Anfang Februar fand nach fast 6 Jahren der von der Führung unter Generalsekretär Sergio Cofferati mehrmals hinausgezögerte Kongreß der CGIL statt. Während es im Vorfeld zu heftiger Kritik des wiedervereinigten und gestärkten linken Flügels an der von Cofferati verfolgten (desaströsen) Politik der Konzertierten Aktion mit Regierung und dem wichtigsten “Unternehmer”verband Confindustria kam, stand der Kongreß des größten italienischen Gewerkschaftsbundes dann ganz im Zeichen der heftigen Auseinandersetzung um die Aufweichung des Kündigungsschutzes (in Artikel 18 des Arbeiterstatutes) sowie den weiteren Angriff auf das Rentensystem und den Sozialstaat mittels parlamentarischer Blankovollmachten, die auch für Cofferatis Mehrheit nicht hinnehmbar ist. In dieser Frage war es zu einem tiefen Riß im Verhältnis zu den beiden anderen großen sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünden CISL und UIL gekommen, die bereit waren sich von Berlusconi über den Tisch ziehen zu lassen und möglicherweise sogar die Rolle der “privilegierten” Regierungsgewerkschaft(en) zu übernehmen. Diese Entwicklung zwang Cofferati zu einer Wendung nach links und ließ ihn im Vorfeld auf ein gemeinsames Grundsatzdokument mit der CGIL-Linken hinarbeiten. (Näheres dazu in den nebenstehenden Artikeln über die zuvor abgehaltenen CGIL-Regionalkongresse der Lombardei und der Toskana.) Die CGIL-Linke konnte ihren innergewerkschaftlichen Einfluß ausdehnen. Sie stellte dieses Mal 18% der Delegierten gegenüber 14% auf dem letzten Kongreß. Sergio Cofferatis Mandat als Generalsekretär wurde - zur Führung der aktuellen Auseinandersetzung mit der Regierung Berlusconi (u.a. Massendemonstration am 23.3. und achtstündiger Generalstreik am 16.4.2002) - bis Juni 2002 verlängert. Dann scheidet er wegen Erreichens der Altersgrenze aus und der jetzige stellvtr. Generalsekretär Guglielmo Epifani (ein ehemaliger PSI’ler) wird sein Amt übernehmen. Derzeit rechnen alle Beobachter damit, daß Cofferati, der dem breiten linken Flügel der Linksdemokraten (DS) angehört, dann eine führende Rolle in seiner Partei einnehmen wird, auch wenn er dies nach wie vor vehement bestreitet.
Zur politischen Bewertung des CGIL-Kongresses und des - Mitte März wieder notdürftig gekitteten Risses zwischen CGIL, CISL und UIL - hier die Übersetzung zweier Kommentare der bekannten linken Publizistin Rossana Rossanda in der von ihr Ende der 60er Jahre mitgegründeten unabhängigen linken Tageszeitung “il manifesto” vom 7. und 8.2.2002.
il manifesto 7.2.2002:
Eine politische Rede
Rossana Rossanda
Stark und vernünftig ist der Eindruck der CGIL, den Cofferati von Rimini aussenden wollte als er eine Versammlung eröffnete, die ihn wegen des wachsenden Applauses fast nicht beginnen ließ. Den Delegierten, die aus monatelangen Kämpfen ohnegleichen in den letzten Jahren und im restlichen Europa kamen und sich auf einen Generalstreik vorbereiten, den durchzuführen sie entschlossen sind, hat Cofferati allerdings sehr wenig Emotion erlaubt. Er hat sich kaum über die Breite der Mobilisierung gefreut und kleinlicherweise jene FIOM1 vergessen, die allein den Weg geebnet hatte, den sich heute der gesamte Gewerkschaftsbund zu eigen zu machen scheint.
Das, was ihm unter den Nägeln brannte, war zu zeigen, daß die CGIL nicht nur eine zum Widerstand der unter Feuer stehenden Arbeiter entschlossene Bewegung, sondern heute das größte politische Oppositionssubjekt ist. Daß sie von einer Regierung dazu gezwungen worden ist, die darauf abzielt in wenigen Monaten die materielle Verfassung des Landes umzukehren, und von einer Linken, die sich nicht einmal mehr bewußt zu machen scheint wie, indem die Arbeitsrechte niedergerissen, indem die Instrumente der Tarifverhandlung zerstört und immer größere Teile des Einkommens auf Kosten der Löhne und der Renten an die Unternehmen übertragen werden und eine alte Klassenschule in einer ganz und gar betrieblichen Optik wiederhergestellt wird, die Regierung sogar die Spielräume der formalen demokratischen Dialektik wieder einengt.
Ein reaktionäres und kurzsichtiges Projekt einer Unternehmerschaft, die, da sie nicht mehr auf die Abwertung der Währung zählen kann, nocheinmal auf die Kostenreduzierung setzt anstatt auf die Produktinnovation, was das Lieblingsthema des Generalsekretärs der CGIL ist seit D’Amato die Leitung der Confinsutria übernommen hat. Aber indem man so verfährt, verwehrt man dem Land sowohl den sozialen Zusammenhalt als auch das Wachstum und jede europäische Ambition. Niemals hat die Confindustria allerdings die Regierung, die parlamentarische Mehrheit und die Banca d’Italia bis hin zu Zentralbankchef Fazio - so sehr auf ihrer Seite gehabt wie heute. Der Sekretär der CGIL hat nicht mit Kritik an ihnen gespart und dabei sicherlich nicht vergessen, daß die Mitte-Linke ihn gern als Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten hätte.
Es ist eine Rede mehr als politischer denn als gewerkschaftlicher Führer gewesen. Den wärmsten Beifall der Versammlung hat sie <für die Stellungnahme> gegen den Krieg und zur Unterstützung der palästinensischen Bewegung gehabt. Dabei hat sie den kämpferischsten Teil, der eine stärkere Präzisierung der Ziele und der Forderungsstrategien gewollt hätte, vielleicht enttäuscht. Die politische Linke hat sie mit Unterkühltheit angehört. Linksdemokraten (DS) und Rifondazione Comunista waren infolge entgegengesetzter Gründe verärgert. Es war ein Reformist, der da sprach. Nicht mehr als das, aber auch nicht weniger.
Wir werden sehen in welche Richtung die Debatte gehen wird. Innerhalb
der CGIL beschreitet Cofferati einen schmalen Pfad zwischen einer Reduzierung
der Kampfbereitschaft, die die Mehrheit des DS-Bereiches von ihm fordert
und dem Verdacht der Mäßigung, der ihm von der internen Linken
entgegenschlägt. Wenn der Kongreß mit einer Neuzusammensetzung
zuende gehen wird (und wenn es die gibt, kann sie nur umfangreich sein),
wird das der “Chinese”2 erreicht haben und im Juni wird er seine Organisation
stärker verlassen als er sie <1994> vorgefunden hat.
il manifesto 8.2.2002:
Distanzierte
Rossana Rossanda
CISL und UIL haben sich distanziert. Bis gestern erklärten sie den Artikel 18 für unverzichtbar und noch heute räumen sie ein, daß seine Abschaffung oder Veränderung mehr Prekarität für alle bedeuten würde. Aber sie haben aus Rimini wissen lassen, daß sie nicht mit der CGIL die Streichung <der Neufassung des Artikel 18 durch die Berlusconi-Regierung> verlangen werden. Sie haben sogar unterstellt, daß die CGIL vielleicht darauf abzielen würde die Regierung zu stürzen. Aber bei dem bipolaren <italienischen Parteien- und Wahl-> System stürzen die Regierungen nicht “auf den Straßen” (sic) und man muß mit ihnen verhandeln. Egal was für einen Verhandlungstisch sie anbieten, was die Forderungen sind, sie werden verhandeln. Wenn die CGIL nicht dabei ist, werden sie allein verhandeln. Die Gewerkschaftseinheit ist eine labile Sache und soll es bleiben. Es braucht einiges, um eine höfliche Person wie Guglielmo Epifani zum Brüllen zu bringen, aber es ist ihnen gelungen. Es ist in der Tat gut sichtbar, daß CISL und UIL seit <der stellvtr. Ministerpräsident und Alleanza Nazionale-Parteichef> Gianfranco Fini, der geschickter ist als <Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni, ihnen den Knochen bezüglich des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst hingeworfen und damit den für den 15.Februar vorgesehenen Streik entschärft hat, wieder dazu zurückgekehrt sind auf ihrem bevorzugten Terrain zu spielen: dem der Regierung und der Machtverhältnisse innerhalb der Regierung. Dies um so mehr als sie hoffen, daß das Geschenk der Isolierung der CGIL, das sie ihr anbieten, gewürdigt wird.
Aber das ist kein großer Zug. Berlusconis Projekt ist zu klar:
Mit Hilfe der <Parlaments-> Vollmachten bezüglich Arbeit, Fiskus,
Vorsorge und Schule alle in Italien eroberten Kräfteverhältnisse
und Rechte zu verändern. <Die UIL-und CISL-Generalsekretäre>
Angeletti und Pezzotta werden nicht in der Lage sein diejenigen zu bremsen,
die die Führung der Protestbewegung inklusive des Generalstreikes
übernehmen werden. Sie haben daher mehr zu verlieren als zu gewinnen.
Während Cofferati, der - wenn er in diesen Tagen eine interne Front
hat, dann auf seiner Linken - bei den Vielen, die auf dem Kongreß
das Wort ergriffen haben, um mehr Radikalität und nicht weniger zu
fordern, nichts zu verlieren hat. Die Arbeiter sind bereits knapp <an
Geld und Rechten>. Sie haben bereits zuviel gegeben. Sie haben zuviel von
dem verloren, was sie in Italien errungen hatten. Die in den vergangenen
Jahren um sich greifende Philosophie (mit dem Wohlfahrtsstaat ein Ende
machen, auf den nationalen Tarifvertrag verzichten, den Arbeitsmarkt noch
mehr flexibilisieren, die Sozialausgaben reduzieren) hat aufgehört
zu verzaubern. Anderen, aber nicht den abhängig Beschäftigten
kann man Märchen von Modernisierung erzählen. Von den Rängen
des <CGIL-> Kongresses sind die Repräsentanten der Opposition verschwunden,
die diese Philosophie genährt hatte. Eine Ausnahme stellt dabei ein
nervöser <DS-Parteipräsident> Massimo D’Alema dar. Was werden
sie in den kommenden Wochen machen ? Wenn die CGIL, wie es scheint,
den Kongreß mit einer Wiederbelebung beendet, wird es nicht leicht
sein dem Land zu erklären, warum die Mitte-Linke und die Linke nicht
an ihrer Seite stehen. Eine unverdächtige Stimme (Emilio Gabaglio
vom EGB <und Mitglied der CISL !>) ist gekommen, um zu sagen, daß
das, was die Regierung Berlusconi derzeit tut, sich als eine bedrohliche
Tendenz in ganz Europa abzeichnet, daß sie dabei ist Verbündete
in Großbritannien und Spanien zu finden und daß es nötig
ist sie aufzuhalten. Der kommende Monat könnte ab <dem EU-Gipfel
in> Barcelona ein schlimmes Signal werden. Auf die CGIL schauen derzeit
die europäischen Gewerkschaften. Sie ist alles andere als allein.
Vorspann, Übersetzung, Fußnoten und Anmerkungen in
eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover