Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Mit großer Mühe, großem Bangen und
äußerst knapp (bei der Wahl der Abgeordnetenkammer mit 49,8% gegen 49,7%) gelang
bei den italienischen Parlamentswahlen vom 9./10. April 2006 die Ablösung des
bereits totgesagten Silvio Berlusconi als Regierungschef. „Berluskaiser“
hätte sich, dank seines ebenso geschickten und engagierten wie skrupellosen und
demagogischen Wahlkampfes, trotz allem beinahe noch im Amt gehalten. Am Ende
waren die Stimmen der im Ausland lebenden Italienern bei der Zusammensetzung
des Senats entscheidend und hatte sich „il Cavaliere“ (der Kavalier) mit
seinem trickreichen neuen Wahlgesetz selbst reingelegt. Ein solches Ergebnis
nach 5 Jahren reichhaltiger Erfahrung mit gebrochenen Wahlversprechen,
wirtschaftlichem Niedergang, massiven Angriffen auf die Lohnabhängigen und die
Linke, Schiebereien in eigener Sache, den italienischen Besatzungstruppen im
Irak, zahlreichen (General-)Streiks, Demonstrationen, den linksliberalen „Girotondi“
und der Antiglobalisie-rungsbewegung sagt einiges über den allgemeinen
Bewusstseinsstand und den Charakter der am Ende siegreichen Mitte-Links-Union
unter Romano Prodi aus. Prodis zweite Regierung (nach 1996-98) wird alt
geboren. Auf ihrer „Agenda“ steht, allen Illusionen zum Trotz, vor allem
eine „Schweiß & Tränen-Politik“ zur Einhaltung der
Maastricht-Kriterien sowie einer weiteren Flexibilierung und Prekarisierung der
Lohnarbeit. „Damit Italien“ in der kapitalistischen Konkurrenz „wieder
siegt“. So Prodis Leitmotiv im Wahlkampf. Keine formale „Große
Koalition“ also, wie sie von den wichtigsten bürgerlichen Kommentatoren
gefordert wird, sondern eine faktische, die sich der Unterstützung durch
Rifondazione Comunista, PdCI, Grüne, die Gewerkschaftszentrale CGIL und die No
globals solange bedient wie es geht und erst wenn diese verschlissen sind,
zum offenen Bündnis mit den rechten Christdemokraten der UDC und anderen
übergehen wird. Der folgende Leitartikel von Rossana Rossanda für die linke
Tageszeitung „il manifesto“ vom 11.4.2006
setzt sich mit diesem Wahlergebnis auseinander. (Dabei kannte sie das Votum der
Auslandsitaliener zum Senat noch nicht.)
Zur Person:
Die 1924 geborene, aber nach wie vor sehr aktive, Rossana Rossanda, lebt
in Rom und war in den 50er und 60er Jahren (als Vertreterin des linken Flügels)
Mitglied des Zentralkomitees der italienischen KP (PCI). Nachdem sie
Ende der 60er Jahre zusammen mit anderen ausgeschlossen wurde, widmete sie sich
dem Aufbau der Zeitung und der kommunistischen Gruppe “il manifesto”,
die zunächst moderat maoistisch, vor allem aber bewegungsorientiert war und
später mit anderen Linken die Partei der Proletarischen Einheit (PdUP)
schuf. Seit diese Partei Ende der 70er Jahre wieder auseinander fiel, ist sie
parteipolitisch nicht mehr organisiert und konzentriert sich auf ihre Tätigkeit
als linke Journalistin und Publizistin. In “il manifesto” kommentiert
sie regelmäßig die wichtigsten innen- und außenpolitischen Entwicklungen. In
deutscher Sprache sind von ihr u.a. erschienen: “Über die Dialektik von
Kontinuität und Bruch – Zur Kritik revolutionärer Erfahrungen in Italien,
Frankreich, der Sowjetunion ...” (Frankfurt/M. 1975), “Auch für mich –
Aufsätze zu Politik und Kultur” (Hamburg 1994) und zusammen mit Pietro
Ingrao: “Verabredungen zum Jahrhundertende – Eine Debatte über die
Entwicklung des Kapitalismus und die Aufgaben der Linken” (Hamburg 1996). Ihr
neuestes Buch „La ragazza del secolo scorso“ (Das Mädchen aus dem
vergangenen Jahrhundert; Einaudi-Verlag) ist in der italienischen Linken
bereits jetzt ein Verkaufsschlager. Die 385 Seiten fassen ihre politischen
Erinnerungen bis Ende der 70er Jahre zusammen. Falls es unsere Zeit erlaubt,
werden wir versuchen, in nächster Zeit ein oder zwei Kapitel daraus zu
übersetzen.
Editorial:
Ein krankes Land
ROSSANA ROSSANDA
Die Mitte-Links-Koalition
hat es nicht geschafft. Prodi hat nicht gewonnen und Berlusconi hat nicht
gewonnen. Man bewegt sich auf ein Unentschieden zu, das durch den schlechten
Mechanismus des Wahlgesetzes noch verschlimmert wird. Es eröffnet sich ein
unsicheres, politisch aber sicherlich negatives Szenario. Wir stehen vor einer
Wahl mit hoher Wahlbeteiligung, die durch Berlusconis Aggressivität geprägt
war, der auf die trübesten Instinkte des Landes gesetzt und es um ein Haar
geschafft hätte. Obwohl es schien, dass er bereits verloren hatte. Weder die
großen Zeitungen noch die <Industriellenvereinigung>
Confindustria noch die Banken waren mehr auf seiner Seite. Er wurde nur noch
von Ratzingers Kirche und dem Portefeuille eines weit verbreiteten gehobenen,
mittleren und Kleineigentums unterstützt, dass er in unverschämter Weise
beschützt hatte und dass sich erbittert wehrte.
Das Unentschieden ist nicht
nur eines in Italien. Innerhalb der Bündnisse gab es keine großen
Verschiebungen. Berlusconi bleibt mit großem Abstand der stärkste Führer der
Mitte-Rechten. Die Agitation der <führenden UDC’ler> Follini und Casini richtete
keinen großen Schaden an. Letztendlich nutzte sie ihm sogar. Im
Mitte-Links-Bündnis ist der einzige deutliche Erfolg der von Rifondazione,
allerdings eingebettet in eine Gesamtsituation, die dessen Wert nicht
vervielfacht. Die Rosa nel Pugno <Rose in der Faust = laizistisches Bündnis des größten
PSI-Überbleibsels SDI mit der neoliberalen Radikalen Partei von Marco Pannella
und Emma Bonino> zeigt, auch wenn sie
ein besseres Wahlergebnis anstrebte (und das hier ist besser als nichts!), dass
man auch in Italien in der Ehrerbietung für den Vatikan nicht über eine
bestimmte Grenze hinausgehen kann. Und das ist alles.
Das größere Problem und
zudem eines, das zu unterschätzen Wahnsinn wäre, besteht darin, dass – im
Unterschied zur Situation vor kaum 20 Jahren – von 100 Italienern, die man auf
der Strasse, im Bus oder im Zug trifft, 48 eine unbegrenzte Rechte gewählt
haben, die sich noch nicht einmal gegenüber dem Faschismus abgrenzt. Das
geschieht in keinem anderen Land Westeuropas. Diese Rechte hat sich in der sog.
Zivilgesellschaft verankert. Auch aufgrund der nur sehr kläglichen / leisen
Verurteilung auf die sie in den Institutionen (angefangen beim Quirinalspalast <dem Sitz des italienischen
Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi>)
stieß, der die Grundprinzipien der Republik, deren Garant er sein sollte, nicht
mit Nachdruck verteidigte. Und auch die Opposition hat nicht begriffen, was auf
dem Spiel stand als sie sich für die Gutmütigkeit entschied. Dass Berlusconi
jede Grenze des Anstands überschritt, bedeutete nicht, dass sie den Extremismus
und die Missachtung jedes Prinzips einer nicht nur formalen Demokratie nicht in
harter Form hätte verurteilen können. In jedem Land gibt es (genau wie in jedem
von uns) einen Bodensatz an ängstlichem und erschreckendem Egoismus, der nicht
akzeptiert werden darf. Eine Demokratie ist nicht gehalten, alles zu
repräsentieren. Die Verfassung ist keine Option <an die man sich hält oder nicht>. Und auch diejenigen, die die Anti-Politik
verbreitet haben und annahmen, sie seien weiter links angesiedelt, sollten
heute ins Grübeln geraten.
Ein Land, dass (nicht, wie
man dahergeschwätzt hat, durch Ideologien, sondern) durch grundlegende soziale
Widersprüche gespalten ist, kann sich keine Mehrheit geben, die (ich sage
nicht: über eine breite Zustimmung verfügt, sondern) einen Vermittlungsspielraum
ermöglicht. In unserem Land ist es jedes Mal so, dass die Rechte sich
konsolidiert. Sie trägt eine subversive Konnotation in sich. Wie auch immer das
<endgültige> Wahlergebnis aussieht, dass uns in den nächsten
Stunden erwartet (wir schreiben noch am Rande der Unsicherheit): Italien ist
krank ! Tun wir alles, damit das nicht
in Vergessenheit gerät.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover