Antifa-AG der Uni
Hannover:
Die
wichtigste zivile Widerstandskampagne der Palästinenser ist neben dem Kampf für
die Freilassung der mittlerweile 7.000 palästinensischen politischen Gefangenen
in Israel derzeit und wohl noch für länger die Kampagne gegen den
Apartheidwall. Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ nahm
die Präsidentschaftswahlen in den besetzten Gebieten zum Anlass, um auch den
Koordinator dieser Kampagne, Jamal Jumaa, zu interviewen. Teilnehmern des
Londoner ESF dürfte er von der Plenarveranstaltung zu Palästina am 15.10.2004
bekannt sein, wo er leider etwas im Schatten des sehr eloquenten Mustafa
Barghuti stand. Ein Grund mehr für uns das am 6.1.2005 erschienene
Interview mit ihm zu übersetzen.
„Die Wahl dient dazu die Bantustans
zu legitimieren“
Jumaa, einem Anti-Mauer-Aktivisten,
zufolge zielen die Wahlen darauf ab „die Besatzung zu demokratisieren“.
MICHELANGELO COCCO – RAMALLAH
Jamal Jumaa hat keine
Zweifel, in den israelisch-amerikanischen Plänen stellen die palästinensischen
Wahlen vom kommenden Sonntag einen Versuch dar, „die Besatzung zu
demokratisieren“. Am Tag vor der Demonstration gegen die Mauer in Jayyus trafen
wir den Koordinator der Stop the wall-Kampagne in seinem Büro in Al-Ram,
zwischen Jerusalem und Ramallah.
Warum eine Demonstration
gerade in Jayyus ?
„Jayyus stellt ein optimales
Beispiel dar, um die Illegalität dieser Mauer und der Desaster zu begreifen,
die sie hervorruft. Als Israel die Barriere zu bauen begann, erklärte es, dass
es, außer dem Grund, auf dem die Mauer steht, kein Land konfisziert habe und
dass die Palästinenser freien Zugang zu ihren Lagern hätten. Stattdessen sind
sie dabei sich alles zu nehmen. 72% dieses Gebietes, eines der fruchtbarsten
Palästinas, wurde jenseits der Einfriedung isoliert. Und die Ausdehnung der
Siedlung Sufin in Richtung der palästinensischen Ländereien, die durch die
Mauer abgeschnitten wurden, begünstigt diesen Nepp.“
In diesen Tagen reden die
israelischen Medien nur vom Rückzug aus Gaza…
„Davon sollte man sich nicht
täuschen lassen, weil Israel ein Projekt verfolgt, von dem der Rückzug nur die
erste Phase darstellt. Ich nenne das jedenfalls ‚Neuausbreitung’, da der Gaza-Streifen
ein riesiges Gefängnis bleiben wird. Nach diesem ersten Akt wird man zum Bau
eines Systems von 16 Brücken und ebenso vielen Tunneln übergehen, die die drei
Bantustans (rund um Nablus im Norden, um Ramallah in der Mitte und um Hebron im
Süden) verbinden, die durch die Mauer in Cisjordanien geschaffen werden. Die
Palästinenser werden sich in den ihnen verbliebenen Gebieten durch die Tunnel
bewegen können, über denen Brücken verlaufen, die die jüdischen Kolonien
miteinander verbinden.“
Ein teures System. Woher
sollen die Mittel dafür kommen ?
„Im vergangenen Monat hat
die Regierung Sharon von der Europäischen Union gefordert, dieses System mit
200 Millionen Euro zu finanzieren. Vorläufig hat die EU Nein gesagt. Um das
System aber funktionsfähig und für die internationale Gemeinschaft akzeptabel
zu machen, sind sie dabei Industriegebiete zu schaffen (9 davon sind
vorgesehen), die an die palästinensischen Bantustans angrenzen, gleich hinter
der Mauer, auf israelischer Seite. Die in der Nähe von Tulkarem und Jenin sind
bereits in Bau.“
Wie die Industriegebiete
kurz vor dem Gaza-Streifen ?
„Ja, genau wie die, wo nur
5.000 Palästinenser arbeiten, die ein Drittel des israelischen Mindestlohnes
bekommen. Das ist eine regelrechte Sklaverei. Vor allem wenn man daran denkt,
dass die Palästinenser fast ausschließlich israelische Produkte oder via Israel
importierte Produkte kaufen – zu denselben Preisen ! Um die Geldmittel zu bekommen, versucht
Sharon es gegenüber Europa mit dieser Erpressung: Warum leistet Ihr nicht einen
Beitrag zur Schaffung dieser Industriegebiete, um damit die Wirtschaft zu
entwickeln, anstatt den Palästinensern weiterhin Hilfen zu schenken ?!“
Von all dem wird während
des Wahlkampfes allerdings nicht gesprochen…
„Gewiss, weil es sich um
Wahlen handelt, die Teil einer Reihe kosmetischer Veränderungen mittels Wahlen
sind, die wir gegenwärtig im Mittleren Osten erleben und die mit dem sog.
‚Großen Mittleren Osten’ verbunden sind, den sich die Vereinigten Staaten vorstellen
– eine wirkliche und wahrhaftige Demokratisierung der Besatzungen in Palästina
und im Irak. Man muss sich nicht nur die gleich hinter der Mauer im Bau
befindlichen Industriegebiete anschauen, sondern z.B. auch das Projekt
Jordanien: ein Straßen- und Stromleitungsnetz, das es mit Haifa verbinden wird.
Der Versuch, der dahinter steht, ist der, Israel ökonomisch in den ‚Großen
Mittleren Osten’ zu integrieren und zwar so, dass dem jüdischen Staat die
Schlüssel dafür in die Hand gegeben werden.“
Ist es möglich, dass –
wenn die Mauer und die Industriegebiete fertiggestellt sind, die Palästinenser
von der Möglichkeit angezogen werden, ihre Lebensbedingungen zu verbessern ?
„Nein. Die 1. und die 2.
Intifada waren gegen unakzeptable Bedingungen gerichtet und auch gegen diesen
letzten Versuch Israels, sie zu zerstören, werden die Palästinenser sich zu
wehren wissen. Die Israelis versuchen derzeit festzustellen, ob die
israelisch-palästinensische Frage gelöst wird, wenn sie die wirtschaftlichen
Probleme der Palästinenser ‚lösen’. Aber sie begreifen nicht, dass wir ein Volk
sind, das für seine Rechte kämpft und nicht um Brot. Ich glaube gerade, dass
die Situation erneut explodieren wird. Israel wird sich nicht hinter der Mauer
verstecken können.“
Welche Bedeutung hat
Eurer Meinung nach das Urteil des Internationalen Gerichtshofes von Aja ? Für Israel handelt es sich nur um ein Urteil.
„Das ist eine sehr wichtige
Entscheidung. Darüberhinaus, dass er die Mauer für ‚illegal’ erklärt hat, hat
der Gerichtshof den Sicherheitsrat und die Vollversammlung <der UNO> aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu
ergreifen, um dieser Situation ein Ende zu setzen. Man muss allerdings ein paar
Jahre zurückgehen, um die Bedeutung des Urteils von Aja zu begreifen. Gerade
eine ‚Entscheidung’ dieser Art gegen Südafrika verlieh nämlich dem Kampf für
das Ende des Apartheidregimes Kraft. Es ist sinnlos, sich hinter einem Finger
verstecken zu wollen. Der Gerichtshof ist das wichtigste Gremium, was die
Interpretation des internationalen Rechtes anbelangt.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover