Antifa-AG
der Uni Hannover:
Zur Jugendrevolte in den französischen Banlieues führte die linke italienische Tageszeitung „il
manifesto“ für die Ausgabe vom 8.11.2005
auch ein Interview mit dem Sprecher von Droits
Devant (Zuerst
die Rechte), Jean-Claude Amara. Aufgrund der
Bedeutung der Koordination Droits Devant,
der auch die Bewegung der Sans
Papiers (Migranten
ohne gültige Papiere) und die Häuserkampfbewegung DAL
angehören, in der französischen Linken bringen wir hier die Übersetzung, auch
wenn wir die gegen Ende aufscheinenden sozialarbeiterischen und
zivilgesellschaftlichen Tendenzen Amaras in keiner
Weise teilen.
„Der Krieg gegen die Ausgegrenzten
ist nicht von Nutzen“
Jean-Claude Amara
von der Bewegung der „Sans Papiers“: Man muss
ihnen Rechte geben.
PIETRO LUPPI
Jean-Claude Amara ist Sprecher von Droits
Devant („Zuerst die Rechte“), der Koordination
der sozialen Bewegungen Frankreichs, die u.a. die Sans Papiers und die Häuser- /
Wohnungskampfbewegung DAL (Droits au logement / Recht auf Wohnung) umfasst.
Ist die Revolte, die
mittlerweile in halb Frankreich tobt, vollkommen spontan?
„Bei der Revolte der Banlieues kann man weder von Koordination noch von
Vorsatz / Planung sprechen. Das, was passiert, ist schlicht und einfach der
Effekt von Jahrzehnten der Ausgrenzung der Peripherien. Die Regierung hat
bislang nichts anderes getan als den Ausgegrenzten den Krieg zu erklären und
sollte stattdessen den Mut haben, eine öffentliche Debatte zu initiieren, die
sich in der Hauptsache um das Thema Immigration dreht. Weil der größte Teil der
revoltierenden Jugendlichen Kinder von Migranten
sind, die aus den ehemaligen Kolonien kommen, wie z.B. Algerien. Diese
Jugendlichen fühlen sich durch eine Politik komplett stigmatisiert und
abgelehnt, die heute eine brutale Repression gegen alle Ausländer (insbesondere
gegen diejenigen ohne gültige Papiere, die Sans
Papiers) startet, die ein Teil der Jugendlichen der Banlieues
sind, aber allgemeiner gefasst gegen all jene, die in Armut leben. Die in den
letzten Tagen ausgebrochene Revolte schwelte seit langem und wird noch lange
andauern.“
Hat dieser Protest feste Inhalte oder ist es ein
simpler Ausbruch sozialer Gewalt?
„Erklärte Ziele gibt es
dabei in Wirklichkeit nicht. Die Botschaft, die man rüberbringen will, ist ganz
einfach: Auch wir existieren und wir haben es satt, systematisch als Wilde,
Banditen, Mafiosi oder zuletzt als Fundamentalisten bezeichnet zu werden. Wenn Sarkozy von ‚Fundamentalismus’ spricht, scheint er die Bush
und den Vereinigten Staaten so teure Strategie der Spannung anwenden zu wollen.
Diejenigen, die rebellieren, fordern von Sarkozy und
von der Regierung, dass sie damit aufhören, das Gespenst des
Kulturunterschiedes zu heraufzubeschwören, um mit Blick auf die kommenden
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2007 Stimmen zu gewinnen. Bestimmte
Argumente sorgen nur dafür, das die Wut darüber
zunimmt, dass man Eltern hat, die kolonisiert, ausgebeutet und ausgeschlossen
wurden. Die Situation der Kinder ist nicht so viel anders: Die Hauptopfer der
Arbeitslosigkeit sind heute in Frankreich gerade die jugendlichen Migranten. Die Kinder der Ausländer werden mit dem Gefühl
geboren, vom Rest des französischen Volkes getrennt und ausgeschlossen zu sein.
Und zu diesem Gefühl tragen die Herkunft aus denselben geographischen Orten und
die Tatsache in entscheidender Weise bei, dass alle zusammen in urbanen Inseln
konzentriert sind und zwar weitab von den Städten. Dieser Kontext begünstigt
natürlich die Verbrecherwelt (la malavita) und
sorgt dafür, dass gerade die Banden die Aggregationskerne
sind, von denen die stattfindende Revolte ausgeht.“
Wie intervenieren die
sozialen Bewegungen in diese Dynamiken?
„Die sozialen Bewegungen in
Frankreich schließen mittlerweile seit vielen Jahren die Sans
Papiers, die Arbeitslosen, die prekär Beschäftigten und die Wohnungslosen
zusammen. Unser Kampf unterscheidet sich allerdings sehr stark von der Revolte dieser
Tage. Wir arbeiten, indem wir unter den Jugendlichen und den Erwachsenen der
Stadtteile Organisation schaffen und wir haben uns immer dafür entschieden,
ausgehend von konkreten Forderungen aktiv zu werden. Wir haben jeden Tag auf
dem Territorium gearbeitet, sind aber oft marginalisiert <d.h. an den Rand gedrängt> und haben Mühe sicherzustellen, dass unsere
Vorschläge die gesamte jugendliche Bevölkerung erreichen. Ich glaube, dass es
heute noch wichtiger ist als früher, im engen Kontakt mit den Leuten
territorial zu arbeiten, um die weit verbreitete Unzufriedenheit, die sich
vorläufig auf chaotische Weise ausdrückt, wieder mit Politik und mit konkreten
Zielen zu füllen. Es handelt sich um eine extrem schwierige Arbeit.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover