Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die meisten der eigenständigen linken italienischen
Basisgewerkschaften beteiligten sich nicht am von den großen Zentralen CGIL-CISL-UIL
für den 25.November 2005 ausgerufenen 4stündigen Generalstreik. Sie
organisierten am 21.Oktober ihren eigenen, 8stündigen Streik samt zentraler
Demonstration in Rom. Ihr Aufruf hob sich wohltuend vom
sozialpartnerschaftlichen und nur gegen die Regierung Berlusconi gerichteten
Aufruf der drei Großen ab und beinhaltete – im Gegensatz zu den etablierten
Organisationen auch die kategorische Ablehnung der zwangsweisen
Schaffung privater Rentenfonds, die mit dem Geld der Abfindungszahlungen (TFR)
gebildet werden sollen. Die inhaltliche Nähe zu ihren Positionen veranlasste
zwar einen Teil der CGIL-Linken (den Coordinamento
Nazionale RSU, der faktisch das ‚Labournet Italy’ betreibt) dazu mit Betriebsdelegationen an der Demo
in Rom teilzunehmen. Dennoch war die Aktion von CUB, SULT, CNL,
Sin Cobas
(4.Internationale), CIB-Unicobas, der kleinen
anarchosyndikalistischen USI und einem Teil des SLAI Cobas um die Sektion Neapel (die zusammen
35-40.000 Mitglieder zählen) weitestgehend ein Reinfall. Anders als bei
früheren von CUB, USI etc. ausgerichteten „Generalstreiks“ machten die
Organisatoren diesmal erst gar keine konkrete Angaben zur Zahl der Streikenden,
sondern sprachen nur von „einer großen Beteiligung“. Die Zahl der
Demonstrationsteilnehmer(innen) in Rom wurde vom CUB-Chef
Tiboni mit „80.000“ angegeben (die CUB
multipliziert die realen Zahlen in der Regel mit 20-25!), während die sehr
wohlwollende linke Tageszeitung „il manifesto“
von „50.000“ sprach (normaler Übertreibungsfaktor hier: 10!). Tatsächlich
waren 4.000-5.000 Leute auf der Strasse, was achtbar, aber keineswegs
überwältigend ist und Kapitalisten wie Regierung kalt lässt.
Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Berlusconi-Regierung
(auch über die noch staatliche Eisenbahngesellschaft) im Vorfeld einiges tat,
um einen auch nur punktuellen Achtungserfolg beim Streik zu verhindern. So
zwangsverpflichtete Verkehrsminister Lunardi –
bei Drohung mit saftigen Ordnungsstrafen – die Beschäftigten im Transportsektor
zur Arbeit. Ein lange vorher gebuchter Sonderzug nach Rom wurde kurzfristig
gekündigt und erst nach starkem Druck im allerletzten Moment zur Verfügung
gestellt. Gerade im Transportsektor und in Teilen des öffentlichen Dienstes
liegen aber die Schwerpunkte der beteiligten Organisationen und die
Dienstverpflichtung der Transportarbeiter löste obendrein 48 Stunden vor der
Arbeitsniederlegung das Gerücht aus, der Generalstreik sei insgesamt abgesagt
worden.
Von vornherein auf eine Beteiligung an dieser Aktion
verzichteten die Confederazione Cobas (6.000 Mitglieder, davon 5.000 im Schulwesen) und
der größere Teil des SLAI Cobas (der insgesamt
ca. 3.000 Mitglieder zählt) um die Provinzkoordination Mailand. Sie
schlossen sich, wie schon in der Vergangenheit, mit eigenem Aufruf und eigenen
Demonstrationszügen dem CGIL-CISL-UIL-Generalstreik am 25.November an.
Zu den Motiven des „Basis-Generalstreiks“ von CUB/RdB, SULT, CNL, Sin Cobas, CIB-Unicobas, USI etc.
brachte „il manifesto“ am 20.10.2005
das folgende Interview mit Pierpaolo Leonardi, einem der beiden führenden Köpfe der CUB:
Basisgewerkschaften – morgen der
Streik
Leonardi (CUB): Wegen Einkommen, Abfindungen
(TFR) und Prekarität auf die Strasse. Und Lunardi dienstverpflichtet <Beschäftigte>.
FRANCESCO PICCIONI
Morgen wird der von CUB-RdB, Unicobas, CNL, SULT, Sin Cobas und USI-AIT gegen den
Haushalt ausgerufene 8stündige landesweite Generalstreik stattfinden. Erst
gestern haben diese Basisgewerkschaften auch mit Provinz- und
Betriebsvertretungen des SLAI Cobas ein politisches
Abkommen über „die Vereinigung der Kämpfe“ und „den Aufbau der
Klassengewerkschaft“ geschlossen. Über all das sprechen wir mit Pierpaolo Leonardi, dem
nationalen Leitungsmitglied der CUB.
Was sind die Gründe, die
dazu drängen, allein vorzugehen und das in einer Situation, die zumindest vom
medialen Gesichtspunkt aus sehr minoritär erscheint?
„Der Streik wurde aufgrund von drei grundlegenden Fragen
ausgerufen. Die erste ist die Einkommens- und Reichtumsverteilung. Dem
Finanzfaktor geht es besser als dem Faktor Arbeit. Die Löhne erlauben es nicht,
die vierte Woche des Monats zu erreichen. Es gibt die scala
mobile <d.h. die
gleitende Anpassung der Löhne an die Inflation> nicht mehr, deren Wiedereinführung zum Schutz der
Löhne wir fordern. Auch ein soziales Einkommen für die Arbeitslosen ist nicht
in Sicht. Zweitens ‚Nein zum Handtaschenraub bei den Abfindungen (TFR)!’ und Ja
zur Wiederbelebung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Ich glaube, das das der
Punkt ist, weshalb diesem Streik, dem einzigen gegen die Verschiebung der TFR
in die Rentenfonds, jede Berichterstattung verweigert wird. Während man sich
darüber in den Haaren liegt, ob der ‚Kuchen’ allein an die geschlossenen Fonds
oder auch an die Versicherungen gehen soll, gibt es einen sehr großen Teil der
Welt der Arbeit, der es ablehnt, die eigenen Ersparnisse dem Risikokapital
auszuhändigen. Sagen wir es so: Sie schaffen die Pensionsfonds nicht deshalb
ab, weil die öffentliche Altersvorsorge ‚nicht mehr tragfähig’ ist, sondern sie
haben die öffentliche Altersvorsorge kaputt gemacht, um den Start der Fonds zu
ermöglichen. Das Scheitern des ‚zweiten Standbeins der Altersvorsorge’ ist die
Vorbedingung, um die Regierung (egal welche es ist) dazu zwingen zu können, die
Rentenpolitik zu revidieren und der öffentlichen wieder ihre universelle
Funktion zurückzugeben. Das ist auch ein Trennungsgrund gegenüber CGIL, CISL
und UIL. Und schließlich noch die prekäre Beschäftigung. Wir sind dafür die Prekarität zu stoppen, dafür das ‚Treu-Paket’ und das
‚Gesetz Nr.30/2003’ abzuschaffen. Wir sind für eine dauerhafte und gesicherte
Beschäftigung für alle. Das sind die Fragen bezüglich derer man siegen oder
zumindest eine ernsthaften Kampf führen kann.“
Um zu siegen, braucht man
die <nötigen> Zahlen. Wie
kriegt man die außerhalb und gegen die anderen politischen und
gewerkschaftlichen Plattformen / Forderungskataloge zusammen?
„Bereits heute sind
Millionen Werktätige nicht zur Abtretung der Abfindungen bereit. Das ist eine
Tatsache, die alle Umfragen verdeutlichen (60-70%). Dies ist die notwendige
kritische Masse, um mit Nachdruck auf die Wiederbelebung der öffentlichen
Altersvorsorge hinzuarbeiten. Es ist klar, dass es, wenn die Rentenfonds nicht
starten, eine tickende Zeitbombe gibt.“
In welchem Sinne?
„Wenn eine Million
Werktätige existieren, die ihre Abfindung nicht den Rentenfonds überlasen und
damit das Vorhaben der Zusatzrente nicht vom Fleck kommt, weil die Rentenfonds
nicht über ausreichende Mittel verfügen, um loszulegen, stellt sich das
Problem, das Rentensystem in Richtung Wohlfahrtsstaat revidieren zu müssen !“
Die Cobas
beteiligen sich nicht.
„Das ist eine etwas unschöne
Sache. Sie streiken wieder einmal mit CGIL, CISL und UIL. Das ist etwas, das
mir missfällt, aber dazu führen muss, dass man über die Natur der
Basisgewerkschaftsbewegung und der konfliktbereiten Gewerkschaftsbewegung
nachdenkt.“
Der Privatsektor hat die
TFR, der öffentliche die TFS. Ihr seid vor allem im öffentlichen Sektor
präsent…
„Als RdB
(Basisvertretungen) ja. Als CUB (Einheitskonföderation der Basis) sind wir in
vielen Sektoren präsent, u.a. dem Transportsektor,
für den gerade heute die, vom Minister Lunardi
verfügte, Dienstverpflichtung eingetroffen ist.“
Es gibt jedoch einen
unterschiedlichen Ansatz in den beiden Sektoren, weil es im öffentlichen keine
für jeden Lohn sofort verfügbare Ziffer gibt.
„Der TFR, der starten
sollte, betrifft den Privatsektor. Derselbe Erlass legt allerdings fest, dass
der TFS der staatlich Beschäftigten dem TFR ‚mittels Abkommen’ angeglichen
wird. Es gibt auch juristische Komplikationen. Die Rentenfonds im Schulwesen z.B.
sind aber bereits gestartet. Sie kommen nur deshalb nicht von der Stelle, weil
die Leute nicht bereit sind, ihr Geld dahinzugeben. Es kann unterschiedliche
Geschwindigkeiten geben, aber die Absicht ist dieselbe.“
Ihr seid – das ist
bekannt – in der Nationalen Sozialversicherungsanstalt (INPS) stark. Wie seht
Ihr die Situation der Anstalt?
„Es gibt eine Tendenz zur
Aufgabe. Darin sehen wir einen sehr deutlichen Willen, das Boot kentern zu
lassen. Das sieht man an der Personalführung und an Entscheidungen, die
bezüglich der Inspektionsorgane getroffen wurden. Die Steuerfahndung ist jetzt
dem Arbeitsministerium unterstellt worden. ‚Unsere’ Inspektoren sind oftmals
Unternehmensberater geworden anstatt Inspektoren. Die technischen Reserven (Immobilien)
wurden herausgenommen, die Beiträge aufgelistet und die Inspektionsdienste
ausgehöhlt. Die starke Tendenz zur Aufgabe der Tätigkeit ist deutlich sichtbar.“
Und die Erwartungen an diesen Aktionstag ?
„Wir arbeiten sehr hart
daran. Die Beteiligung wird gut sein, auf der Höhe der Notwendigkeit. Es gibt
eine objektive Tatsache: Die tödliche Stille, die rund um diesen Streik
herrscht. Ich glaube, dass die von <Verkehrsminister> Lunardi verfügte Dienstverpflichtung gerade
deshalb beschlossen wurde, um Berufsgruppen zu blockieren, die über eine
größere mediale Sichtbarkeit verfügen. Wenn ich den Kinderhort lahm lege, kommt
das nicht in die Zeitung, wenn ich die U-Bahn in Rom lahm lege schon.“
Vorbemerkung, Übersetzung und
Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und
Gewerkschaftsforum Hannover