Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Am 19.Februar 2005 demonstrierten in Rom real 25.000 bis 30.000 Menschen für die Freilassung der in Bagdad entführten linken italienischen Journalistin Giuliana Sgrena und den Abzug der Besatzungstruppen. Es handelte sich um die erste große Aktion der italienischen Anti-Kriegs-Bewegung seit längerer Zeit. Daher befragte die Tageszeitung „il manifesto“, deren Korrespondentin die Anfang März freigelassene Giuliana Sgrena war, den führenden Disobbediente (Ungehorsamen) Luca Casarini zu seiner Einschätzung der Entführung und zum Stand der Bewegung. Das Interview erschien am 18.2.2005, dem Vorabend der Demonstration. Seine Vorschläge für die weitere Entwicklung der Anti-Kriegs-Bewegung haben allerdings nichts an Aktualität eingebüßt. Um so weniger als am 19.März 2005 der globale Aktionstag gegen Neoliberalismus und Krieg ansteht.

 

„Und jetzt der soziale Widerstand“

 

Casarini: Die Bewegung hat die Pflicht, gegen den Krieg Widerstand zu leisten

 

ANGELO MASTRANDREA

 

„Ich kannte Giuliana aus den Zeiten von Somalia. Wir wurden gemeinsam von dem Bananenmulti Dole wegen eines Artikels verklagt, der über ein internes Dokument berichtete, das die Beziehungen zwischen jenem Unternehmen und der amerikanischen Armee belegte. Ich bin auf der menschlichen Ebene von der Entführung sehr berührt. Ich hatte die Befürchtung, dass das passieren konnte, weil der Irak – vor allem für diejenigen, die sich – wie Giuliana – ohne bewaffnete Eskorte bewegen, ein sehr gefährliches Terrain ist. Aber wenn es keine Leute wie sie gäbe, besäßen wir nicht einmal jenes kleine Bisschen Information, das zirkuliert, weil alles <andere> embedded <in die militärischen Strukturen der Besatzungstruppen eingebettet> ist – einige NGO’s inbegriffen. Deshalb sind wir Euch alle nahe.“ Luca Casarini wird morgen in Rom auf der Strasse sein und richtet am Vorabend der Demonstration eine Herausforderung an die Friedensbewegung: Wenn sie dem Krieg wirklich entgegentreten will, muss sie die Frage des „Rechtes auf Widerstand“ angehen. Der in Italien nur ein „sozialer“ sein kann.

 

Was soll das heißen ?

 

„Ich glaube, dass wir uns heute in einer Phase befinden, in der Kampf gegen den Krieg bedeutet, die Politik bei uns zu Hause zu entwickeln. Zum Beispiel sind der Kampfzyklus gegen prekäre Beschäftigung und prekäre Lebensverhältnisse oder der der Migranten gegen die Sammellager (CPT) als Formen des Widerstandes gegen den Krieg zu verstehen, weil der Krieg nicht nur das ist, was im Irak geschieht. Die Bewegungen müssen begreifen, dass es kein Kampfmodell gibt, sondern Konflikte, die auszulösen sind. Und es ist notwendig darüber zu diskutieren, wie die Ziele erreicht werden können.“

 

Unterdessen bedurfte es einer Entführung, um die Friedensbewegung wiederzubeleben.

 

„Der Punkt ist, dass wir vor einem globalen Krieg stehen, der weder im Irak beginnt noch dort endet. Diese Form des Krieges unterscheidet sich sehr von den anderen, die wir im 20. Jahrhundert kannten. Die Freund-Feind-Dynamik verändert sich ständig. Es gibt vielfältige Interessenebenen, die untereinander im Streit liegen. Zum Beispiel ist die iranische Partei von Al Sistani zur Partei mit der absoluten Mehrheit geworden. Jemand könnte sagen, dass das die Rache des Iran nach dem Krieg gegen Saddam war. Krieg und Demokratie vermischen sich. Wir sehen die Panzer und die Wahlurnen. Ich bin überzeugt, dass viele derjenigen, die zur Wahl gegangen sind, das gegen die Amerikaner getan haben. Aber auch, dass die Wahlen eine Farce waren.“

 

Also ?

 

„Für uns ist das Kernproblem die Regierung der Welt <d.h. die Art wie die Welt regiert wird>. Das sagen wir seit Seattle. Deshalb haben wir uns mit der G8 auseinandergesetzt und werden es weiter tun. Das alles ruft auch Tragödien wie die von Giuliana hervor. Auch der Widerstandsbegriff muss ausgearbeitet werden. Weil es einerseits diejenigen gibt, die legitimerweise – auch bewaffnet – für ein laizistisches Land kämpfen und andererseits diejenigen, die einen islamischen Staat errichten wollen, wie auch Sistani. Wir müssen mit unseren Aktionen kommunizieren, dass gegen den permanenten globalen Krieg zu sein, nicht nur bedeutet, gegen die Stärksten zu sein, sondern auch die Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Dinge besser werden. Das ist eine sehr komplexe Frage, in der es der Friedensbewegung nicht gelungen ist, starke Elemente eines Kampfzyklus zu finden. Weil weder die Seite des Einen noch die des Anderen einzunehmen, eine schwierige Angelegenheit ist. Die Friedensbewegung ist über das Widerstandsrecht gestolpert. Ich glaube, dass wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, Widerstand zu leisten. Ein Recht, das Tausend Formen besitzt, vom bewaffneten Widerstand gegen die Armeen bis hin zum sozialen Widerstand, der derjenige ist, den wir hier bei uns leisten können.“

 

In der Friedensbewegung ist es schwer, von Widerstand zu sprechen.

 

„Leider war die <von Rifondazione Comunista-Parteichef Bertinotti zwecks Erlangung von „Regierungsfähigkeit“ vom Zaun gebrochene> Debatte über Gewalt und Gewaltfreiheit vollkommen abstrakt. Es wurde nicht über den Mechanismus diskutiert, <der nötig ist> um den Krieg zu unterbrechen. In der Bewegung wurde der in Mumbai <auf dem Weltsozialforum im Januar 2004> von Arundhati Roy ausgestoßene Alarmruf ‚Wir sind alle der irakische Widerstand!’ nicht bis zu Ende ausgearbeitet. Heute sind auch das Bekenntnis und der Ungehorsam (la disobbedienza) nicht mehr ausreichend, wenn wir nicht gemeinsam klären, was das Widerstandsrecht bedeutet.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover