Antifa-AG
der Uni Hannover:
Zum Einsatz weiterer Uno-Truppen, vor
allem aus der EU und demnächst unter italienischem Kommando interviewte die
linke italienische Tageszeitung „il manifesto“
für die Ausgabe vom 31.8.2006 den libanesischen Politologen und
Direktor der neuen progressiven und laizistischen Beiruter Zeitung „Al-Akbar“, Joseph Smeha. Wir
bringen hier die Übersetzung des Interviews, weil es weiteres interessantes
Material zur Einschätzung des jüngsten Libanon-Krieges und der Nachkriegsphase
liefert, auch wenn wir die UNO sehr viel kritischer sehen als er und von der
Rolle und der Militärintervention Italiens alles andere als „angenehm
überrascht“ sind. Zugleich muss man ihm zugute halten, dass bei diesen
Bewertungen (die von einer scharfen Kritik auch an der „einem Gutteil der
EU“ sowie an den USA und Israel begleitet wird) offenkundig auch ein gutes
Stück Taktik eine Rolle spielt.
„Wir sind von der Rolle Italiens angenehm
überrascht“
Interview mit Joseph Smeha
(Politologe und Direktor der neuen progressiven und „laizistischen“
Beiruter Zeitung). D’Alemas Interpretation der
UN-Resolution 1701 „ist korrekt und nahe an der Annans“. Und weit
entfernt von der israelischen.
Stefano Chiarini – aus Beirut
„Es besteht kein Zweifel,
dass eine der Überraschungen dieser Krise die zunehmende Rolle Italiens ist,
die couragiert für eine buchstabengetreue, positive und vor allem realistische Interpretation
der Waffenstillstandsresolution und für eine Konzeption der Positionierung
zwischen den Konfliktparteien (interposizione) eintritt,
die derjenigen des UNO-Generalsekretärs und der libanesischen Regierung sehr
nahe kommt. Sehr wichtig ist auch die Mahnung die Themen anzugehen, die
wirklich im Zentrum des Konfliktes stehen, wie die Palästinafrage, verbunden mit
der Notwendigkeit eines israelischen Rückzugs aus allen besetzten Gebieten und
der Forderung nach einer Einbeziehung Syriens und des Iran.“
Der bekannte libanesische
Politologe und Kommentator sowie Gründer und Direktor der neuen progressiven
Zeitung „Al-Akbar“, Joseph Smeha,
verhehlt nicht das Interesse, dass der neue Protagonismus
unseres Landes hervorruft, das seit dem Ende der ersten Republik allein den
wirtschaftlichen und Handelssektor betraf (wir sind wichtigster Handelspartner
des Libanon), nicht aber den politischen Bereich. Joseph Smeha
empfängt uns im nagelneuen Sitz der Zeitung im sechsten Stock des Gebäudes des
Verbrauchermarktes Monoprix im Stadtteil Verdun,
nicht weit von den beiden anderen bedeutenden libanesischen Zeitungen (dem
progressiven „As-Safir“ und dem konservativen „An-Nahar“) entfernt. Unser Gespräch kann nicht anders
als mit der Entsendung der italienischen Truppen beginnen, bezüglich dessen
Joseph Smeha relativ optimistisch ist: „Vorausgesetzt,
dass sich die UNIFIL an ihr Mandat hält. Falls sich allerdings die israelische
Interpretation des Waffenstillstands durchsetzt, wäre das ein Desaster.“
Und doch scheint die
israelische Luft- und Seeblockade noch nicht aufzuhören. Welche Zukunft hat
diese fragile Waffenruhe?
„Die israelische Regierung
vertritt eine eigene Interpretation der Resolution und will sie – mit der
Unterstützung Washingtons – allen aufzwingen. Eine Interpretation, die es ihr
erlaubt sich weiterhin so zu verhalten als ob es den Waffenstillstand nicht
gäbe, um die Blockade des Landes aufrechtzuerhalten und Teile unseres
Territoriums zu besetzen sowie unseren Luftraum zu verletzen. Außerdem will sie
die Entsendung der UNIFIL-Truppen an die Grenze zu Syrien und die gewaltsame
Entwaffnung der Hisbollah durchsetzen. Wenn das geschehen sollte, wäre das
jedoch das Ende der Regierung und des Kompromisses, auf dem dieses Land
basiert.“
Das Thema des
Verhältnisses zur Hisbollah scheint die politische Debatte im Libanon jeden Tag
mehr zu beherrschen…
„Wir Progressiven haben selbstverständlich
ideologische Positionen, die von denjenigen der Hisbollah sehr weit entfernt
sind. Man muss allerdings sowohl anerkennen, dass sie viele Libanesen
repräsentiert als auch die Tatsache, dass sie einen in der arabischen Welt
völlig neuen Widerstand geleistet hat, der der Politik, der Diplomatie und der
UNO wieder Raum verschafft hat. Wenn wir jetzt über die UNO reden, dann nur
weil die Israelis gestoppt wurden. Anstatt von ihrer Entwaffnung zu sprechen,
sollten wir das Problem umkehren und uns fragen: Wie wird es möglich sein, den
Libanon zu verteidigen, die besetzten Gebiete und die Gefangenen zu befreien? Eine
Entwaffnung vor der Schaffung eines wirklichen Staates, den es jetzt nicht
gibt, hieße nur Israels Spiel zu spielen.“
Wie beurteilen Sie und
Ihre Zeitung den gerade zu Ende gegangenen Krieg?
„Den Grund für den Krieg
liegt nicht in der Gefangennahme der beiden Soldaten. (Niemand hatte eine so
brutale Reaktion erwartet.) Er ist vielmehr das Ergebnis eines regionalen
Konflikts, der sich mit dem israelischen Angriff auf Gaza und in Cisjordanien sowie dem amerikanischen Einmarsch im Irak
immer weiter verschärft hat. Es ist das Ergebnis einer sehr aggressiven
US-Politik und des Versuchs Israels von der Schwäche der arabischen Welt zu
profitieren, um seinen Rückzug aus den besetzten palästinensischen,
libanesischen und syrischen Gebieten zu den Akten zu legen. Nur, dass es dieses
Mal nicht gelungen ist seine Politik der vollendeten Tatsachen zu
verwirklichen, obwohl es nicht nur von Washington, sondern auch von einem
Gutteil der EU, den reaktionären arabischen Regimen
und auch von der libanesischen Regierung unterstützt wurde. Eine ‚Niederlage’,
aus der – wenn auch mit all ihren Widersprüchen – die Resolution 1701 über den
Waffenstillstand – hervorging.“
Warum eine neue Zeitung
in einem Land ins Leben rufen, in dem es immer eine sehr lebendige und freie
Presse gegeben hat?
„Unserer Meinung nach sind
die libanesischen Tageszeitungen zu traditionell und gehören in gewisser Weise
fast alle zur politischen Elite, deren öde politische Debatte sie
widerspiegeln. Das Panorama der Presse ist – mit einigen Ausnahmen, wie ‚As-Safir’ und im Fernsehbereich <dem Hisbollah-Sender> ‚Al-Manar’ sowie ‚New
TV’ – nicht mehr so lebendig wie es einmal war, weil vom konfessionellen
System und (wie in einem Großteil der arabischen Welt) von den saudischen
Petrodollars erstickt. Wir hingegen wollen – ausgehend von unserer progressiven
und laizistischen, arabischen Identität – an jener Tradition anknüpfen.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung
in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover