Antifa-AG
der Uni Hannover:
Wie bereits gesagt, zog die größte
Organisation der französischen revolutionären Linken “Lutte Ouvrière” (LO –
Arbeiterkampf) in ihrer gleichnamigen Wochenzeitung Nr.1985 vom
18. August 2006 eine vorläufige Bilanz des Libanon-Krieges. Neben
dem Editorial von Arlette Laguiller (dessen
Übersetzung wir parallel hierzu präsentieren) war dabei der folgende Artikel
von besonderer Bedeutung, den wir im Rahmen einer (dringend notwendigen)
verstärkten Debatte innerhalb der antagonistischen Linken in Europa für
verbreitenswert halten, auch wenn wir seiner Einschätzung der Hisbollah als “reaktionärer Partei” etc. nicht
zustimmen und die Hisbollah in Worten wie in Taten bereits deutlich gemacht
hat, dass sie nicht die Absicht hat, eine Theokratie
nach iranischem Vorbild schaffen zu wollen, was angesichts christlicher
Parteifunktionäre und Kandidaten bei Wahlen auch etwas merkwürdig wäre. Selbst
der (in dieser Hinsicht sicherlich unverdächtige) Hamburger Verfassungsschutz
hält dieses Ziel in seinem Jahresbericht für 2005 für nicht mehr aktuell. Darüberhinaus unterschätzt der Autor der folgenden Analyse (André
Frys; eines der Leitungsmitglieder von Lutte Ouvrière) nicht nur die
Eigenständigkeit der Hisbollah, sondern schließt (was die zwei Jahrzehnte
zurückliegenden bewaffneten Auseinandersetzungen mit der KP undlinken
Palästinensergruppen anbelangt) auch die Augen vor der Veränderung, die die
Hisbollah seit Anfang der 90er Jahre vollzogen hat.
Unseres Erachtens handelt es sich bei
ihr mittlerweile um eine linkspopulistische Partei und stellt ihr erfolgreicher
Widerstand gegen die (von der G8 unterstützte) israelische Militärmaschine
durchaus einen bedeutenden Erfolg für das libanesische Volk und das
antiimperialistische und fortschrittliche Lager weltweit dar. Doch dazu an
anderer Stelle mehr.
Libanon-Krieg: Die Hisbollah geht aus der Prüfung gestärkt hervor
Im Libanon hat seit dem Ende
der Kämpfe ein großer Teil der etwa 900.000 durch die israelischen
Bombardierungen vertriebenen Menschen begonnen, in ihre Wohnungen
zurückzukehren oder zu dem, was davon übrig geblieben ist. Jene, die seit
mehreren Wochen in den Schulen gelebt oder in den Parks gezeltet haben, die von
Angehörigen untergebracht wurden oder ins benachbarte Syrien geflohen waren,
sind in die südlichen Vororte von Beirut zurückgekehrt, von denen, wie es
scheint, etwa 20% zerstört wurde. Andere haben, ohne abzuwarten, begonnen, sich
auf den Weg in den Süden des Landes zu machen, der ebenfalls verwüstet wurde
und, aufgrund der von der israelischen Armee systematisch zerstörten Straßen
und Brücken nur schwer zugänglich ist.
EIN GEFÜHL DES SIEGES?
Trotz der Zerstörungen,
trotz der menschlichen Verluste, trotz der gewaltigen Probleme, die sie zu
bewältigen haben, ist die Erleichterung sichtbar. Natürlich gibt es das Ende
der Kämpfe. Darüberhinaus, bestanden allerdings Viele
darauf, ein Gefühl des Sieges zur Schau zu stellen, das Victory-Zeichen
zu zeigen oder die Fahnen der Hisbollah und die Porträts ihres Chefs zu
präsentieren .Es ist für alle offensichtlich, dass Israel seine Zielsetzungen
nicht erreicht hat, und dass das auf den Widerstand zurückzuführen ist, den die
Hisbollah-Kämpfer gegen seine Armee leisteten.
In der schiitischen
Bevölkerung des Südlibanon und der südlichen Vororte von Beirut bereits stark
verankert, geht die Hisbollah (“Partei
Gottes”), aus dieser Prüfung sichtlich mit gestärktem Prestige hervor. Und
das auch innerhalb der anderen Religionsgemeinschaften, d.h. der christlichen
und der sunnitischen. Ihr führender Mann, Hassan Nasrallah, scheut sich nicht
zu verkünden, dass sie Israel besiegt hat, und sich Israel zurückziehen musste.
Am Abend des 14. August erklärte er in einer Fernsehansprache, dass sich die
Hisbollah nicht entwaffnen lasse. Auf andere, libanesische Parteien antwortend,
die sich den Großmächten und Israel anschließen und die Abrüstung der
Organisation verlangen, sagte er im Kern: “Israel hat das versucht und hatte
damit keinen Erfolg. Wenn Sie es selbst versuchen wollen, bitte sehr !”
Der Hisbollah-Chef versprach
allerdings auch all jenen die Hilfe seiner Partei, die unter dem Krieg gelitten
haben, und listete ziemlich genau die Beihilfen auf,
auf die jeder für sein zerstörtes Haus / Wohnung und für seine Möbel usw.
Anspruch habe. Angesichts einer libanesischen Regierung, die, nicht nur dann,
wenn es darum geht, die Verteidigung der Bevölkerung zu organisieren, sondern sogar
dann, wenn es um Hilfe zum Überleben geht, durch Abwesenheit glänzt, kann die
Hisbollah bei der Übernahme der Verantwortung für die Bedürfnisse der kleinen
Leute, die vom Krieg heimgesucht wurden, ihre Effizienz zeigen. Und tatsächlich
war es während des gesamten Krieges im Südlibanon und in Beirut sehr viel mehr
die Infrastruktur der Hisbollah als die staatlichen Dienste, die der
Bevölkerung Hilfe gewährten und das auch in den Schulen oder den Parks, wohin
sie sich geflüchtet hatte.
So besteht das wichtigste
politische Ergebnis der israelischen Militärintervention darin, dass sie das
Prestige eben jener Hisbollah vergrößert hat, die sie bekämpfen wollte. Genauso
wie in Palästina, wo die aggressive Politik Israels am Ende die Hamas stärkte,
führt sie dazu, eine fundamentalistisch-islamistische
Strömung zu stärken. Dies nicht so sehr aufgrund der Ideen, die diese vertritt,
sondern weil die Hisbollah (genauso wie Hamas) die Partei ist, die die meisten
Militanten zählt, die sich in den Dienst der Bevölkerung stellen. Sie haben
nicht nur gezeigt, dass sie bereit sind, ihr Leben zu opfern, sondern die
Hisbollah ist auch durch Vereinigungen für gegenseitige Hilfe, medizinischen
und Sozialdiensten präsent und hinterlässt den Eindruck von Rechtschaffenheit /
Redlichkeit, der mit dem Eindruck verglichen wird, den man von den Politikern
hat, die vor allem um ihre Geschäfte und ihre Karriere besorgt scheinen.
DIE DISKREDITIERUNG EINES TEILS DER
LIBANESISCHEN FÜHRUNG
Ebenso wie die Führungen
einer gewissen Anzahl arabischer Staaten von Saudi-Arabien über Jordanien bis
nach Ägypten hatte offensichtlich auch ein Teil der führenden Leute im Libanon
darauf gehofft, daß Israel die Hisbollah schnell
besiegen würde. Das ist insbesondere bei Saad al-Hariris “Courant du Futur” (Strömung der Zukunft)
der Fall, dem Sohn des Spekulanten und ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri, der im Februar
2005 ermordet wurde. Diese Strömung der Zukunft und ihr Verbündeter Walid Jumblatt, die feudale Führungsfigur der drusischen
Gemeinde, der von sich behauptet, “Sozialist”
zu sein, taten sich zusammen, um, mit Unterstützung der Großmächte
(insbesondere Frankreichs und der Vereinigten Staaten) den Abzug der syrischen
Truppen aus dem Libanon zu fordern..
Diese steinreichen Vertreter
der libanesischen Bourgeoisie können sich heute darüber beklagen, dass sie im
Austausch dafür nichts bekommen haben. Alle ihre tiefen Verbeugungen vor den
imperialistischen Führungskräften führten nicht einmal zu irgendwelchen Gesten
dieser Herren, um die israelische Offensive zu stoppen und die Zerstörung des
Landes zu beenden. Darüberhinaus hatten Jumblatt und Hariri, die Meister der libanesischen
Unabhängigkeit gegenüber Syrien, der Bevölkerung, die der israelischen Aggression
ausgesetzt war, einen Monat lang nichts zu sagen. Da ist es nicht
verwunderlich, dass angesichts dessen das Prestige der Hisbollah über die
schiitische Bevölkerung hinaus zunimmt, da jeder festgestellt hat, dass “zumindest
die sich einsetzt!”
Wurde die israelische
Offensive mit den Vereinigten Staaten und sogar mit einigen libanesischen
Politikern abgesprochen, um einen vom christlichen Bürgertum und seinen
sunnitischen Verbündeten beherrschten Libanon ins Leben zu rufen, als Vasall
Israels und des Imperialismus? Das ist möglich, denn das ist ein altes
israelisches Projekt, das Israel in seinen aufeinanderfolgenden
Kriegen verfolgte, und das mehrmals gescheitert ist. Zu dem Zeitpunkt, wo die
amerikanische Armee tief in der irakischen Schlammgrube steckte, war Bush
dieser Handstreich, der seinen Plänen von einem “Neuen Mittleren Osten”
zugute kam, willkommen. Es war allerdings einmal mehr ein Fehlschlag. Und
Israel wie die Vereinigten Staaten laufen Gefahr sich zusätzliche
Schwierigkeiten einzuhandeln. Selbst wenn das nicht ausschließt, daß man früher oder später erneut die Flucht nach vorn
antritt – im Libanon oder anderswo: gegen den Iran oder Syrien zum Beispiel.
DER ERFOLG DER HISBOLLAH IST NICHT DER ERFOLG DER VERARMTEN MASSEN
Leider ist der politische
Erfolg der Hisbollah auch kein Sieg des libanesischen Volkes oder des
palästinensischen Volkes und der anderen arabischen Völker. Ebenso wie die
Hamas in Palästina und selbst wenn sie in der Lage ist, zu demonstrieren, dass
sie den verarmten Massen nahe steht, ist die Hisbollah aufgrund ihrer
Beziehungen, aber auch aufgrund ihrer sozialen und politischen Zielsetzungen
eine reaktionäre Partei. Das Regime, das sie errichten will, wäre eine
Neuauflage der Diktatur der iranischen Mullahs. Profitieren würde davon nur
eine Bourgeoisie, die (so “islamistisch” sie
auch sei) der verarmten Bevölkerung gegenüber trotzdem nicht weniger brutal zur
Sache ginge.
In Libanon es gibt jedoch
eine starke kommunistische Partei mit einer gewissen Tradition, die über
selbstlose / aufopferungsvolle Aktivisten verfügt. Ihre
Meinungsverschiedenheiten mit der Hisbollah, was ihre politischen Zielsetzungen
anbelangt, voll und ganz bestätigend, beschloss sie, sich im Namen des “Widerstandes”
an ihrer Seite an den Kämpfen zu beteiligen, und die Hisbollah lieferte ihr
Waffen. Kommunistische Militante fielen an der Seite von Kämpfern der “Partei
Gottes”. Während dies ihre Opferbereitschaft unter Beweis stellt, zeigt es
allerdings auch die Unfähigkeit der Libanesischen Kommunistischen Partei (PCL),
eine Politik vorzuschlagen, die wirklich die Interessen der ausgebeuteten
Klassen verteidigt, unabhängig von einer reaktionären religiösen Partei wie der
Hisbollah, die im übrigen selbst in der Vergangenheit die Ermordung
kommunistischer Militanten organisiert hat.
Die Interessen der Arbeiter
und der Gesamtheit der verarmten Massen gegen den Imperialismus und seine
Agenten, aber auch gegen die Bourgeoisie in ihren unterschiedlichen Varianten,
seien sie nun christlich oder sunnitisch, schiitisch oder drusisch, im Libanon,
aber auch in Palästina, in Israel und im ganzen Mittleren Osten verteidigen,
wäre jedoch unentbehrlich, damit die Völker der Region früher oder später aus
der Sackgasse der vielschichtigen Konflikte herauskommen können, in die sie getrieben
werden.
Vorbemerkung und Übersetzung aus dem
Französischen:
Antifa-AG
der Uni Hannover