Antifa-AG
der Uni Hannover:
Um sich ein Bild davon zu machen, wie
die Analytiker und Strategen in den think tanks („Denkpanzern“ / Denkfabriken) und den
Außenministerien die Lage nach dem Libanon-Krieg einschätzen, reicht es
natürlich nicht aus die Sichtweise der verschiedenen Strömungen im
imperialistischen Lager zu kennen. Dazu ist auch ein genauerer Blick auf die arabische Regime notwendig. Die linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“
interviewte daher den ehemaligen syrischen Planungsminister und heutigen
Direktor des einflussreichen und halb-offiziellen Arab
Center for Strategic Studies in Damaskus, Professor Issam
el Zaim. Das Interview erschien am 25.8.2006.
INTERVIEW:
In 2 bis 3 Monaten wird man sehen, ob es Krieg oder Frieden gibt
Für
Syrien hat sich die Situation im Mittleren Osten nach dem „verlorenen“ Krieg im
Libanon vollkommen verändert.
STEFANO CHIARINI – aus Damaskus
Die neue Bedingung, die der
israelische Ministerpräsident Olmert dem
UNO-Gesandten Terje Roed
Larsen für eine Beendigung der Luft- und Seeblockade des Libanon setzte (die
Entsendung internationaler Truppen an die syrisch-libanesische Grenze und auf
den Beiruter Flughafen), stellt – zusammen mit den ständigen israelischen
Angriffen im Südlibanon und in der Bekaa-Ebene – den
schwierigen Weg des Waffenstillstands erneut in Frage.
Die erste Antwort der
Regierung in Damaskus auf diesen Vorschlag, der einen Vorgeschmack auf eine
regelrechte Belagerung Syriens gibt, war sehr hart. Der syrische Präsident Bashar al Assad erklärte in einem Interview für den
Fernsehsender „al Arabiya“,
in dem er eine klare Alternative ‚Krieg – Frieden’ im Laufe der kommenden zwei
bis drei Monate aufstellte, das die Stationierung ausländischer Streitkräfte an
der Grenze zwischen seinem Land und dem Libanon als ein „feindseliger Akt“ betrachtet werde, der Damaskus dazu veranlassen
könnte, seine Grenzen zum Libanon komplett zu schließen.
Sehr hart fiel auch der Kommentar
des libanesischen Widerstandes aus: Ein derartiger Vorschlag würde bedeuten, „den Libanon unter internationales Mandat zu
stellen“, sagte der Hisbollah-Abgeordnete Hassan Fadlallah.
Vor diesem Hintergrund nehmen die Zweifel bezüglich der künftigen Rolle der
multinationalen Truppen sowohl im Libanon als auch in Syrien zu. Darüber sprachen
wir mit Professor Issam el Zaim,
dem ehemaligen Planungsminister und Direktor des einflussreichen,
halb-offiziellen Forschungszentrums Arab Center for Strategic Studies
in Damaskus. „Was wir in diesen Tagen erleben“ – sagt er uns in seinem, auf den
Hügeln der Hauptstadt gelegenen, Haus – „zeigt, dass Amerikaner und Israelis
nun (nachdem sie auf dem Schlachtfeld besiegt wurden) versuchen die Zweideutigkeit
der Resolution 1701 auszunutzen und die Ankunft der multinationalen
Streitkräfte zu instrumentalisieren, um dem Widerstand diesen Sieg zu
entreißen, der ihnen auf dem Schlachtfeld entgangen ist.“
Wie denken Sie über die Entsendung der multinationalen
Truppen in den Südlibanon?
„Unser negatives Urteil über
die zum Teil ungerechte und partielle Resolution 1701 und über die Tatsache,
dass die Resolutionen, die vom israelischen Abzug aus den besetzten Gebieten sprechen,
niemals umgesetzt wurden, ist bekannt. Was die neuen UNIFIL-Truppen anbelangt
wird alles davon abhängen, ob sie – wie ich befürchte – das Instrument dieses
Versuches sein werden die Hisbollah einzudämmen, anzugreifen und zu entwaffnen
oder ob sie den Willen und die Souveränität des Libanon respektieren. Die
politischen Kräfte und die Mitglieder der libanesischen Regierung stimmten
bezüglich der Tatsache überein, dass die Entwaffnung ein internes Problem ist,
dass es nicht Sache der UNO sei, darüber zu entscheiden wie sich das Land zu verteidigen
habe und dass dieses Thema schließlich zu einem zweiten Zeitpunkt in Angriff
genommen wird. Im Übrigen hat der Erfolg in diesem Krieg gegen Israel eine
Sache gezeigt: Was sollte die Hisbollah tun? Die Waffen niederlegen, ohne dass
irgendeines der Probleme gelöst ist, die dem Konflikt zugrunde liegen? Während
die Israelis bereits von einer ‚zweiten
Runde’ sprechen? Oder um für eine Normalisierung an der Grenze zu fördern,
ohne dass Israel die West Bank, die Shebaa-Höfe oder
den Golan verlassen hat?“
Kann man von einer bedeutenden Wende für den
Mittleren Osten sprechen?
„Daran besteht kein Zweifel.
Zum ersten Mal hat ein nicht-staatliches arabisches Subjekt, eine Bewegung, die
Ausdruck der an den Rand gedrängtesten Gemeinschaft
des Landes (den Schiiten) ist, die nicht nur ihr Land, sondern auch ihre Häuser
und Wohnungen verteidigten, Israel mehr als einen Monat die Stirn geboten. Zweitens
war ein totaler Glaubwürdigkeitsverlust der USA-freundlichen arabischen Regime
(Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien) zu verzeichnen. Der dritte Faktor ist
die israelische Niederlage (seines Geheimdienstes in erster Linie) und seiner
Arroganz. Der letzte Punkt, an den man sich erinnern muss, ist der – nach 33
Tagen ungerechtfertigter Massaker – unüberwindliche Graben zwischen der
Gesamtheit der arabischen Massen und Israel und vor allem zwischen den arabischen,
demokratischen Intellektuellen und dem jüdischen Staat.“
Welche Konsequenzen wird das alles im Libanon haben?
„Die interessanteste
Tatsache ist die Niederlage der israelischen und amerikanischen These – aber auch
des USA-freundlichen libanesischen Lagers (Jumblatt
und Hariri) – der zufolge die massiven Bombardements die Libanesen dazu treiben
würden, sich gegen die Hisbollah zu erheben. Genau das Gegenteil ist geschehen.
Die Front, die gegen eine erzwungene Entwaffnung der Partei Gottes ist und
gegen ein neues Kolonialmandat der USA über den Libanon (die beiden
schiitischen Parteien Hisbollah und Amal, die
christlichen Sektoren, die dem ehemaligen General Michel Aoun
nahe stehen, die Kommunistische Partei, die von Selim el Hoss
angeführten Laizisten, die Bewegungen in Franjieh und
Karame, die fortschrittlichen Sunniten in Sidon und
die Drusen in Arslan) bilden bereits die Mehrheit im
Land und werden das sehr bald auch im Parlament tun.“
Welchen Effekt wird der Krieg in Syrien haben? Befürchtet
Ihr einen möglichen israelischen Angriff?
„In Syrien hat sowohl die
Regierung, vor allem aber das Volk den Flüchtlingen und dem libanesischen
Widerstand seine volle Unterstützung gewährt und haben wir eine Mobilisierung
der Zivilgesellschaft erlebt, die ohne Gleichen ist. Eine Lektion dafür wie
wichtig es – gerade um die Destabilisierungsversuche der USA zurückzuschlagen –
ist, den Demokratisierungsprozess ohne Zurückhaltung zu vertiefen und
auszuweiten. Was die israelischen und amerikanischen Drohungen anbelangt denke
ich, dass die Lektion, die ihnen die Hisbollah im Libanon erteilt hat, zu einer
gewissen Vorsicht raten sollte. Denkt nur an den Zusammenbruch des Mythos des Merkava-Panzers. Wenn sie uns angreifen, werden wir sofort
antworten und Israel könnte (nach den ihr von der Hisbollah bereiteten) weitere
unangenehme Überraschungen erleben.“
Vorbemerkung
und Übersetzung aus dem Italienischen:
Antifa-AG
der Uni Hannover