Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Spaltung der italienischen
Anti-Kriegs-Bewegung in einen regierungsfreundlichen und einen
regierungskritischen Teil ist eine nicht zu leugnende Tatsache, wie wir bereits
an anderer Stelle betont haben. Eine Schwächung bedeutet diese Spaltung nicht
nur wegen der Zersplitterung der vorhandenen Kräfte, sondern auch deshalb, weil
der Teil der Friedensbewegung, der in der Prodi-Exekutive
seine “befreundete Regierung” sieht, fast alle Proteste gegen die
Beteiligung am Afghanistan-Krieg, den Kolonialtruppeneinsatz im Libanon oder
die massive Aufrüstung aller Truppengattungen eingestellt hat und sich – wie
beispielsweise die parteilose, 1999 und 2004 auf der Liste von Rifondazione Comunista (PRC) ins
Europaparlament gewählte, Luisa Morgantini
(66) – nicht zu schade ist, den radikalen Teil der Bewegung zu diffamieren, wo
immer es geht und sich dabei kontinuierlich zu steigern. Ab einem bestimmten
Punkt ist eine öffentliche Antwort darauf unumgänglich, zumal hier eine
politische Entwicklung deutlich wird, die nicht unkommentiert bleiben kann. Der
Sprecher der linken Basisgewerkschaft Confederazione
COBAS, Piero Bernocchi, ging in einem Brief an
das Parteiorgan von Rifondazione Comunista
(PRC) auf diese Anwürfe ein. „Liberazione“
veröffentlichte seinen Brief am 21.1.2007 ungekürzt auf der
Kommentarseite.
Zur Person: Piero Bernocchi
(geboren am 13.9.1947 in Foligno / Umbrien) lebt
in Rom, ist Lehrer und nationaler Sprecher der linken Basisgewerkschaft Confederazione Cobas. Piero Bernocchi hat eine lange Vergangenheit in der radikalen
Linken, zu deren prominentesten Vertretern er gehört. Er spielte, zunächst der
4.Internationale nahe stehend, in der 68er Bewegung und dann in der Autonomia-Bewegung von 1977 eine wichtige Rolle. Von 1979 –
85 war er Direktor des linken Radiosenders „Radio Città
Futura“ (Radio Stadt der Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über
politische und gewerkschaftliche Themen und insbesondere über die Entwicklung
der radikalen Linken. Seit ihren Anfängen 1999 zählt er zu den wichtigsten Aktivisten der
italienischen Anti-Kriegs- und Anti-Globalisierungsbewegung sowie des
Europäischen Sozialforums (ESF).
Der Brief:
Polemik mit Lidia Menapace,
die mich als „Parasit“ bezeichnet hat
Piero
Bernocchi
Lieber
Direktor,
als Lidia Menapace einen
Frontalangriff auf die Demonstration vom 30.September 2006 gegen die Libanon-Mission
unternahm, der in der Substanz ebenso inhaltsleer war wie brutal in der Form,
antwortete ich, indem ich sie fragte, welche „genetische Mutation“ eine
Genossin, die auch nur dem Hören von Worten militärischen Ursprungs (wie
Militanz, Kampf etc.) gegenüber feindselig ist, dazu bringen würde so
nachhaltig für kriegerische Entscheidungen der Regierung zu sein, dass sie
nicht einmal Gegendemonstrationen dagegen unterstützt.
Dieses Mal
ist Menapace allerdings anlässlich eines von den
COBAS und anderen Anti-Kriegs-Kräften organisierten Sit-ins vor dem Palazzo Montecitorio <dem
Sitz der italienischen Abgeordnetenkammer>, an dem sich die Bewegung in Vicenza
<gegen den Ausbau der
US-Militärbasis> mit
einer Delegation beteiligte, noch sehr viel weiter gegangen und zwar bis zur beleidigendsten persönlichen Verleumdung, indem sie den
Unterzeichnenden beschuldigte, „die schäbigste Demonstration politischen
Parasitismus“ abgeliefert zu haben, „indem er so tat als sei er der Kopf
des Widerstandes in Vicenza gegen die Basis… und
einen Haufen Lügen über den PRC und die radikale Linke insgesamt verbreitete“.
Trotzdem dies in einer 40jährigen Aktivität in den Bewegungen das erste Mal
ist, dass mich jemand als „schäbigsten Parasiten“ bezeichnet, werde ich
auf der Ebene der Politik bleiben.
Das Sit-in
war von den COBAS und einer Reihe von Anti-Kriegs-Kräften anberaumt worden
bevor die Aktivisten aus Vicenza beschlossen nach Rom
zu kommen. Und nachdem wir erfuhren, dass sie beabsichtigten am Vormittag <ebenfalls> ein Sit-in abzuhalten, luden wir sie zur Teilnahme an
unserem ein. Da sich der Reisebus aber verspätete, begannen wir mit den Reden
der „Römer“. In meiner Rede habe ich – um die Wahrheit zu sagen – den
PRC nicht einmal erwähnt. Ich habe auf die Anschuldigung des „Antiamerikanismus“
geantwortet und gesagt, dass es allenfalls ein Problem der Unterwerfung der <italienischen> Regierung unter den Amerikanismus oder besser gesagt
unter die US-Regierung gäbe; dass Prodis schändlicher
Entschluss die Unterwerfung unter die Vereinigten Staaten und den Willen zeige,
die Kriegspolitik fortzusetzen und eine ganze Bevölkerung herauszufordern, die
den Ausbau der Basis ablehnt, nachdem sie monatelang getäuscht wurde.
Danach habe
ich mit der „radikalen Linken“ polemisiert, indem ich darauf hinwies,
dass sie die wahre „Geisel“ der Regierung sei und dass die Passivität
inakzeptabel sei, mit der Prodis Entscheidung als „unwiderruflich“
hingenommen wurde. Die einzige persönliche Erwähnung betraf <den grünen Umweltminister> Pecoraro Scanio und seine Drohung mit „Repressalien“ in
Sachen Afghanistan. Ich habe gesagt, dass ein „frevelhaftes Tauschgeschäft“
(Nein zur Basis, Ja zu Afghanistan oder umgekehrt) eine gravierende Sache sei,
während man sich de facto damit abgefunden hat sowohl den Ausbau der Basis als
auch die Weiterfinanzierung der Auslandsmissionen zu akzeptieren. Die
Bewohner/innen von Vicenza, die Menapace
in ungeschickter Weise gegen meine Rede in Stellung bringen will, sind zu Recht
ganz hart. Sie haben die gesamte Regierung aufgefordert, sich zu
schämen, haben sie in Gänze beschuldigt ihre Verpflichtungen verraten zu
haben und den anwesenden Parlamentariern gesagt, dass sie nicht ihre Seele
retten könnten, indem sie an dem Sit-in teilnehmen, sondern „sich selbst suspendieren“ oder sich zu
einem Votum gegen die Entscheidung durchringen müssten.
Andererseits
haben bekannte Pazifisten in den letzten Tagen zumindest während des Sit-ins
harte Sachen gesagt. Don Albino Bazzotto: „Es
bedarf eines pazifistischen Aufstands, um den Verrat einer politischen Klasse
zu denunzieren (Anmerkung am Rande: der ganzen, also nicht nur Prodi!), die dem Willen der Leute gegenüber glaubt, die
Herrin der Geschichte zu sein.“ Alex Zanotelli:
„Prodi sollte sich schämen und mit ihm zusammen
die ganze Regierung… Man muss bestimmte Regeln einhalten, wenn man Teil
derjenigen sein will, die die Torte unter sich aufteilen. Das erklärt die
Weiterfinanzierung der Afghanistan-Mission.“ Und man könnte fortfahren. Von
einem Bernocchi zu phantasieren, der so tut
als sei er „der Chef der Bewohner von Vicenza“,
als ob die COBAS in den letzten Jahren nicht bei allen
Anti-Kriegs-Demonstrationen in der ersten Reihe gestanden hätten und einen der
sehr seltenen Fälle eines seit 40 Jahren aktiven Militanten, der niemals „Kasse
gemacht hat“ und Posten wie Pöstchen stets abgelehnt hat (während sich der
Übergang vom „Leader der Bewegung“ zum Abgeordneten oder Berater
mittlerweile binnen weniger Jahre vollzieht) als „Parasiten“ zu bezeichnen,
ist nicht nur eine niederträchtige Beleidigung.
Es ist die
Demonstration der politischen Sprachlosigkeit derjenigen, die nicht wissen, wie
sie eine Kehrtwende um 180 Grad erklären sollen, seit die „radikale Linke“
Teil der „befreundeten Regierung“ ist. Eine Sprachlosigkeit, die von Menapace bestätigt wurde als sie von den
Beleidigungen zu den Vorschlägen übergeht und diese Perlen aufreiht: 1.) „die
USA wegen der Verletzung unserer Souveränität verklagen“; 2.) „nur dann
auf Teile der Souveränität verzichten, wenn dies auf Gegenseitigkeit beruht,
d.h. den USA einen Teil der territorialen Souveränität abzutreten unter der
Voraussetzung, dass sie den Soldaten ausliefern, der Calipari
<Anm.1> getötet hat“.
Und nach
diesen ganzen Absurditäten ist ihr gar nicht erst in den Sinn gekommen, dass
sie und die „radikale Linke“ den Ausbau der Basis schlicht und einfach
mittels einer Parlamentsdebatte ablehnen müssten und dann – den Schwung
ausnutzend – auch die Weiterfinanzierung der Kriegsmissionen. Und damit die
Besatzungstruppen wieder nach Hause holen! Oder wären das „schäbigste,
parasitäre“ Initiativen?
Anmerkung 1:
Nicola Calipari
(23.6.1953 – 4.3.2005), hoher Offizier des italienischen Auslandsgeheimdienstes
SISMI. Wurde am 4.März 2005 in der Nähe des Bagdader Flughafens an einem
US-Checkpoint von dem amerikanischen Besatzungssoldaten Mario Lozano unter bislang ungeklärten Umständen erschossen als
er die durch eine Lösegeldzahlung soeben aus Geiselhaft frei gekommene, linke
Journalistin Giuliana Sgrena
nach Italien zurückbringen wollte. Die Erschießung Caliparis
durch US-Truppen führte zu einer kurzzeitigen Trübung des Verhältnisses
zwischen den USA und Italien, in deren Verlauf der damalige pro-atlantische
Ministerpräsident Berlusconi u.a. zweimal den
US-Botschafter einbestellte. Calipari erhielt in
Italien ein Staatsbegräbnis. Er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung, Hervorhebungen und Einfügungen in
eckigen Klammern:
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