ohne Zweifel ist das eine kontroverse Frage und ich kann bestätigen, daß auch in unserer Organisation die Diskussion über dieses Argument offen ist. Die Argumente der verschiedenen Teile enthalten <jeweils /d.Ü.> Elemente der Wahrheit. Gleichzeitig können wir nicht vergessen, daß Israel einen Krieg gegen unser Volk entfesselt hat und können wir nicht vergessen, daß Abu Ali Mustafa von einer israelischen Rakete ermordet worden ist, während er in seinem Büro war. Die Israelis rechtfertigen die Ermordung von palästinensischen politischen Führern und Aktivisten mit dem, was sie als ‚Selbstverteidigung‘ bezeichnen. Aber auch die Palästinenser haben das Recht sich vor demjenigen zu verteidigen, der - wie der Rechtsextremist Zeevi - dazu beiträgt, den gegen wehrlose Männer, Frauen und Kinder stattfindenden militärischen Angriff noch zu verstärken.”

Israel ist jetzt auf der Suche nach Eurem Führer Ahmet Saadat und auch die ANP sagt, daß sie ihn festnehmen will. In den letzten Wochen haben die palästinensischen Sicherheitsdienste Dutzende von Aktivisten und Sympathisanten der PFLP inhaftiert...

“Saadat ist gezwungen sich zu verstecken, weil die Israelis ihn töten wollen. Darüber gibt es keine Zweifel. Was die ANP anbelangt haben wir entgegengesetzte Signale erhalten. Am Anfang haben sie uns gesagt, daß sie unseren Führer vor einem Mordversuch durch Israel beschützen wollen. Dann hat Jibril Rajub (der Chef der Sicherheitsdienste der ANP in Cisjordanien; Anm.d.Red.) Saadat aufgefordert, sich den Polizeikräften zu stellen. Schließlich hat die ANP vor einigen Tagen unseren bewaffneten Arm und die Zellen anderer palästinensischer Kräfte für illegal erklärt - “Die <bewaffnete Organisation /d.Ü.> Märtyrer der Al-Aqusa” von Al Fatah eingeschlossen. In jedem Fall wird all das, was die ANP gegen die PFLP und ihre Führung tut, von der palästinensischen Bevölkerung, die sehr gut weiß, daß wir für die Unabhängigkeit kämpfen, nicht akzeptiert.”

Wie beschreiben Sie die Beziehungen zwischen der PFLP und der ANP ?

“Die sind ohne Grund gespannt. Von unserer Seite gibt es kein Interesse daran Differenzen hervorzuheben oder eine Auseinandersetzung zu suchen. Unser Problem ist analog zu dem aller Palästinenser: die israelische Besetzung Cisjordaniens, Gazas und Ost-Jerusalems zu beenden. Die ANP dagegen reagiert auf den internationalen Druck, insbesondere den der Vereinigten Staaten, und verhaftet unsere Aktivisten und sogar alte Sympathisanten. Stellt Euch vor, daß die palästinensische Polizei Personen verhaftet hat, die seit 10 - 15 Jahren keinen Kontakt zu unserer Organisation mehr hatten. In jedem Fall sind die Leute - wie ich bereits gesagt habe - mit uns, mit der Intifada, mit dem Kampf gegen die Besatzung.”

Welche Lösung schlagt Ihr vor, um den Konflikt mit Israel zu lösen ?

 “Jetzt sind wir in einem Kampf zur Verteidigung unseren Bodens vor einer militärischen Aggression ohne Gleichen engagiert, aber wir wissen, daß die Lösung politisch sein wird und daß wir einen Kompromiß mit Israel erreichen müssen. Unsere Position ist seit langem klar. Die Abkommen von Oslo haben, wie wir es von Anfang an vorhergesehen hatten, nicht zur Verwirklichung der Rechte unseres Volkes geführt. Jetzt ist der Moment gekommen jene Rechte anzuerkennen und zwar einmal für immer - ohne weitere vorläufige Abkommen. Im Palästinensischen Nationalrat hat die PFLP vor 13 Jahren die UNO-Resolutionen 242 und 338, die vom israelischen Rückzug aus Cisjordanien, Gaza und Ost-Jerusalem sprechen, voll anerkannt. Unser Ziel ist es daher nicht, den Staat Israel zu zerstören, sondern stattdessen unsere Existenz durch das Entstehen eines palästinensischen Staates in den von Israel 1967 besetzten Gebieten mit Hauptstadt Jerusalem zu behaupten / zu bestätigen. Wir glauben an einen laizistischen und fortschrittlichen palästinensischen Staat, der die ökonomische und soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit von Mann und Frau garantiert. Aber Washington und London betrachten das als ‚Terrorismus‘.”


Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover