Antifa-AG
der Uni Hannover:
Dass Israel, d.h. die stärkste Militär-
und einzige Atommacht des Mittleren Ostens, trotz skrupellosesten Abschlachtens
der libanesischen Zivilbevölkerung, systematischer Zerstörung der Infrastruktur
(Sachschaden: gut 3 Milliarden Dollar!) und dem Anrichten der größten
Ölverseuchung des Mittelmeers bisher, ihre Ziele (die Zerschlagung oder
weitgehende Schwächung des Hisbollah und Installierung einer proimperialistischen Marionettenregierung – mitsamt „Regimechange“ in Syrien und Iran) nicht annähernd
erreicht, sondern vielmehr eine spektakuläre Niederlage erlitten hat, können
selbst seine glühendsten Anhänger nur schwer leugnen.
Der international bekannte und renommierte, linke israelische Journalist Gideon
Levy gewinnt diesem Scheitern sogar eine ganze Menge Positives ab. In der
israelischen Tageszeitung „Ha'aretz“ vom 13.8.2006 zieht er
ein vorläufiges Resummee und gelangt zu dem Fazit: „Es
ist gut, dass wir nicht gewonnen haben.“
Sein Artikel wurde von Ellen Rohlfs für „ZNet Deutschland“ übersetzt und dort in deutscher
Sprache zuerst veröffentlicht. (Siehe: www.zmag.de)
Der Gideon Levy aus Tel Aviv, der u.a. Chefredakteur der Wochenendbeilage der linksliberalen „Ha’aretz“ ist, gehört zu den wenigen israelischen Journalisten, die über das Leben der Palästinenser unter der israelischen Besatzung berichten und ist wegen seiner kritischen Berichte bei staatstreuen Israelis wenig beliebt. Gideon Levy recherchiert in den Palästinensergebieten und ermöglicht so den Israelis, die das wollen, einen von der Militärzensur ungetrübten Blick auf die Situation. Politisch war Gideon Levy lange Zeit ein enger Mitarbeiter des ehemaligen Chefs der sozialdemokratischen Arbeitspartei (Avoda), und zweimaligen Ministerpräsidenten Shimon Peres, der vor wenigen Monaten zur von Ariel Sharon gegründeten Kadima-Partei wechselte und Mitglied der amtierenden Regierung Olmert ist.
Die schlechte (und
voraussagbare) Nachricht: Israel ist dabei, mit Drohgebärden aus diesem Krieg
zu kommen. Die gute (und überraschende) Nachricht: dieses offensichtliche
Scheitern könnte eine gute Nachricht bedeuten. Wenn Israel die Schlachten mit
einem leichten, überwältigenden Sieg gewonnen hätte, um den die Israelis so
sehr gebetet hatten, so hätte dies der israelischen Sicherheitspolitik enormen
Schaden zugefügt. Noch ein Knall-auf-Fall-Sieg hätte
für uns eine Katastrophe bedeutet. Macht- und siegestrunken würden wir versucht
sein, unsere Erfolge in anderen Arenen fortzusetzen. Ein gefährliches Feuer
würde die ganze Region gefährden und keiner weiß, wie das enden mag.
Auf der andern Seite könnte uns der Misserfolg in diesem kleinen Krieg eine
wichtige Lektion für die Zukunft erteilen und uns dahin bringen, unsere Wege
und Redeweise zu ändern, die Redeweise der Gewalt mit der wir mit unsern
Nachbarn kommunizieren. Der Grundsatz, dass „Israel sich keine Niederlage
auf dem Schlachtfeld leisten kann“ hat sich schon als ein unsinniges
Klischee herausgestellt: Misserfolge mögen nicht nur Israel enorm helfen, sondern
– als Bonus könnten sie auch die Amerikaner die wichtige Lektion lehren, dass
es kein Argument gibt, Israel in militärische Abenteuer zu stoßen.
Seit dem Krieg 1948 hat Israel nur einen militärischen Sieg aus eigener Kraft
errungen, im 6-Tage-Krieg. Man kann sich keinen leichteren und angenehmeren
Sieg vorstellen. Israels „Fähigkeit der Abschreckung“ war wieder hergestellt –
und im großen Ganzen gesehen – in einer Art, von der man annahm, seine
Sicherheit wäre auf Jahre hin garantiert. Doch was geschah? Nur sechs Jahre später fand der schwierigste
Krieg der israelischen Geschichte statt, der Yom Kippur-Krieg. Kaum Abschreckung – im Gegenteil . Die
Niederlage von 1967 trieb die arabischen Armeen dahin, ihre verlorene Ehre
wieder herzustellen und sie brachten dies in sehr kurzer Zeit fertig .Gegen ein
arrogantes, selbstzufriedenes Israel, das sich an den verfaulten Früchte jenes schwindelerregenden Sieges erfreute, hatten syrische und
ägyptische Armeen große Erfolge – und Israel begriff, dass seiner Macht Grenzen
gesetzt sind. Es könnte sein, dass dieser Krieg uns auch in die Realität
zurückbringt, wo militärische Kraft eben nur Militärkraft ist und für gar
nichts garantieren kann. Wir sind ständig dabei, „Siege“ über die
Palästinenser einzuheimsen. Und was haben wir davon? Abschreckung? Haben die
Palästinenser ihre Träume aufgegeben, ein freies Volk in ihrem eigenen Land zu
sein?
Die Niederlage der <israelischen
Arme> IDF gegen die Hisbollah ist
keine schicksalhafte Niederlage. Israel tötete und nahm Todesfälle in Kauf,
aber seine Existenz oder ein Teil seines Territoriums war für keinen Augenblick
in Gefahr. Unsere Lieblingsphrase „ein existentieller Krieg“ ist nichts anderes
als noch ein Ausdruck für den lächerliches Pathos dieses Krieges, der von Anfang
an ein verfluchter Krieg eigener Wahl war.
Hisbollah hat kein Stück Land von Israel genommen und ihr Angriff war
erträglich, auch wenn er hätte leicht vermieden werden können, wenn wir nicht
dieses törichte libanesische Abenteuer unternommen hätten. Man kann sich gut
vorstellen, was geschehen wäre, wenn die Hisbollah innerhalb weniger Tage aus
der Luft besiegt worden wäre, wie anfangs von den prahlenden Militärköpfen
versprochen worden war. Der Erfolg hätte uns wahnsinnig gemacht. Die USA würde
uns in eine militärische Kollision mit Syrien getrieben haben und sieges-
trunken wären wir in großer Versuchung gewesen. Der Iran wäre das nächste Ziel
gewesen. Gleichzeitig hätten wir uns mit den Palästinensern befasst. Was so
leicht im Libanon läuft – so wären wir überzeugt gewesen – wird auch zwischen Jenin und Rafah laufen. Die Folge
wäre ein Versuch gewesen, das palästinensische Problem an seinen Wurzeln zu
lösen – durch Beschießen, Auslöschen und Bombardieren .
Es kann sein, dass dies alles nun nicht geschieht, weil wir aus erster Hand
erfahren haben, dass die Macht der IDF begrenzter ist als wir dachten und uns
erzählt wurde. Unsere abschreckende Fähigkeit mag jetzt in die entgegengesetzte Richtung gehen. Israel wird jetzt
hoffentlich zweimal darüber nachdenken, bevor es in ein noch gefährlicheres
militärisches Abenteuer schliddert. Das wäre eine beruhigende Nachricht.
Andrerseits besteht die Gefahr, dass die IDF ihre verlorene Ehre auf dem Rücken
der hilflosen Palästinenser wieder herstellen will. Es funktionierte nicht in Bint Jbail – dann werden wir es
ihnen in Nablus zeigen.
Wenn uns endlich klar geworden ist, dass das, was nicht mit Gewalt geht, auch
nicht mit mehr Gewalt funktioniert, dann könnte uns dieser Krieg an den
Verhandlungstisch bringen. Durch den Fehlschlag gebrandmarkt, könnte die IDF
jetzt auch weniger begeistert in eine neue Schlacht gehen. Es ist auch möglich,
dass die politische Befehlsebene jetzt verstanden hat, dass die Antwort auf
Gefahren, denen Israel gegenüber steht, nicht durch Anwendung von immer mehr
Gewalt sein kann; dass die wahre Antwort auf die legitimen und gerechten
Forderungen der Palästinenser nicht weitere „Operationen Schutzschild“
sind, sondern in der Achtung ihrer Rechte besteht; dass die wahre Antwort auf
die syrische Bedrohung die Rückgabe der Golanhöhen ohne Verzögerung an ihre
rechtmäßigen Besitzer ist; und dass die Antwort auf die iranische Gefahr darin
besteht, den Hass der arabischen und muslimischen Welt gegen uns nicht weiter
aufzuheizen. Sollte der Krieg wirklich zu einem Ende kommen, könnte es sein,
dass immer mehr Israelis sich fragen, wofür haben wir getötet und wofür sind
Leute von uns getötet worden, wofür haben wir geschossen und wofür sind wir
beschossen worden – und vielleicht verstehen sie dann, dass alles wieder für
nichts und wieder nichts war. Vielleicht wird es die Errungenschaft dieses
Krieges sein, dass der Fehlschlag sich tief in unser Bewusstsein einprägt, und
Israel einen neuen Weg einschlägt, weniger gewalttätig und weniger brutal wegen
des Fehlschlags. 1967 schrieb Ephraim Kishon: „Entschuldigung, wir haben
gesiegt.“ Dieses Mal sollte man eher sagen: „Es ist gut, dass wir nicht
gewonnen haben.“
Übersetzung: Ellen Rohlfs
Quelle: http://www.zmag.de/index.php
Vorbemerkung und Einfügung in eckigen
Klammern: Antifa-AG der
Uni Hannover