Gewerkschaftsforum Hannover:
Geht es darum neoliberale Gegenreformen zu lancieren, werden (zumindest
in Deutschland) gern andere Länder als Modell präsentiert und die Nachahmung
der dortigen Zustände empfohlen – damit man “konkurrenzfähig”
bleibe. Galt den Kapitalstrategen und ihren Lohnschreibern zunächst die USA als
hervorragendes Vorbild, so wurde dieses nach einiger Zeit vom niederländischen “Poldermodell” abgelöst. Später dann trat
(parallel zur Einführung von Hartz IV) das britische
und das dänische “Workfare”-Modell ins Rampenlicht,
anschließend die Slowakei (!) als Beispiel für eine radikale Senkung der
Kapitalsteuern etc. Diese „Modelle“
erleben regelrechte Konjunkturen. Werden je nach Bedarf und öffentlichem
Bewusstseinsstand aus dem Zylinder gezaubert oder verschwinden für eine Weile
wieder darin. Nachdem es um das Poldermodell der “Lohnzurückhaltung”, „Flexibilisierung” und Selbstvermarktung
der Lohnabhängigen eine Zeitlang recht still geworden war, lässt die nun in
Holland aufgeflammte Diskussion über eine Aufweichung des Kündigungsschutzes
vermuten, dass wir in naher Zukunft wieder verstärkt damit konfrontiert werden.
Schließlich ist die Beseitigung des Kündigungsschutzes oder zumindest seine
weitgehende Aushöhlung auch in der BRD eine der zentralen Forderung der
Bourgeoisie. Der Bericht der “Neuen Zürcher Zeitung” (www.nzz.ch) vom 4.11.2006 über die
Situation in den Niederlanden ist also auch hierzulande sehr empfehlenswert.
Kündigungsschutz als Wahlkampfthema
Niederländische Arbeitgeber sehen dringenden Reformbedarf
In den Niederlanden
haben die Christlichdemokraten eine Aufweichung des Kündigungsschutzes zum
Wahlkampfthema erklärt. Die überraschende Nachricht wurde jedoch nicht durch
die Partei selbst, sondern durch das Haager Planbüro publik gemacht.
vau. Amsterdam, 1. November
Es gibt Themen, von welchen
Politiker im Wahlkampf lieber die Finger lassen. Im Fall der Niederlande trifft
dies unter anderem beim Kündigungsschutz zu. Der einflussreiche Sociaal Economische Raad (SER), in dem Regierungsvertreter und Arbeitgeber-
und Arbeitnehmerorganisationen vertreten sind, konnte sich auch nach mehr als
einjähriger Diskussion auf keinen gemeinsamen Standpunkt verständigen.
Möglicherweise wird der SER aber doch noch vor Jahresende mit einem Vorschlag
für die kommende Regierung kommen. Im Prinzip sind sich die Sozialpartner
einig, dass sich in der Frage eine Reform aufdrängt, da das heutige System äusserst bürokratisch, wenig transparent und überdies
kostspielig ist. Immerhin ist es seit Anfang Oktober nicht länger nötig, eine
durch den Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung formell anzufechten, um in den
Genuss einer Arbeitslosenunterstützung zu kommen. Voraussetzung dafür ist aber,
dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Einigkeit über die Entlassung als
solche und über die Abgangsentschädigung besteht. Vor allem bei
Reorganisationen erleichtert diese Anpassung die Prozedur um ein Vielfaches.
In allen anderen Fällen haben die
Konfliktparteien zwei Möglichkeiten: Sie rufen eines der 62 Kantonsgerichte im
Lande an oder melden sich beim Centra voor Werk en Inkomen (CWI),
dem früheren Arbeitsbüro, das unter anderem bei Arbeitskonflikten vermittelt. Das
Gericht wird meist bei Konflikten angerufen, damit das Arbeitsverhältnis
möglichst schnell aufgelöst werden kann. Für die Arbeitgeberseite ist dieser
schnelle Weg aber recht teuer, weil die Richter in der Regel für jedes bei
einem Unternehmen geleistete Dienstjahr eine Entschädigung von einem
Monatsgehalt festlegen. 2005 legten die Richter, die rund die Hälfte der
hunderttausend Dossiers zu beurteilen hatten, in neun von zehn Fällen den
Arbeitgebern die Verpflichtung auf, eine Abgangsentschädigung zu bezahlen. Beim
CWI war dies bei knapp der Hälfte der Fall. Die Behörde benötigt jedoch in der
Regel sechs Wochen, um eine Entscheidung zu formulieren - deutlich länger als
die Richter. Der Umfang der Vergütung beträgt in 50% der Fälle weniger als
20 000 Euro, in 10% mussten aber mehr als 100 000 Euro
bezahlt werden. Mittlerweile plädieren selbst die Gewerkschaften dafür, dass
sich künftig nur noch eine Instanz mit der Problematik auseinandersetzt. Die
Forderung des Arbeitgeberverbandes VNO-NCW, Kündigungen für die
Arbeitgeberseite billiger zu machen, weisen die Arbeitnehmerorganisationen
allerdings weit von sich.
Eine gewisse Schützenhilfe bekommen die
Arbeitgeber dieser Tage von den Christlichdemokraten (CDA). Die Partei von
Ministerpräsident Jan Peter Balkenende hat das heisse Thema zwar nicht offiziell ins Wahlkampfprogramm
aufgenommen, stattdessen wurden die Absichten der CDA durch das Haager Planbüro
kundgetan, nachdem dieses sämtliche Parteiprogramme unter die Lupe genommen
hatte. Von einer Aufweichung des Kündigungsschutzes will die Partei offiziell
nichts wissen, lieber spricht sie von einem noch besseren Schutz für die
Arbeitnehmer. Sie will künftig von der formellen Zustimmung des CWI bei
Entlassungen gänzlich absehen und eine Obergrenze der Abgangsentschädigung von
etwas mehr als sechs Monatslöhnen festlegen. Ferner plädiert die Partei dafür,
dass die durch die Richter gesprochenen Entschädigungen nicht länger höher
ausfallen.
Die Frage des Kündigungsschutzes hat
inzwischen zu einem ersten Schlagabtausch zwischen Balkenende
und dem Spitzenkandidaten der oppositionellen sozialdemokratischen
Arbeitspartei PvdA, Wouter
Bos, geführt. Balkenende nannte die Kritik seines
Kontrahenten an den Plänen seiner Partei unehrlich, weil dieser im April noch
erklärt habe, eine Lockerung des Kündigungsschutzes sei auch für die PvdA kein Tabuthema mehr.
Vorbemerkung: Gewerkschaftsforum Hannover