„junge Welt“ 16.06.2005
Wer krank wird, fliegt
Knebelvertrag für Hamburgs
Ein-Euro-Jobber setzt Grundrechte außer Kraft. Bekenntnis zur »demokratischen
Staatsauffassung« verlangt
Andreas Grünwald
Ein-Euro-Jobber sind
rechtlos. Doch auch wer keine Rechte hat, hat Pflichten – so die Philosophie
der »Hamburger Arbeit« (HAB), der mit 2500 Jobbern größte Beschäftigungsträger
in der Hansestadt. Am Dienstag informierten Ein-Euro-Jobber die junge Welt über
erzwungene Verträge, die gleich mehrfach gegen »gute Sitten« verstoßen. Mit
ihrer Unterschrift müssen die Billigjobber das Einverständnis dafür geben, daß
sie die Grundlagen des Beschäftigungsverhältnisses anerkennen. Dazu gehört, daß
sich der Ein-Euro-Jobber »durch sein gesamtes Verhalten zur demokratischen
Staatsauffassung« bekennt. Dieser Radikalenerlaß für Ein-Euro-Jobber klingt wie
ein schlechter Scherz. Er kann aber extreme Konsequenzen haben, denn ein
Regelverstoß reicht zum Rausschmiß und damit für Kürzungen beim
Arbeitslosengeld II.
Der Träger ermächtigt sich
durch diesen Vertrag, das Beschäftigungsverhältnis auch dann fristlos beenden
zu können, wenn ein Jobber »krankheitsbedingt« ausfällt oder gegen
»Mitwirkungspflichten« verstößt, zum Beispiel sogenannte
»Personalentwicklungspläne« nicht einhält. Darin werden Praktika oder
Fortbildungen festgelegt. Laut Gesetz und Rechtsprechung gilt allerdings, daß
nicht der Träger, sondern lediglich die zuweisende Behörde über den Abbruch
einer Maßnahme entscheiden kann. Ein Rausschmiß wegen Krankheit verstößt zudem
gegen das Diskriminierungsverbot.
Ein Rechtsgutachten von Dr.
Bertram Zwanziger, Richter am Bundesarbeitsgericht, beschreibt, wie die Rechte
von Ein-Euro-Jobbern, bis hin zu Arbeitskampfmaßnahmen, begründbar sind. Der
Sozialberatungsverein Tacheles e.V. hat das Gutachten inzwischen in das
Internet gestellt (www.tacheles-sozialhilfe.de). Eindeutig ergibt sich daraus,
daß auch dem Rausschmiß von Ein-Euro-Jobbern eine Abmahnung vorausgehen muß.
Skandalös ist der Knebelvertrag der HAB aber auch in anderer Hinsicht. Die
Jobber sollen sich damit einverstanden erklären, daß
Mehraufwandsentschädigungen erst zehn Tage nach Monatsende gezahlt werden. Der
Träger erschleicht sich so beträchtlichen Zinsgewinn.
Rechtsbruch und Mißbrauch
in Sachen Billigjobber sind keine Hamburger Spezialität: In Gütersloh wurden
Ein-Euro-Jobber im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf von der SPD
eingesetzt, um 500 Stellschilder aufzubauen. In Berlin und Köln wurden
Ein-Euro-Jobber als Ersatzkräfte für fehlende Lehrer eingesetzt, und im
Hamburger Stadtteil Winterhude verdrängen Beschäftigungsträger durch den
Einsatz von Ein-Euro-Jobbern 15 städtische Angestellte und 20 Behinderte aus
der Pflege öffentlicher Grünanlagen.
Angesichts des
offenkundigen Mißbrauchs hat sich am Mittwoch auch Hamburgs DGB-Chef Erhard
Pumm mit der Forderung nach mehr Kontrollrechten im ARGE-Beirat (ARGE –
Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung von »Hartz IV«) zu Wort gemeldet. Pumm will
Betriebsvereinbarungen mit Unternehmensleitungen durchsetzen, damit
Betriebsräte künftig die Interessen der Ein-Euro-Jobber vertreten können und
Mitspracherechte bei deren Einsatz bekommen. Außerdem will er die
Lohnfortzahlung für Jobber im Krankheitsfall zum Thema machen.
(* Die
Ein-Euro-Interessenvertretung in Hamburg nimmt jeden Dienstag zwischen 13 und
15 Uhr Beschwerden und Hinweise telefonisch entgegen: 040/28581342)
Die „junge welt“ gibt
es mit einem umfangreichen und kostenlosen Internetangebot unter: www.jungewelt.de