Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
In dem folgenden, hier erstmals ins Deutsche übersetzten, Beitrag äußern sich Alberto Burgio (Professor für Philosophie an der Uni Bologna und nationaler Verantwortlicher von Rifondazione Comunista für den Bereich Justiz) sowie Claudio Grassi (Mitglied des 5köpfigen Nationalen Sekretariates von Rifondazione) zur Bedeutung der Friedensfrage innerhalb der in Italien vorhandenen außerparlamentarischen Bewegungen, skizzieren die Weltlage aus ihrer Sicht und versuchen den drohenden Krieg gegen den Irak marxistisch einzuordnen. Beide sind zwar Leitungsmitglieder von Rifondazione, allerdings als Vertreter einer oppositionellen Strömung, die sich selbst als leninistisch betrachtet und in Theoriefragen und was die Rolle der Arbeiterbewegung anbelangt links von Parteichef Bertinotti steht, während sie in puncto parlamentarische und Wahlallianzen eher rechts von ihm angesiedelt ist. Daß dieser, in der links-unabhängigen Tageszeitung il manifesto vom 5.9.2002 erschienene, Beitrag - gerade in seinem weltpolitischen Teil - alles andere als dementiert oder unaktuell geworden ist, sieht man u.a. daran, daß er auch auf mehreren linksradikalen italienischen Websites zu finden ist, auch wenn die von den Autoren eingeforderte Anti-Kriegsmobilisierung mittlerweile (seit der zentralen Demo von Rifondazione Ende September 2002 und dem Europäischen Sozialforum in Florenz Anfang November 2002) in vollem Gange ist. Obwohl die politisch-inhaltliche Verbindung zu den anderen Themen weiterhin zu wünschen übrig läßt.
Konservierungskrieg
Bush wird den Irak angreifen, um die gegenwärtigen, in der Krise befindlichen, internationalen Machthierarchien zu verteidigen.
Ein Vorschlag, um ihn zu bekämpfen.
Alberto Burgio + Claudio Grassi
Im Laufe der Tage mehren sich die Anzeichen für eine kurz bevorstehende Wiederaufnahme des Krieges gegen den Irak in großem Stil. In Washington übertönt die Stimme der Falken (angefangen beim Vizepräsidenten Cheney) die immer kläglichere Opposition der Tauben. In diese Richtung geht auch die amerikanische Offensive bezüglich der Straffreiheit der US-Soldaten, diese unerhörte Anmaßung, formal legitimiert zu sein, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Und die schamlose Inszenierung der eifrigsten Dienstboten (die Blairs und Berlusconis überschlagen sich darin, die Begründungen des Großen Verbündeten sofort zu unterstützen) tut auch nichts anderes als die pessimistischen Vorhersagen zu bestätigen. Bush ist so ungeduldig, daß er den Zeitpunkt zum Helm-Aufsetzen gar nicht abwarten kann. Deshalb ruft er die Vasallen zur Ordnung. Dies ist der Punkt. Dies ist der entscheidende Aspekt des politischen Augenblickes und es ist schlecht, daß man vielerorts dazu neigt, ihn zu marginalisieren. Fast so als würden der Krieg und der soziale oder institutionelle Konflikt zu verschiedenen Planeten gehören. Der Massenkampf um den <Kündigungsschutz-> Artikel 18, der sich im Rahmen des Herbstaufschwungs mit noch dringlicheren Begründungen auflädt, ist gut. Das wirtschaftliche Desaster, die Rückkehr der Inflation, der systematische Abbau des Gesundheitswesens und der öffentlichen Schule, der angekündigte Angriff auf die Renten bis hinab zu dem brutalen Ausfall von Frattini bezüglich der Tarifverträge im öffentlichen Dienst - das alles verdeutlicht, wie sehr es notwendig sein wird, sich für eine erbitterte und langwierige Auseinandersetzung zu rüsten, um einen Rückgang des Lebensstandards der Masse auf das Niveau der 50er Jahre zu verhindern. Und auch die Ringelreihen-Demos (girotondi) in Sachen Justiz, zur Verteidigung dessen, was vom Rechtsstaat und vom Pluralismus im Mediensystem übrigbleibt, sind sehr gut. Es wäre gut, sich ein für alle mal darüber klar zu werden, daß - falls das piduistische Projekt der Regierung durchkommen sollte - jener mögliche Sieg im sozialen Konflikt von der Exekutive auf legalem Wege zunichte gemacht werden könnte und daß, solange der Konflikt zwischen den institutionellen Aufgaben und den privaten und verbrecherischen Interessen derjenigen, die regieren, bestehen bleibt, jeder Versuch wieder einen Block von Kräften aufzubauen, der in der Lage ist die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse umzustürzen, Gefahr läuft ein Schlag ins Wasser zu werden. Der Erfolg der Demonstrationen im September und dann des Generalstreiks <am 18.10.2002> ist daher ein Ziel von erstrangiger Bedeutung für die Demokratie dieses Landes. Leider nimmt man jedoch <nur> selten den Zusammenhang wahr, der diese Probleme mit der Frage des Krieges verbindet, die seit über 10 Jahren wieder im Mittelpunkt der internationalen politischen Szenerie steht.
Zuviele, auch auf der Linken, scheinen zu vergessen, daß der Krieg - heute mehr denn je - der reinste Ausdruck der politischen Herrschaft des Westens und in letzter Instanz der Stützpfeiler ist, auf dem die freiheitsfeindliche und destruktive Struktur des Kapitalismus beruht. Und so entgeht schätzungsweise zu Vielen, daß - wenn der neue Krieg (morgen, übermorgen oder in einem Monat) ausbricht - es keine Massenmobilisierung geben wird, die standhält und auch keinen Skandal wegen des Cirami-Gesetzes <mit dem sich Berlusconi und Seinesgleichen Straffreiheit oder weitgehenden Straferlaß, den Wechsel von einem unliebsamen zu einem wohlgesonneren Gericht etc. beschert> oder des diensthabenden Pitelli, wenn die Opposition im Lande und in den Institutionen bis dahin nicht das lauteste und uneingeschränkteste Nein zum Krieg und sowie die Verteidigung des Friedens gegen die Überheblichkeit der Vereinigten Staaten und ihrer treuesten Verbündeten in den Mittelpunkt der eigenen Forderungen gestellt hat.
Der Krieg, aber welcher Krieg, für wessen und für welche Ziele ? Während des vergangenen Jahres, nach dem 11.September und während Afghanistan unter Tonnen von mehr oder weniger intelligenten Bomben begraben wurde, hat sich um diese Fragen herum eine große Debatte entwickelt, bei der auf der Linken unterschiedliche und zuweilen unvereinbare Interpretationen dessen gegeneinander standen. In diesen letzten Monaten haben sich (seit Bush - noch nicht zufrieden mit den 1,5 Millionen Irakern, die aufgrund des Embargos starben - formal die Absicht erklärt hat, dem Papa nachzueifern und den Großteil der US-amerikanischen Kriegsmaschine in die Golf-Region zu verlagern, aus der die englischen und amerikanischen Flugzeuge übrigens niemals verschwunden sind) einige Fakten ereignet, die in jener Diskussion für Licht sorgen und es dadurch erlauben, in der Analyse und in der Fähigkeit zu Vorhersage und zum Widerspruch Schritte nach vorn zu machen. Versuchen wir die Begriffe der Debatte zusammenzufassen.
Zwei grundlegende Interpretationen standen sich gegenüber. Einige waren der Meinung, die Kriege, die in diesem Jahrzehnt vom Balkan über den Mittleren Osten bis nach Afghanistan aufeinander folgten, auf zwei Hauptursachen zurückführen zu können: Einerseits auf die geopolitischen Interessen der Vereinigten Staaten und ihrer wichtigsten Verbündeten (das Erfordernis, den aufstrebenden Mächten entgegenzutreten, die Kontrolle über die grundlegenden Energie- und Wasservorkommen zu erhöhen sowie Vormachtpositionen auf den neuen asiatischen Märkten zu erobern). Andererseits der vom militärisch-industriellen Komplex (über 85 000 Unternehmen, die in der Lage sind, die Stimmungen des Kongresses und den Ausgang der Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen) und vom amerikanischen Finanzsystem, auf dem das Gewicht eines astronomisch hohen Defizites lastet (man spricht von 400 Milliarden Dollar im Jahr bei einer Gesamtverschuldung von 18,8 Billionen Dollar, was dem doppelten BIP entspricht), das nur durch die aus dem Ausland kommenden und durch eine mögliche Abnahme der militärischen Vorherrschaft der USA bedrohten Investitionsflüsse finanzierbar ist, mit vereinten Kräften auf das Weiße Haus ausgeübte Druck. Anhand derartiger Betrachtungen sprachen diese Beobachter (die nicht alle notwendigerweise unerschütterlich treue Leninisten sind) weiterhin von Imperialismus und aktualisierten dabei diesen Ausdruck sogar, indem sie die gegenwärtige amerikanische Strategie im Allgemeinen als neo-merkantilistischen Imperialismus (Petras) oder als liberalen Imperialismus (Altvater) bezeichneten.
Dieser Interpretation wurde eine Lesart des internationalen Rahmens entgegengestellt, in deren Zentrum die von der sogenannten Globalisierung hervorgerufenen Veränderungen stehen. Vor dem Hintergrund der theoretisierten Souveränitätskrise der Nationalstaaten behauptete man, daß der Fall der Berliner Mauer nicht nur zum Ende des Bipolarismus geführt habe, sondern auch zur fortschreitenden Konstituierung einer neuen Weltordnung, in deren Mittelpunkt eine Art Direktorium stehe (eine Art unipolarer und oligarchischer Weltregierung) zu dem, dank eines Systems von Allianzen mit variabler Geometrie, nicht nur die Vereinigten Staaten mit ihren traditionellen Verbündeten (Europa, Israel und sogenannte gemäßigte arabische Staaten), sondern auch China, Rußland und Indien gehören würden. Der Krieg wäre in diesem Szenario nicht mehr das Instrument, um sich Ressourcen anzueignen oder den Radius des eigenen politischen Einflusses auszudehnen und auch nicht die unvermeidliche Konsequenz eines Reproduktions-Kommandosystems, das unfähig ist, sich aufrechtzuerhalten, ohne zu neuen Konflikten zu führen, sondern ein <Selbst->Zweck, da die Instabilität des Planeten per sé die neue Form der globalen Herrschaft wäre. Vor dem Hintergrund dieser Darstellung hat man daher - in mehr oder weniger zusammenhängender Weise - Bezug auf diverse imperiale Theorien genommen: von jener Negri/Hardts bis hin zu der des gegenwärtigen Präsidenten <der italienischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt> RAI, Baldassare. Alle fingen an es für ausgemacht zu halten, daß es das Imperium nunmehr gibt und daß der Präsident der USA der Imperator ist, außer daß auch er Ihre Majestät, das Kapital, berücksichtigen muß, das mittlerweile derart mächtig ist, daß es - wie jeder Gott, der etwas auf sich hält - gleichzeitig ortlos und allgegenwärtig ist.
Wir haben gesagt, daß es die Ereignisse der letzten Wochen erlauben, den Plausibilitätsgrad dieser beiden Hypothesen mit Sachkenntnis zu messen. Eine endlich mal von allen Beobachtern anerkannte Tatsache drängt sich besonders auf: Bush ist allein ! In der Heimat folgen nicht mehr als 51% der Amerikaner ihm in seinen kriegstreiberischen Proklamationen (am Tag nach dem Angriff auf Ground Zero waren es über 90%). Und vor allem draußen <folgt man ihm nicht>. China sagt klar und deutlich, daß es den möglichen Angriff auf den Irak als illegitim betrachtet. Und genauso Rußland, das in der Zwischenzeit tüchtig militärische und industrielle Kooperationsabkommen mit den Schurkenstaaten abschließt (Iran und Irak inbegriffen). Die arabischen Staaten (Saudi Arabien, Kuwait und Bahrein eingeschlossen) ihrerseits scharen sich um Bagdad und sogar die treue Türkei widersetzt sich angesichts der Aussicht die Basen für die Luftangriffe stellen zu müssen. In Europa gebrauchen Frankreich und Deutschland - vorsichtig gesagt - respektlose Töne, um ihren Dissens zu manifestieren, was selbst Blair dazu verleitet, einige Tage lang so zu tun als ob er den amerikanischen Freund zu sanfteren Aussagen bewegen wollte. Ergebnis: Die Amerikaner beginnen damit zu drohen, es allein zu machen, von der Kluft zu sprechen, die sich zwischen den beiden Ufern des Atlantiks aufgetan habe, und - zur Bestürzung <des letzten italienischen Mitte-Links-Ministerpräsidenten> Giuliano Amato und des Corriere della Sera - den Tod des Abendlandes" <Westens> anzukündigen.
Nun geht es nicht darum, von neuen antiimperialistischen Lagern zu träumen, sondern um eine Tatsache, die man sicherlich nicht ignorieren kann. Die Welt erlebt einen, von großen Machtblöcken verfolgten Kollisionskurs. Machtblöcken, die sich aufgrund fundamentaler ökonomischer (Ressourcen, Märkte, Kapitale) und politischer (Bündnisse, Territorien, Kulturen) Interessen gegenüberstehen. China hat bereits seit einem Jahrzehnt den Weg der wirtschaftlichen Konkurrenz mit den USA eingeschlagen. Der Euro ersetzt in den Geldschränken der OPEC den Dollar. Rußland festigt die eigenen Verbindungen im Mittleren Osten. Die islamische Welt findet in der westlichen Aggressivität ein unverhofftes Klebemittel. Lassen wir denjenigen, denen es Spaß macht, den Moden zu folgen, (den neuen Menschen, die in einer ewigen Gegenwart leben, um es mit Eric Hobsbawm zu sagen) die Phantasien von neuen Imperien. Das Problem ist ein ganz anderes. Den Krieg wird es geben, weil zuviele stattfindende Prozesse die noch existierenden Machthierarchien an den Fundamenten untergraben. Dies ist der <entscheidende> Punkt und ihn aus den Augen zu verlieren, wäre zuallererst für diejenigen fatal, die versuchen die Arbeiterbewegung nach der, im Verlaufe der letzten 25 Jahre erlittenen, historischen Niederlage zu einem neuen Aufschwung zu führen.
Was also tun ? Wir möchten mit einem konkreten und sofort praktizierbaren Vorschlag beginnen. Es erwartet uns (wir erinnerten zu Beginn daran) eine bedeutende Phase politischer und sozialer Kämpfe. Am 14.September die girotondi <Ringelreihen-Demos für die Unabhängigkeit der bürgerlichen Justiz und bürgerlichen Medienpluralismus>, die von Rifondazione initiierte nationale Manifestation am 28. September, dann der von der CGIL ausgerufene Generalstreik - also der Frühling der Referenden. Warum da nicht auch an die Einberufung eines Friedensforums denken, das alle Subjekte (Bewegungen, Vereinigungen, Parteien, Gruppen und Einzelpersonen) umfaßt, die die Ablehnung des Krieges und das aktive Eintreten für eine Friedenspolitik auf ihrer Prioritätenliste ganz oben anstellen ? Dies könnte unserer Ansicht nach eine wirkungsvolle Antwort auf die Kriegswinde sein, die sich über unseren Köpfen zusammenbrauen. Eine Initiative, die in der Lage ist die politischen Kräfte dazu zu zwingen in bezug auf eine Materie, die keine Taktierereien erlaubt, ohne Schwankungen Partei zu ergreifen. Und es ist eine unverzichtbare Ergänzung der Kampfinitiativen gegen die Regierung Berlusconi, die in diesem Herbst bereits auf dem Kalender stehen.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover