Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Nachdem
zunächst nur die Confederazione Cobas mit ihrem Sprecher Piero Bernocchi das
Verhalten des britischen Organisationskomitees bei der Abschlussdemonstration
des Europäischen Sozialforums in London kritisiert hatte und die italienischen
Vertreter der 4.Internationale (als Redaktionsmitglieder der von Rifondazione
Comunista herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ oder als Führungsmitglied
des Sin.Cobas) das Londoner ESF als großen Erfolg mit kleinen Fehlern Einzelner
verklärten, gab es bereits wenige Tage später ein längeres Kritikpapier von
Vertretern aller Teile der italienischen Antiglobalisierungsbewegung.
Unterzeichner sind u.a. Exponenten der Confederazione Cobas, Sin.Cobas,
Rifondazione Comunista (aus der 4.Internationale-Strömung „ERRE“), der
CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM, des linken Kulturdachverbandes ARCI, von
Attac Italia etc. Dieses Papier war allerdings zunächst nur für den internen
Mail-Verteiler der ESF-Organisationsversammlungen vorgesehen, wurde von
Unbekannten dann aber auch Indymedia Italy und Peacelink Italy (http://italy.peacelink.org/europace/articles/)
zugesandt und dort am 23.10.2004 veröffentlicht. Der wesentlich
diplomatischere Charakter dieses Papiers gegenüber dem Confederazione
Cobas-Statement bedeutet im übrigen nicht, dass diese ihre Kritik abgemildert
haben, wie Piero Bernocchi Tags darauf in einem zweiten, noch umfangreicheren
Text klarstellte. (Dessen Übersetzung werden wir infolge Zeitmangels erst in
einigen Tagen präsentieren können.)
Aufgrund
der europaweiten Bedeutung des strömungsübergreifenden Kritikpapiers der
italienischen No
global-Bewegung hier die Übersetzung:
Einige Überlegungen zum Europäischen
Sozialforum in London
von: Piero
Bernocchi, Marco Bersani, Raffaella Bolini, Salvatore Cannavò, Roberto Giudici,
Maurizio Gubbiotti, Piero Maestri, Alessandra Mecozzi, Felice Mometti, Luciano
Muhlbauer, Alfio Nicotra, Anna Pizzo, Franco Russo
22.Oktober
2004
Wir haben ein Jahr lang an
der Vorbereitung des Europäischen Sozialforums in London gearbeitet. Wir
wussten, wie komplex die Situation in Großbritannien war, wo einer großen
Mobilisierungsfähigkeit (vor allem gegen den Krieg) und einer breiten
gesellschaftlichen Beteiligung keine angemessenen Bündnisbeziehungen
entsprachen.
Die Vorbereitung des ESF’s
hat zur Erweiterung des englischen Vorbereitungskomitees um die Gewerkschaften
und die großen <themenbezogenen> Koalitionen geführt. Es ist allerdings nicht
gelungen, Konflikte und Spannungen zu überwinden, die während der gesamten
Entwicklung deutlich geworden sind – insbesondere aufgrund der Schwierigkeiten
in den Beziehungen zwischen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen
und Basisstrukturen in Großbritannien, während eine direkte institutionelle
Vertretung der Greater London Authority (GLA) <d.h. der Londoner
Stadtverwaltung unter dem New Labour-Bürgermeister Ken Livinstone> in das Vorbereitungskomitee aufgenommen wurde.
Als „Italienische
Arbeitsgruppe für das ESF“ haben wir in den vergangenen Monaten versucht, einen
positiven Beitrag zu leisten. Und auch aus dieser Erfahrung ziehen wir eine
Bestätigung dafür, dass die Praxis der demokratischen Einbeziehung eine
lebenswichtige Bedingung für die Bewegung der Bewegungen ist und die
wesentliche Grundlage sein muss, um den Weg weiterzuverfolgen, der uns im
Frühjahr 2006 nach Athen führt.
Zusammen mit anderen
nationalen Delegationen versuchen wir zu verhindern, dass die Spannungen zu
nicht mehr steuerbaren Brüchen führen und dafür zu sorgen, dass sich für die
Differenzen Modalitäten einer Koexistenz finden – in der Überzeugung, den Geist
des Forums als offenem und aufnahmebereitem öffentlichem Raum bewahren zu
müssen. In diesem Sinne hatten wir die auf der Vorbereitungsversammlung in
Berlin <am 17./18.
Juni 2004> getroffenen Abkommen, die
u.a. den autonomen Bereich als Teil des Forums eingerichtet hatten, als positiv
begrüßt.
Das großartige Ergebnis, was
die Beteiligung anbelangt, mit mehr als 20.000 Leuten (zum Großteil
Jugendliche), die aus ganz Europa kamen und drei Tage lang
Plenarveranstaltungen und Seminare überfüllten, bestätigt, dass dieser Weg
einen Sinn hat und es der Mühe wert ist, ihn zu verfolgen.
Auch während des Forums
haben wir uns bis zum Letzten für einen positiven und politischen Umgang mit
den Konfliktsituationen eingesetzt, die entstanden. Zusammen mit anderen
europäischen Delegationen haben wir dementsprechend interveniert, damit das
Forum seine Tore den ca. 100 Leuten öffnete, die am Samstagnachmittag die
Unterbrechung der Plenarveranstaltung organisierten, auf der ursprünglich die
Beteiligung des Bürgermeisters Livingstone vorgesehen war.
Am selben Abend vereinbarte
das Vorbereitungstreffen der Versammlung der Sozialen Bewegungen eine Erklärung
zur Verurteilung des Vorgehens der Ordnungskräfte, die die Demonstranten
angegriffen hatten, kaum dass sie das Alexandra Palace verließen und einige von
ihnen festnahmen und setzte sich für eine Intervention zur Freilassung der Festgenommenen
ein.
Wir halten es dennoch für
notwendig, intensiv über die Tatsache nachzudenken, das zum ersten Mal auf
einem Europäischen Sozialforum programmatische Debatten nicht kollektiv
stattfinden konnten. Das ist bei zwei Gelegenheiten geschehen: im Fall der
Debatte, in der der Redebeitrag von Livingstone vorgesehen war und zuvor bei
der Plenarveranstaltung zum Irak. Es handelte sich um zwei unterschiedliche
Fakten, mit sehr unterschiedlichen Begründungen und durch unterschiedliche
Gruppen. Im ersten Fall ging die Veranstaltung im übrigen weiter, während die
Plenarveranstaltung zum Irak abgesagt werden musste. Dennoch, wenn sich
innerhalb eines offenen Raumes wie dem Forum die Meinungsverschiedenheiten in
eine Unmöglichkeit der Kommunikation verwandeln, dann gibt es ein Problem.
Am Sonntagmorgen gab es zu
Beginn der Versammlung der Sozialen Bewegungen zwei Redebeiträge, die die
Gründe für den Protest am Vortag erläuterten und erneut brachte die gesamte
Versammlung ihre Solidarität mit den festgenommenen Genossen zum Ausdruck.
Das gute Ergebnis der
Versammlung, aus der ein langes engagiertes Dokument hervorgegangen ist, das
die Einheit der Anti-Kriegs-Bewegung, der Bewegung gegen den
Wirtschaftsliberalismus / Freihandel und den Rassismus bekräftigt sowie
verschiedene europäische Aktionstage festgelegt, ist auch und vor allem die
Frucht des positiven Klimas, das durch eine einheitliche und europäische
Leitung geschaffen wurde, wodurch die Räume für die demokratische Beteiligung
und die Respektierung der Differenzen offen gehalten wurden.
Die Demonstration am
Sonntagnachmittag wurde im Gegensatz dazu vollständig vom britischen
Organisationskomitee geleitet. Im Unterschied zu Florenz und Paris wurden die
europäischen Delegationen in keiner Weise in ihre Organisation einbezogen.
Weder in die Festlegung ihrer Zusammensetzung noch in ihre politische Leitung
noch in die Festlegung des Bühnenprogramms und der Redner, unter denen es in
der tat keine einzige nicht-britische Stimme gab. Die einzige Einbeziehung fand
anlässlich der letzten europäischen Vorbereitungsversammlung <vom 3. bis 5.September 2004> in Brüssel statt, auf der nach langen Diskussionen
die <inhaltliche> Plattform definiert worden war, die hinterher allerdings
durch die im britischen Organisationskomitee beschlossenen Tageslosungen
verdeckt wurde.
Nachdem wir die Nachricht
von den Festnahmen und der Blockade, die am Morgen nahe der U-Bahn-Station King’s
Cross stattgefunden hatte, bekamen, haben wir sofort beim britischen
Komitee und (auch mit Hilfe der anwesenden Europaabgeordneten) direkt bei der
englischen Polizei interveniert, um die Auflösung des Polizeikessels und die
Freilassung der Festgenommenen zu erreichen.
Die folgenden Ereignisse vor
der Tribüne zeigen noch einmal, dass fehlende Kommunikation und ein fehlender
politischer Umgang mit den Konflikten für die Bewegungen zu nichts Gutem
führen. Und wir sind der Ansicht, dass es für Alle gravierend ist, dass es auf
einer Kundgebung der Bewegung zur Festnahme eines Genossen gekommen ist, der
seit den Anfängen an der Organisation des Londoner ESF beteiligt war.
Unser Engagement ist darauf
gerichtet, aus dem ESF einen offenen und öffentlichen, einbeziehenden und
multikulturellen Raum zu machen, der aus der Erfahrung der letzten Tage
gestärkt hervorgeht. Wir werden diese Überzeugung in die europäische
Nachbereitungsversammlung einbringen, die im Dezember <in Paris> stattfinden wird, auf dem wir eine grundsätzliche
Diskussion über die Erfahrungen führen müssen, die in den letzten zwei Jahren
gemacht wurden und über die Zukunft unseres Prozesses.
Die große spontane
Beteiligung am Londoner Forum zeigt, dass der Prozess der Foren lebt und ein
verbreitetes Bedürfnis beantwortet. Die Bewegung wird wirklich immer mehr zu
einer „Bewegung der Bewegungen“, mit eigenen, einheitlichen Zusammenschlüssen,
eigenen Plattformen / Forderungskatalogen und eigenen Agenden, die das Forum
respektieren, zur Geltung kommen lassen und untereinander in Kommunikation und
Verbindung bringen muss. Die Vorbereitungsstrukturen des Forums müssen in der
Lage sein, sich zu öffnen und zu erweitern, das Forum mit Hilfe einer
hauptsächlich partizipativen Methode zu organisieren sowie die Fähigkeit
besitzen, internen Konflikten vorzubeugen und wenn das nicht geht, sie zu
handhaben.
Die Demokratie in den
Bewegungen ist ein komplexes Thema und es gibt keine einfachen Rezepte. Es
existiert allerdings eine in den letzten Jahren akkumulierte kollektive
Erfahrung. Wir sind plural und unsere Differenzen sind zahlreich. Wir teilen
allerdings einen politischen und sozialen Raum, der auf dem Kampf gegen den
Krieg, den Wirtschaftsliberalismus / Freihandel und den Rassismus basiert.
Damit unsere Pluralität Bereicherung und Wachstum darstellen kann und nicht
Problem und Hindernis, ist es notwendig, dass Einbeziehung, Gehör und
wechselseitiger Respekt niemals abnehmen.
Vorbemerkung,
Übersetzung aus dem Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover