* Isolde Kunkel-Weber gehörte 2002 der von Peter Hartz geleiteten Kommission an, deren Vorschläge
Grundlage der sogenannten Hartz-Pakete
der Bundesregierung sind
F: Jeden Montag demonstrieren in
Deutschland mehr Menschen gegen »Hartz IV« und
Sozialabbau. Vom ver.di-Bundesvorstand wurde
allerdings noch niemand auf der Straße gesichtet. Sind alle
Vorstandsmitglieder im Urlaub, oder haben Sie Angst vor den Demonstranten?
Es ist richtig, daß im Moment Urlaubszeit ist und
viele in den Ferien sind. Aber im Ernst: Ich halte die Demonstrationen für
einen wichtigen Ausdruck unserer Demokratie. Natürlich habe ich keine Angst
vor den Demonstranten. Warum auch?
F: Man könnte Sie als ehemaliges
Mitglied der Hartz-Kommission für die
Sozialkürzungen mitverantwortlich machen. Bereuen Sie heute Ihre Mitarbeit in
dem Gremium?
Das ist eine schwere Frage. Denn vieles, was heute unter dem Label »Hartz« läuft, hat nichts mit dem zu tun, was die
Kommission erarbeitet hat. Die Regierung hat die »Hartz-Vorschläge«
nicht wie angekündigt eins zu eins umgesetzt. Weiter verschärft wurden die
Maßnahmen dann durch die CDU im Bundesrat, das sollte man nicht vergessen.
Die Kommission hätte es im übrigen auch ohne die
Beteiligung der Gewerkschaften gegeben. Wir wollten unsere Positionen
einbringen und diesen Prozeß mitgestalten. Dazu
stehe ich auch heute noch.
F: Verlieren die Gewerkschaften so
viele Mitglieder, weil sie den Sozialabbau mitgestalten wollen, statt ihn zu
bekämpfen?
Ich glaube, das Problem des Mitgliederverlustes ist komplexer, hat viele
Gründe und steht nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der Hartz-Kommission. Im Bereich der Bundesagentur für Arbeit
haben wir übrigens sogar deutliche Mitgliederzuwächse.
F: Als Mitglied der Hartz-Kommission hatten Sie versichert, die
Bundesregierung werde die Arbeitslosenhilfe nicht auf Sozialhilfeniveau
absenken. Waren Sie wirklich so naiv?
Ich bin davon überzeugt, daß es ein Erfolg war,
diese Position in der Hartz-Kommission zu
erarbeiten. Mich verbittert, was daraus geworden ist. Die Kommission hat
ausdrücklich festgestellt, daß es keinen
Zusammenhang gibt, zwischen Leistungskürzungen und der Bereitschaft der
Menschen, Arbeit anzunehmen. Wir haben nie gefordert, Druck auf die
Arbeitslosen auszuüben, solange es keine offenen Stellen gibt. Das hat die
Bundesregierung nicht verstanden, worüber ich sehr enttäuscht bin. Denn hier
hapert es an Arbeitsplätzen und nicht an Arbeitswilligen.
F: Und wann treten Sie aus der SPD
aus?
Ich bin Mitglied und habe auch vor, es zu bleiben. Wer austritt macht es sich
viel einfacher als jemand, der weiter in der Partei für seine Positionen
kämpft.
F: Der ver.di-Erwerbslosenausschuß
und der deutsche Städtetag haben schon 2002 Leistungen auf Sozialhilfeniveau
vorausgesagt. Warum haben Sie nicht auf die Betroffenen gehört?
Ver.di ist eine große Organisation, und natürlich
hat jede Gruppe ihre eigenen berechtigten Interessen. Das alles zu bedienen
und zu berücksichtigen war ziemlich schwierig. Insofern stand am Ende nicht
nur ich, sondern der gesamte ver.di-Bundesvorstand
vor der Frage, ein Gesamtpaket zu würdigen.
F: Peter Hartz
wollte durch seine Vorschläge die Arbeitslosigkeit bis Ende 2005 halbieren.
Das wird knapp.
Das hat auch damit zu tun, daß ein wesentliches
Element des Hartz-Berichtes völlig untergegangen
ist. Wir haben öffentliche Investitionen, angemessene Wirtschaftsförderung
und Stabilisierung der Kommunen gefordert, um Arbeitsplätze zu schaffen. Wäre
das so umgesetzt worden, würden wir der Vision von Peter Hartz
zumindest näherkommen.
F: Die Bundesregierung setzt eher auf
den Niedriglohnsektor und die sogenannten
1-Euro-Jobs ...
... was eine arbeitsmarktpolitische Katastrophe ist. So werden keine existenzsichernden Einkommen geschaffen. Außerdem sind
dramatische Auswirkungen auf das gesamte Tarifgefüge der Bundesrepublik zu
befürchten.
F: Also wurden die Gewerkschaften bei
ihren Mitgestaltungsversuchen über den Tisch gezogen. Gehen sie jetzt auf die
Straße?
Über den Tisch gezogen ist ein schweres Wort, ich würde sagen: Wir wurden
enttäuscht. Wir werden beides machen, demonstrieren und dort mitarbeiten, wo
politische Entscheidungen vorbereitet werden. Die Gewerkschaften haben in der
Vergangenheit erfolgreich mobilisiert, etwa bei den Großdemonstrationen am 3.
April.
F: Konkret: Wann ruft der ver.di-Bundesvorstand zur Beteiligung an den
Montagsdemonstrationen auf?
Bisher hat es schon regionale Aufrufe gegeben. Noch im Juni war für niemanden
absehbar, daß eine solche soziale Bewegung
entstehen würde. Der Vorstand wird am kommenden Montag die Lage insgesamt
bewerten. Dem möchte ich nicht vorgreifen.
F: Die meisten ver.di-Mitglieder
sind von »Hartz IV« noch nicht direkt betroffen.
Können die aktuellen Proteste dennoch mit den gewerkschaftlichen
Auseinandersetzungen in den Betrieben verbunden werden?
Im Frühling gab es in Berlin einen Perspektiven-Kongreß
von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, an dem ver.di
wesentlich beteiligt war. Es wurde über soziale Alternativen diskutiert. Wir
sind im Moment dabei, diese komplexen Fragen in die Betriebe hineinzutragen.
Es gibt Betriebsversammlungen und Infostände. Wir werden die Proteste mit
dezentralen Aktionen aufgreifen und die Aktivitäten zum Ende des Jahres noch
einmal bündeln.
F: PDS-Chef Lothar Bisky hat Anfang
der Woche die Anhebung des Arbeitslosengeld II auf 400 Euro gefordert.
Unterstützen Sie den Vorschlag?
Ich warne vor solchem Stückwerk. Es bringt nichts, jetzt irgendwelche
Vorschläge in die Debatte zu werfen, nur weil die Menschen gerade auf die
Straße gehen. Neben Herrn Bisky kritisieren inzwischen ja auch einige die »Hartz-Maßnahmen«, die noch vor wenigen Monaten für eine
Verschärfung geworben haben. Wir müssen uns hinsetzen und das ganze Paket
überprüfen.
F: Und wollen Sie das ganze Paket
kippen wie die Demonstranten auf der Straße?
Die Regierung ist auf dem falschen Weg. Mit unserer Vorstellung von Reform
hat »Hartz IV« wenig zu tun. Deshalb muß die Regierung jetzt auch unter dem Druck der Straße
nachbessern. Aber ich würde nicht nur die schlechten Seiten der Maßnahmen
herausstellen. Die Forderung »Hartz muß weg« teile ich nicht, weil die Probleme komplexer
sind. Man hätte, wenn man so schwerwiegende Eingriffe vorhat, auch
rechtzeitig mit einer guten Informationskampagne beginnen müssen.
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