„junge Welt“ 9.4.2005
»Ein-Euro-Jobber müssen sich
organisieren«
Erwerblosenrat von ver.di
in Hamburg will Interessenvertretung gründen. Auch Tarifverhandlungen werden
angestrebt. Ein Gespräch mit Klaus Hauswirth
(* Klaus Hauswirth
vertritt den Hamburger Erwerbslosenrat im Landesbezirksvorstand der
Gewerkschaft ver.di)
Der Erwerbslosenrat von ver.di
hat die Bildung einer Interessenvertretung für Hamburgs Ein-Euro-Jobber
beschlossen. Was wollen Sie damit bewegen?
“Wir lehnen die Ein-Euro-Jobs grundsätzlich ab. Sie sind arbeitsmarkt- und
sozialpolitischer Unsinn. Vermittlungschancen werden dadurch nicht besser. Im
Gegenteil: reguläre Arbeit wird zurückgedrängt und das Lohniveau gedrückt. Es
sind zudem Zwangsdienste. Niemand sollte gegen seinen Willen gezwungen sein,
einen Ein-Euro-Job anzunehmen. Wir wollen statt dessen
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit Mindestlohn. Andererseits sind
die Ein-Euro-Jobs aber nun leider eine Realität. Allein in Hamburg gibt es rund
10 000 dieser ‚Arbeitsgelegenheiten’. Die davon betroffenen Erwerbslosen sind
vollkommen rechtlos. Das kann nicht sein.
Es gibt für uns zwei Wege. Zum einen wollen wir durch Aufklärung und politische
Kampagnen die Abschaffung dieser Zwangsdienste fordern. Das kann aber nur
erfolgreich sein, wenn wir zum anderen den Widersinn der Ein-Euro-Jobs auch in
der Praxis nachweisen. Wir müssen konkrete Mißstände
aufdecken und die Betroffenen selbst mobilisieren. Deshalb benötigen wir eine
eigenständige Interessenvertretung. Erwerbslose müssen ihre Interessen selbst
formulieren und in die eigenen Hände nehmen.“
Was sind Ihre nächsten Schritte?
“Als erstes werden wir eine Beschwerde-Hotline einrichten. Das soll ein
Anlaufpunkt auch für diejenigen sein, die gegen ihren Willen solche
Ein-Euro-Jobs aufnehmen müssen. Erwerbslose sollen Erwerbslose beraten und
unterstützen. Gegenwärtig werden in Hamburg Zuweisungen amtlich verschickt,
ohne daß es zuvor Gespräche gab. Von einer
Eingliederungsvereinbarung ganz zu schweigen. Im nächsten Schritt wollen wir
Interessenvertretungen bis runter auf die betriebliche Ebene schaffen, also
auch direkt bei den Trägern. Bei der Bildung solcher Vertretungen bestehen wir
darauf, die selben Rechte zu haben wie andere
Beschäftigte auch. Niemand kann den Ein-Euro-Jobbern das Recht absprechen, für
ihre Interessen aktiv zu werden. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung durch
Personal- und Betriebsräte und natürlich durch die Gewerkschaften.“
Was passiert mit den Beschwerden, die
bei Ihnen eingehen?
“Wir wollen allen Beschwerden nachgehen, durch Gespräche mit den Trägern, den Behörden
und so weiter. Zudem wird alles dokumentiert. Gegebenenfalls wird das dann auch
veröffentlicht. Schließlich fordern wir das Recht, Betriebsbegehungen
durchzuführen. Das wird eine vielfältige Tätigkeit sein. Schon jetzt ist
erkennbar, daß die Kriterien der Zusätzlichkeit und
des öffentlichen Interesses häufig nicht beachtet werden. Da wird im Zuge von
Sparmaßnahmen Personal abgebaut, auf Grund von Sparmaßnahmen, um die Stellen
dann mit Ein-Euro-Jobbern neu zu besetzen. Das geht auch zu Lasten der regulär
Beschäftigten. Rechtsverstöße finden wir auch bei der Zuweisungspraxis.
Schließlich gibt es eine Reihe konkreter Mißstände:
ungenügender Arbeitsschutz, die Verweigerung der Entgeltfortzahlung im
Krankheits- und Urlaubsfall, Diskriminierungen aller Art und eine Menge
Willkür.“
In Ihrem Positionspapier haben Sie auch
Tarifverhandlungen für Ein-Euro-Jobber gefordert.
“Wir wollen über unsere Gewerkschaft prüfen lassen, ob und wie solche
Tarifvertragsverhandlungen möglich sind. Damit wollen wir die Rechtlosigkeit
dieser Beschäftigungsverhältnisse offensiv in Frage stellen. Nach dem
Tarifvertragsgesetz, Paragraph 12 a, ergibt sich die Möglichkeit, auch für
arbeitnehmerähnliche Personen Tarifvertragsverhandlungen anzustreben. Solche
Tarifvertragsverhandlungen können sich auf die Höhe der Aufwandspauschale
beziehen, auf das Problem der Entgeltfortzahlung und weitere Leistungen, wie
etwa die Übernahme von Fahrtkosten. Wir wollen auch die Möglichkeiten des
Tarifvertragsrechts ausschöpfen, daß Betroffene
möglichst in reguläre Beschäftigung übernommen werden müssen. Doch ich will
noch einmal betonen: Das wichtigste dabei ist die politische Debatte. Auch so
wollen wir den Druck dafür erhöhen, daß die
Ein-Euro-Jobs letztlich kippen.“
Das Interview führte:
Andreas Grünwald
Quelle: www.jungewelt.de