Antifa-AG
der Uni Hannover:
Den Leitartikel der linken italienischen
Tageszeitung „il manifesto“ vom 19.Juli
2006 zu Israels Vernichtungsfeldzug im Libanon verfasste der in London
lebende bekannte Schriftsteller, Journalist, Filmemacher und radikale Sozialist
Tariq Ali. Eine in großen Teilen identische, aber
entschärfte, englischsprachige Version seines Kommentars brachte am darauf
folgenden Tag die gemäßigt linke britische Tageszeitung „The
Guardian“ (http://rs.net-hh.de/archiv/24191.htm).
Der 63jährige Ali, von dem zuletzt in
deutscher Sprache die Bücher „Fundamentalismus im Kampf um die Weltordnung –
Die Krisenherde unserer Zeit und ihre historischen Wurzeln“ (2002) und „Bush in
Babylon – Die Re-Kolonisierung des Irak“ (2004) erschienen, musste aufgrund
seines Kampfes gegen die pakistanische Militärdiktatur nach England emigrieren
und gehörte dort zu den führenden Köpfen der britischen 68er Bewegung. Von 1968
bis 1980 war er (Leitungs-)Mitglied der britischen Sektion der 4.Internationale
(d.h. der International Marxist Group) und ist bis heute ständiger Mitarbeiter
der Theoriezeitschrift „New Left Review“ http://www.newleftreview.net). Darüberhinaus schreibt er regelmäßig in der linken britischen
Tageszeitung „The Guardian“ (http://www.guardian.co.uk), im linken
US-Magazin „Counter Punch“
(http://www.counterpunch.org) und in
der „London Review of Books“.
Gelegentlich finden sich Beiträge von ihm auch in der „Süddeutschen Zeitung“
in der „taz“ und zuweilen sogar in der „FAZ“.
In „il manifesto“, dem strömungsübergreifenden
Organ der italienischen radikalen Linken, ist er regelmäßiger Autor. Politisch
ist er einer der Inspiratoren der
Antiglobalisierungsbewegung und intervenierte in Italien zuletzt mit einem
Offenen Brief an den langjährigen Parteichef von Rifondazione
Comunista (PRC), Fausto Bertinotti,
der nun als Präsident der Abgeordnetenkammer einer der Strippenzieher der neuen
Mitte-Links-Regierung ist, gegen die Weiterfinanzierung des italienischen
Kolonialtruppeneinsatzes in Afghanistan durch, Prodi,
Bertinotti, D’Alema &
Co. (englische Version unter: http://lists.fse-esf.org/pipermail/fse-esf/2006-July/001112.html).
Editorial:
Libanon
– ein Triumph bis zum Tod
TARIQ ALI
In seinem letzten Interview
(nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967) sagte der linke Historiker <und Marxist> Isaac Deutscher, dessen nächste Verwandte in einem
Lager starben bzw. als Überlebende in Israel lebten: „Israels Krieg gegen
die Araber zu rechtfertigen oder zu entschuldigen bedeutet in Wirklichkeit
Israel einen schlechten Dienst zu erweisen und seinen zukünftigen Interessen zu
schaden.“ Dann warnt er: „Die Deutschen haben ihre Erfahrung in dem
bitteren Satz zusammengefasst ‚Man kann sich totsiegen!’
<Im Original
deutsch!> ‚Du kannst Deinen Triumph bis
zum Tod treiben.’ Das ist es,was
die Israelis getan haben. Sie haben einen größeren Bissen genommen als sie
runterschlucken können.“
In Israels heutigem Handeln
können wir viele Elemente von Hochmut feststellen. Eine imperiale Arroganz,
eine systematische Verdrehung der Wirklichkeit, ein Bewusstsein der eigenen
militärischen Überlegenheit (mit sehr vielen Massenvernichtungswaffen als
letztem Mittel), die Anmaßung mit der es die sozialen Infrastrukturen der
anderen Länder zerstört und die Überzeugung von der eigenen rassischen
Überlegenheit. Die Araber sind Untermenschen <im Original deutsch!>. Alle zivilen Opfer in Gaza und im Libanon sind
nicht soviel wert wie der Tod eines einzigen israelischen Soldaten.
Und darin unterstützen die
Herrscher der Welt Israel. Die Offensive gegen Gaza wurde geplant, um die Hamas
zu zerstören, weil diese es gewagt hatte, die Wahlen zu gewinnen. Die „internationale
Gemeinschaft“ beschränkte sich darauf, Gaza bei seinem Todeskampf
zuzuschauen. Dutzende Zivilisten starben. Das alles bedeutete den Führern der
G8 nichts. Hinterlistige Worte wie „unverhältnismäßig“
wurden gelegentlich aus der Tasche gezogen. Aber getan wurde nichts.
Um jeden Zweifel
auszuräumen, klärte Condoleezza Rice
die Washingtoner Position in „Fox TV“, wo sie empfahl „die Offensive
muss verlängert werden“. Israels Skrupellosigkeit bekommt von Washington
immer grünes Licht. In diesem letzten Fall decken sich ihre Interessen: Sie
wollen das syrische Regime stürzen und sich den Libanon als
israelisch-amerikanisches Protektorat sichern. Der zeitgenössische Libanon –
das stimmt – ist in großem Maße die künstliche Kreatur des immer gleichen
französischen Kolonialismus geblieben.
Das konfessionelle
Schachbrett des Landes erlaubte nie eine sorgfältige Volkszählung, wegen der
großen Angst zu offenbaren, dass eine im wesentlichen
islamische (nach und nach vielleicht sogar schiitische) Mehrheit von einer
angemessenen Vertretung im politischen System ausgeschlossen ist. Durch die
Bedingungen unter denen die palästinensischen Flüchtlinge lebten, ausgelöste
Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften brachen in den 70er Jahren im
Bürgerkrieg aus und lieferten die Entschuldigung für den (mit stillschweigender
Zustimmung der Vereinigten Staaten erfolgten) Einmarsch und den Aufenthalt
syrischer Truppen im Libanon und ihre angebliche Rolle als Puffer zwischen den
sich bekriegenden Gemeinschaften sowie als Abschreckung gegen den vollständigen
Vormarsch Israels. Einer Möglichkeit, die durch die israelischen Invasionen von
1978 und 1982 aufgetreten war (als die Hisbollah noch gar nicht existierte).
Die Ermordung des korrupten <ehemaligen libanesischen
Ministerpräsidenten und Großkapitalisten> Hariri rief breite Proteste des mittleren Bürgertums hervor, die den
Abzug der syrischen Truppen und der syrischen Polizei forderte. Die Wucht
reichte aus, um den syrischen Abzug zu erzwingen. Die Hisbollah aber wurde
nicht entwaffnet und Syrien ist nicht gefallen. Diese israelische Offensive dient
dazu die Burg einzunehmen. Wird das funktionieren? Da die Hisbollah (genau wie
die Hamas) die Unterstützung der Massen genießt, ist ein langer Kolonialkrieg
in Sicht. Sie können nicht wie „Terroristen“ liquidiert werden. Genauso
wenig wie die PLO oder der ANC oder die algerische FLN oder die Mau Mau-Bewegung
<Anm.1>. In der arabischen Welt werden sie als
Freiheitskämpfer angesehen, die die längste koloniale Besatzung des
20.Jahrhunderts bekämpfen. Es befinden sich 7.000 <im „Guardian“
realistischer: 9.000> arabische
politische Gefangene in den israelischen Gulags. Das
ist der Grund, warum die israelischen Soldaten gefangen genommen wurden und es
in der Vergangenheit Gefangenenaustausche gab. Iran und Syrien die Schuld für
die jüngste Offensive im Libanon zu geben, ist einfach lächerlich. Solange die
Palästinafrage nicht gelöst wird und die Besetzung des Irak beendet, wird es in
der gesamten Region des Mittleren Ostens keinen Frieden geben.
Anmerkung 1:
„Die Mau-Mau-Bewegung
war eine Unabhängigkeitsbewegung in Kenia, die sich gegen die britische Kolonialherrschaft
wandte. Sie wurde hauptsächlich von Angehörigen des Stammes der Kikuyu (…) getragen und richtete sich ursprünglich
gegen die Benachteiligung einheimischer Bauern gegenüber weißen Siedlern im
zentralen Hochland Kenias. Die schlussendlich durch die Briten
niedergeschlagene Mau-Mau-Revolte von 1952 bis 1957 wurde von beiden
Seiten mit großer Härte und zum Schaden der zivilen Bevölkerung geführt.(…)
Bis zur
endgültigen Niederschlagung des Aufstandes 1953 kamen nach offiziellen Angaben
etwa 800 Mau-Mau Kämpfer sowie auf Seiten der Sicherheitskräfte 470 Afrikaner
und 63 Europäer ums Leben. 90.000 Kikuyu waren
in Lagern interniert. Die politischen Organisationen blieben verboten, der
Ausnahmezustand wurde erst am 12. Januar 1962 aufgehoben. Für Kenia war der
Mau-Mau-Aufstand der Beginn einer Entwicklung, an deren Ende die Unabhängigkeit
(am 12.Dezember 1963) stand.“
(aus:
Wikipedia)
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und
Einfügungen in eckigen Klammern:
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