„junge Welt“ 2.8.2006

 

»Letztlich ist es ein Klassenkrieg«

Viele Menschen in der arabischen Welt unterstützen Hisbollah. Ein Gespräch mit Yossi Schwartz

 

Der Trotzkist Yossi Schwartz ist Rechtsanwalt in Haifa und hatte jahrzehntelang Berufs­verbot. 1967 war er Soldat in der israelischen Armee und machte dort keinen Hehl aus seiner Ablehnung der israelischen Militärpolitik

Amir Peretz gewann im November 2005 als Gewerkschafter mit sozialen Forderungen den Kampf um den Vorsitz der israelischen Arbeitspartei. Heute führt er als Verteidigungsminister Krieg gegen den Libanon. Hat Sie dieser Wandel überrascht?

„Nein, seine Wahl war Ausdruck eines Linksrucks in der Arbeiterklasse. Seine Ernennung zum Minister war ein Hinweis darauf, daß ein neuer Krieg geplant wurde. Dafür wird jemand wie Peretz gebraucht, der die Parteibasis einbindet und die Massen kontrolliert. Aber inzwischen gibt es viel Kritik von unten. Israel kann diesen Krieg nicht gewinnen.“

Hat Israel sich verkalkuliert?

„Es geht letztlich um einen Klassenkrieg und nicht um einen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Die Massen im Libanon und in der arabischen Welt unterstützen Hisbollah, auch Sunniten und Christen im Libanon. Es ist zwar eine reaktionäre Organisation, sie verteidigt aber die Unabhängigkeit des Landes. Auf einen solchen Krieg ist Israel nicht vorbereitet.

Israel ist seit 1967 für den Westen der wichtigste Polizist in der Region und erhält dafür eine Menge Geld. Damit hat es viel zu verlieren. Die herrschende Klasse ist höchst arrogant und bildet sich ein, sie könne sich alles erlauben. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kennt diese Mentalität genau und will Israel jetzt vorführen. Israel ist in die Falle getappt, weil es dachte, Hisbollah könnte rasch geschlagen werden.“

Aber die israelische Bevölkerung unterstützt den Krieg.

„Ja, eine breite Mehrheit ist für den Krieg, weil sie um ihre Lebensgrundlage fürchtet. Insofern ist die Wirkung der Hisbollah-Bomben absolut reaktionär. Trotzdem ist Israel diesem Krieg nicht gewachsen. Es gibt hier einen neuen Volkssport, nämlich sarkastische Witze über die israelische Armee zu erzählen.“

Wie wird es in den kommenden Wochen weitergehen?

„Das ist schwer einzuschätzen. Die Lage droht, außer Kontrolle zu geraten. Es könnte dazu kommen, daß die ägyptische Regierung Israel den Krieg erklärt, um den Unmut der Massen, der innenpolitische Ursachen hat, in eine andere Richtung zu lenken. Präsident Hosni Mubarak spürt das Erdbeben unter seinen Füßen. Der Westen hat keinen Plan für den Frieden, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß die USA eine vorübergehende Feuerpause erzwingen, um einen allumfassenden Nahostkrieg abzuwenden. Auch in Israel nehmen die sozialen Spannungen zu.“

Woran macht sich das fest?

„Als die Regierung anordnete, daß Arbeiter im Norden des Landes wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren sollen, löste dies starke Kritik aus. Einige Arbeiter wurden von Hisbollah-Bomben getötet. Private Arbeitsvermittler haben mitten im Krieg viele Tagelöhner auf die Straße gesetzt. Schutz armer Zivilisten spielt für den Staat keine Rolle. Luftschutzbunker in Haifa wurden nicht geöffnet oder hatten weder Wasser noch Lebensmittel vorrätig. Dörfer im Grenzgebiet blieben tagelang abgeschnitten. Daß Geschäftsleute und Hoteliers Profiteure des Krieges sind und sich an den Richtung Süden fliehenden Menschen bereichern, verärgert viele. Diese Wut wird sich einen Weg bahnen. Für israelische Verhältnisse ist es schon ein wichtiger Anfang, daß am 22.Juli 5000 Linke, Araber und Juden, gemeinsam für den Frieden demonstrierten. Neben Friedensparolen gab es dabei auch Slogans wie »Wir sterben nicht für Zionismus und US-Imperialismus«.“

Worin sehen Sie einen Ausweg aus dieser Situation?

„Israel wird früher oder später nach links rücken. Viele Beispiele aus der Geschichte belegen: Wenn Staaten Kriege nicht gewinnen können und den Massen Opfer ohne Ende aufbürden, kommt die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung. Hisbollah wird für die arabischen Massen ein Held sein. Aber die Menschen in der Region haben auch schlechte Erfahrungen mit reaktionären Regierungen gemacht. Auch eine mögliche Hisbollah-Regierung im Libanon wird die sozialen Erwartungen der Bevölkerung nicht erfüllen. Heute ist Hisbollah Feind der USA, morgen werden sie irgendeinen Deal machen. Also müssen sich die Massen in allen Ländern des Mittleren Ostens zusammenschließen, die Herrscher entmachten und eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft erkämpfen.“

Interview: Hans-Gerd Öfinger

 

Quelle: www.jungewelt.de