Antifa-AG der Uni
Hannover:
Eine
wichtige und sehr aktive Rolle im Lager der linken EU-Verfassungsgegner in
Frankreich und damit beim Sieg des „NON“ im Referendum Ende Mai 2005 spielte
die Ligue Communiste Revolutionnaire (Revolutionär-Kommunistischer Bund
– LCR), die französische Sektion der 4.Internationale. Die LCR ist nach Lutte
Ouvrière (Arbeiterkampf – LO), die ebenfalls gegen das Verfassungsprojekt
mobilisierte, die zweitgrößte Gruppierung der französischen radikalen Linken.Im
Gegensatz zur eher proletarisch ausgerichteten LO ist sie allerdings mehr in
den sog. „Neuen Sozialen Bewegungen“ bzw. unter linken Mittelschichtlern und
öffentlich Bediensteten aktiv. Eine zentrale Rolle spielte die LCR bei der
Gründung von Attac France, die den Anstoß zur Schaffung von Attac-Sektionen in
zahlreichen anderen Ländern gab. Seit einigen Jahren ist die LCR (obwohl sie
nur maximal 1.500 Mitglieder hat) auch bei Wahlen erfolgreich. Der erste viel
beachtete Erfolg waren die 5,2% der gemeinsamen LO-LCR-Liste bei der Europawahl
1999, die zu 5 Abgeordneten führte, 2 davon von der LCR. (Die LO hatte mit
ihrer Kandidatin Arlette Laguiller bei den Präsidentschaftswahlen von 1995
mit 5,2% bereits ein erstes Ausrufezeichen gesetzt.) Bei den Präsidentschaftswahlen
im April 2002 kandidierten beide Organisationen allein und erreichten
dennoch ein Aufsehen erregendes Ergebnis: Die Galionsfigur der LO, Arlette Laguiller,
erhielt 5,7% und der bis dahin völlig unbekannte LCR-Kandidat Olivier
Besancenot 4,25%. Zum Vergleich: KP-Chef Robert Hue kam gerademal auf 3,4% und
der PS-Kandidat und Ministerpräsident Lionel Jospin auch nur auf 16,2%. Bei der
Europawahl von 2004 sackte die LO-LCR-Liste zwar auf 2,56% ab (die
gesamte „extreme Linke“ kam auf 3,33%), dennoch spielen beide in der
politischen Landschaft weiterhin eine ganz andere Rolle als die radikale Linke
in der BRD. Daher im Folgenden die Stellungnahme der LCR zum Erfolg des NEIN
zur EU-Verfassung beim Referendum.
Die
Übersetzung beruht (aufgrund unserer begrenzten Französischkenntnisse) im
wesentlichen auf der italienischen Version, die von der italienischen Sektion
der 4.Internationale, der „ERRE“-Strömung innerhalb von Rifondazione Comunista,
am 31.Mai 2005 auf ihrer Homepage (www.erre.info)
veröffentlicht wurde. Wo uns Abweichungen vom französischen Original auffielen,
haben wir natürlich die dortige Formulierung vorgezogen. Das französische
Original findet sich unter: http://www.lcr-rouge.org/breve.php3?id_breve=271
Überwältigender Sieg des „Nein“ mit
55%
Erklärung der LCR
Das „Nein“ hat gesiegt. Das
ist ein grandioser Sieg für alle diejenigen, die seit langem unter den
unheilvollen Konsequenzen der neoliberalen Politik leiden, die seit vielen
Jahren ohne Pause betrieben wird. Ein Sieg für die Welt der Arbeit gegenüber
einem Verfassungsentwurf, der das Ziel verfolgt, die Gesamtheit der im
20.Jahrhundert erkämpften Errungenschaften zu beseitigen. Ein Sieg für die
einer zunehmenden Vermarktung ausgesetzten Bevölkerungen, die die öffentlichen
Dienste und die Solidarität zerstört.
Nach einer erdrückenden
Kampagne mit der Mobilisierung der gesamten Medien und der Eliten im Dienste
des „Ja“, wo der Präsident, die Regierung, die Unternehmer und die
institutionellen Parteien eine Kampagne im Zeichen der Angst organisiert und
alle Formen des Drucks und der Erpressung genutzt haben, hat sich das „Nein“
durchgesetzt. Diese vernichtende Niederlage für diejenigen Kräfte, die die
Angstmacherei, die Beleidigung und die Verquickung mit der extremen Rechten
nutzten, um das zu verbergen, was wirklich auf dem Spiel stand und die so viele
Ressourcen mobilisierten, verglichen mit den lächerlichen Geldmitteln der
Aktivisten des „Nein“.
Sie wollten ein Plebiszit
für eine körperlose Vorstellung von Europa und bitte sehr: Das „Nein“ hat dem
Neoliberalismus eine Rüge erteilt.
Das ist eine vernichtende
Niederlage für diejenigen, die von einer liberalen Gesellschaft träumen, die
von den Hindernissen befreit ist, die der Widerstand der Welt der Arbeit und
des Volkes dieses Landes darstellen, die im Laufe der Kampagne ihr Projekt
allerdings niemals akzeptiert haben. Es ist das Projekt einer auf dem Profit,
dem Wettbewerb, der Konkurrenz und der Ungleichheit – anstelle der Gleichheit,
der Kooperation und der Solidarität – als treibenden Kräften beruhenden
Gesellschaft. Sicherlich kann dieser Sieg die kapitalistische Dampfwalze nicht
mit einem Schlag umkehren. Dieses Europa wird weiterhin Direktiven entwerfen,
die die sozialen Rechte angreifen und die Regierungen werden mit ihrer
neoliberalen Offensive fortfahren. Sie werden allerdings gezwungen sein, dies
in einem anderen Kontext zu tun.
Sie werden es angesichts
eines sozialen und demokratischen „Nein“ der Völker und der Arbeiter (travailleurs)
tun müssen, die diese Gesellschaft des Profits ablehnen, um eine andere
vorzuschlagen. Dieses soziale und demokratische „Nein“ wendet sich an das
gesamte Europa, an die Bevölkerungen des Ostens wie an diejenigen des Westens,
die die Zerstörung ihrer sozialen Rechte erleben. Es ist eine riesige Ermutigung
für die (sogar sehr zahlreichen) Kräfte, die meinen, dass ein anderes Europa
unter der Bedingung möglich ist, dass dieses liberal-kapitalistische Europa
bezwungen wird. Es liegt an uns, die wir diese Verfassung ablehnen, europäische
Initiativen vorzuschlagen, die ein anderes Europa entwerfen. Ein Europa, das
die sozialen und demokratischen Rechte nach oben hin harmonisiert. Ein Europa,
das soziale Konvergenzkriterien, die Einführung eines europäischen
Mindestlohnes, eine gemeinsame Kapitalbesteuerung und die Schaffung wahrhaft
europäischer öffentlicher Dienste zu seinen Prioritäten macht. Ein Europa, das
das Abtreibungsrecht auf alle Frauen und die gleichen Rechte auf alle hier
lebenden Ausländer ausdehnt. Und schließlich ein Europa des Friedens und der
solidarischen Kooperation mit dem Süden, das der NATO und der im Vertrag
festgeschriebenen Militarisierung den Rücken kehrt.
Chirac und Raffarin, die die
an den Marmortischen, an denen der Vertrag ausgehandelt wurde, verfasste
liberale Politik betrieben haben, mussten einmal mehr eine schwere Niederlage
einstecken. Diejenigen, die das Chaos und die Krise an die Wand gemalt haben,
sind mehr denn je illegitim. Sie müssen zurücktreten! Das Parlament, das diesen Vertrag mit fast 90%
<der Abgeordnetenstimmen> ratifiziert hätte, repräsentiert das reale Land
nicht. Diese Versammlung muss aufgelöst und es müssen Neuwahlen angesetzt
werden! Kann man Chirac die Aufgabe überlassen, einen zukünftigen Plan B
auszuhandeln, der den Sieg des Lagers des sozialen „Nein“ rauben würde? Kann
man es etwa der Regierung überlassen, mit dieser antisozialen Politik weitere
zwei Jahre fortzufahren? Und die nächste <National->
Versammlung muss nach einem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Die
Unternehmerschaft, die bis zum Letzten für ein Projekt mobilisiert hat, das im
wesentlichen ihres ist, hat einen harten Rückschlag erlitten. Es liegt an uns,
diese Schwächung der Rechten und der Unternehmerschaft zu nutzen, ohne auf 2007
zu warten, um soziale Rache zu nehmen. Von diesem Standpunkt aus weisen die
jüngsten Kämpfe bei IBM und Total den Weg: Den der Verallgemeinerung der
Kämpfe. Auf der Linken haben die Führung der Sozialistischen Partei (PS) und
der Grünen, indem sie sich mit der Rechten verbündeten, versucht, diese Art der
Verfassung durchzusetzen. Auch sie wurden hart abgestraft und ebenso alle
Kräfte, die sich zu Trägern der neoliberalen Politik gemacht haben. Es gibt in
diesem Land ganz ohne Zweifel zwei Linke: Eine liberale Linke, die die
Verpflichtungen eines immer wilderen und brutaleren Kapitalismus akzeptiert und
die liberalen Gegenreformen begleitet. Diejenige Linke, die das Desaster des
21. April 2002 provoziert hat <als bei den Präsidentschaftswahlen nur der Rechte Chirac und
Rechtsradikalke Le Pen in die Stichwahl kamen>, diejenige, die die Projekte der Rechten nicht bekämpft und die
letztlich dasselbe wirtschaftliche und soziale Projekt verfolgt wie die Rechte.
In dieser Kampagne ist
allerdings <auch> eine andere Linke, ein anderes Lager hervorgetreten.
Das soziale und
demokratische „Nein“ war das Ereignis dieser Kampagne. Es hat die
richtigen Fragen gestellt, gegen eine Lügenkampagne gekämpft und die wirkliche
Debatte, die das Land beschäftigt, in den Mittelpunkt gestellt: Pro oder Contra
den Liberalismus? Angesichts der Brutalität der Unternehmeroffensive
resignieren oder rebellieren? Tausende von Debatten, Hunderte von Meetings, an
die tausend Kollektive, die den geölten Ratifizierungsmechanismus des liberalen
und antidemokratischen Betruges gestört haben, den diese Verfassung darstellte.
Indem es alle diejenigen vereinte, die seit Jahren kämpfen und Widerstand
leisten, trägt das „Nein“ die Hoffnung auf eine andere Welt, ein anderes
Europa, eine andere Politik in sich. Dieses „Nein“ ist unsere Zukunft. Es wird
von den Kämpfen der Arbeiter und der Jugendlichen angetrieben. Es rührt vom
Kampf der alternativ globalisierenden (altermondialiste) Bewegung her.
Es hat die Konvergenz von Militanten der LCR, des PCF, der Ökologisten und der
für ein antiliberales „Nein“ eintretenden Sozialisten ermöglicht und das
Zusammentreffen dieser Militanten mit den in Gewerkschaften und Vereinigungen
Aktiven ermöglicht. Die Kräftekonvergenz, diese Erhebung des Frankreichs von
unten ist das wichtigste Ereignis dieser Kampagne. Das Engagement zahlreicher
Gewerkschaftsaktivisten, von Gewerkschaftsgruppen und von Attac war für den
Erfolg der Kampagne entscheidend. Das alles hat die Überwindung vieler
Hindernisse für die Konvergenz der Kräfte ermöglicht. Sie muss fortgesetzt
werden. Deshalb schlagen wir ein nationales Treffen der 1.000 Kollektive des
„Nein“ vor, um darüber zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Gegen die
Rechte und die Unternehmerschaft vorgehen: Eine Alternative gegen den liberalen
Kapitalismus in Europa wie in Frankreich vorschlagen, die den immer
Zahlreicheren neue Hoffnung gibt, die nicht resignieren und die bronzenen
Gesetze dieser kapitalistischen Gesellschaft nicht akzeptieren. Die politischen
Kräfte, die sich im antiliberalen Rahmen des Appells der 200 zusammengefunden
haben, müssen sich – das schlagen wir vor – ebenfalls rasch treffen, um diese
Perspektiven zu entwickeln.
Auf europäischer Ebene muss
ein Europäisches Sozialforum möglichst bald die Umrisse eines anderen,
sozialen, solidarischen und demokratischen Europas skizzieren. Ein konstituierender
/ verfassungsgebender demokratischer Prozess muss zur Diskussion gestellt
werden.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover