Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Mitte
Januar 2005 teilte die römischen Staatsanwaltschaft mit, dass wegen der
Aktionen, die am 6.November 2004 vor bzw. während der landesweiten
Demonstration gegen die Prekarität in einem Panorama-Verbrauchermarkt und einer
Filiale der Feltrinelli-Buchhandlungskette stattfanden, gegen 58 Personen
ermittelt wird. Dies nahm die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“
zum Anlass, einen der Betroffenen und zugleich führenden Köpfe der autonomen
Disobbedienti (Ungehorsamen) in Rom, Guido Lutrario, zu diesen Vorgängen zu
befragen. Das Interview erschien am 13.1.2005.
Interview:
Das ist eine neue soziale
Tarifpolitik“
Guido Lutrario von Action:
„Straffreiheit für die mit den sozialen Auseinandersetzungen verbundenen
Delikte !“
SARA MENAFRA – ROM
Die gestern eingetroffenen
Anzeigen haben alle Netzwerke, die Vereinigungen und Gruppen getroffen, die die
Demonstration und den „sozialen Einkauf“ am 6.November organisiert hatten. Zu
den Beschuldigten gehört auch Guido Lutrario (Sprecher von Action) und
Protagonist vieler der aktivsten Hausbesetzungen und sozialen Räume in Rom).
Sie werfen Euch ‚Schweren
Raub’ vor. Was war die Aktion im Panorama-Markt wirklich ?
„Das ist eine Form sozialer
Tarifpolitik, basierend auf Rechten, die über keinen anderen Ort verfügen und betrieben
von sozialen Figuren, die keine Form von Vertretung besitzen. Ein prekär
Beschäftigter, der, wie alle prekär Beschäftigten, auf wechselnden Stellen
arbeitet, wo hat der die Möglichkeit, den Komplex der Rechte zu verändern, die
Wohnung, Bildung, Transport und auch die Einkommensniveaus betreffen ? Nirgendwo
! Diesen Raum gibt es nicht – noch gibt
es Verhandlungsorte (gewerkschaftliche oder nicht-gewerkschaftliche), die diese
Sektoren abdecken.“
Viele haben sich über die
Tatsache aufgeregt, dass Ihr, außer Artikeln des unmittelbaren Bedarfs, die
Bücher bei Feltrinelli oder die Computer im Verbrauchermarkt mitgenommen habt…
„Diese Initiativen bilden,
außer dass sie auf die Lebenshaltungskosten aufmerksam machen, eine embryonale
Form von neuer Tarifpolitik. Die Repression ist als Reaktionswaffe nicht
dienlich. Die Aktionen, die wir an jenem Tag und an den nachfolgenden
organisiert haben, zielten alle auf die allgemeine Senkung der Preise ab. Aber
unter den Gütern, die zuviel kosten, sind auch jene für einen ausgebildeten
Beschäftigten, der sich auf dem Markt behaupten will. Deshalb der Computer, ein
unerlässliches Instrument für die lebenslange Bildung auf einem Arbeitsmarkt,
der eine ständige Weiterbildung erfordert, die durch die Organisation in keiner
Weise garantiert ist. Die lebenslange Bildung sichert nicht die Instrumente,
derer die moderne Arbeit unmittelbar bedarf.“
Und welche Ziele habt Ihr
jetzt ?
„Auf die Zukunft und die
kommenden Forderungen bezogen, gibt es drei Ziele: Erstens eine Phase
der Straffreiheit für Delikte zu eröffnen, die mit den sozialen Konflikten
verbunden sind. Eine Entscheidung, die zuallererst mit den Bewegungen
diskutiert werden muss. Die zweite Frage ist, angesichts der Tatsache,
dass die Protagonisten des Aktionstages vom 6.November über keinen
Verhandlungsort verfügen, das Nachdenken über die Schaffung einer neuen Form
von sozialer Tarifpolitik. Drittens einen Kampf in bezug auf die hohen
Lebenshaltungskosten zu beginnen. Eine große Initiative, die nicht nur die
(prekären und urbanen) Bewegungen einbezieht, sondern auch die
Verbaucherverbände, die gegen eine Verschärfung der Lebensbedingungen
protestiert haben.“
Nach der Aktion am
6.November hat es innerhalb des Netzwerkes der Prekären eine lange Diskussion
gegeben. Die Disobbedienti, zu denen auch Action gehört, wurden eines
übermäßigen Protagonismus beschuldigt. Wie siehst Du das ?
„In jenen Tagen wurden
einige Personen auf die Titelseiten der wichtigsten Tageszeitungen
geschleudert. Nunzio D’Erme oder Luca Casarini wurden von Kommentatoren und
Analysten unter Anklage gestellt. An dem Punkt war es nicht denkbar, dass
diejenigen, die zur Sache befragt wurden, nicht auf das antworteten, was man
ihnen vorhielt. Ein derartiger Mechanismus hat denjenigen in die Hände
gearbeitet, die die tatsächliche Komplexität der Netzwerke verbergen wollten,
die hinter den Aktionen des 6.November standen. Dies vorausgeschickt, glaube
ich, dass es jetzt darauf ankommt, am Wachstum der Mobilisierung zu arbeiten
und nicht an Spaltungen.“
Zusammen mit den Anzeigen
in Rom gab es auch 8 Anzeigen in Neapel. Es handelt sich um eine Anzeige wegen
Erpressung, aufgrund einer kleinen und mit den Filialleitern des Geschäftes
abgesprochenen Aktion…
„Das ist eine Art
juristisches Experiment. In verschiedenen Städten versuchen sie es derzeit mit
unterschiedlichen Anschuldigungen – mit dem Ziel, herauszufinden, welches das
beste System ist, um diese Bewegungen des organisierten Prekariats zu stoppen.
Die Erpressungsbeschuldigung erscheint mir besonders einzigartig. Auch weil sie
auf jede Form von Konflikt verallgemeinert werden könnte. Ist eine
Streikpostenkette vor einem Betrieb etwa keine Erpressung einer Lohnerhöhung
?! Und doch hat niemand diese Frage
jemals in diesen Begriffen ausgedrückt.“
Vorbemerkung und
Übersetzung:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover