Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Nach einer ziemlichen Hetze verschiedener bürgerlicher Zeitungen
gegen die Organisatoren der Demonstration gegen den NATO-Gipfel, der Ende
September 2001 in Neapel stattfinden soll (wenn auch inzwischen nicht mehr
in der Innenstadt), führte die linkssozialistische italienische Tageszeitung
“il manifesto” das folgende Interview mit einer Sprecherin des Anti-NATO-Bündnisses
durch, das am 8.8.2001 erschien:
“Gegen den NATO-Gipfel werden
wir bewaffnet sein, aber mit Worten.”
Es spricht Roberta Moscarelli vom No global-Netzwerk: “Es gibt
welche, die uns kriminalisieren wollen. Wir dürfen nicht in die Gewalt-Falle
tappen.”
Angelo Mastrandrea
“Wir suchen keine Militarisierung der Auseinandersetzung. Die Idee streifen
wir nicht einmal. Wir wissen sehr gut, daß die NATO sehr viel stärker
ist als wir. Aber das bedeutet nicht, daß wir mit Blumen protestieren.”
So antwortet Roberta Moscarelli vom No global-Netzwerk auf die gestern in
der Presse erschienen Nachrichten, die Hypothesen über Kriegsszenarien
für den 26. und 27.September in Neapel anstellen, wenn im Palazzo Reale
die NATO-Staaten über Weltraum-Schild und Konflikte diskutieren werden.
Schwerwiegend auf’s Tapet gebracht, antworten die kampanischen No global-Aktivisten,
daß sie “bewaffnet, aber nur mit Worten, Inhalten und Forderungen bewaffnet”
demonstrieren werden, wie gestern der Sprecher des Netzwerkes, Francesco
Caruso, in Erinnerung gerufen hat, indem er einige seiner am Vortag in der
<dem FIAT-Konzern gehörenden, leicht linksliberalen> Tageszeitung
“La Stampa” abgegebenen Erklärungen präzisierte: “Wir haben uns
naiv verhalten”, räumt Roberta ein, “aber auch die Journalisten, die
sich mit Bewegung beschäftigen wollen, müssen lernen, uns zu begreifen
und unsere Sprache zu verstehen. Wenn wir von Radikalisierung sprechen, wollen
wir damit nicht sagen, daß wir die militärische Auseinandersetzung
wollen und wenn wir sagen, daß wir Carlo Giuliani rächen wollen,
ist unsere Intention nicht, zu sagen ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘.”
Es gibt jedoch ein Problem, das die Formen des Protestes betrifft.
“Über die Formen, die dieser Protest annehmen wird, können wir
noch nichts sagen, weil wir darüber nicht diskutiert haben. Die einzige
Sache, die wir sagen können, ist, daß es ihn geben wird und wir
werden gewiß nicht nur die 30 000 sein, die <im März 2001>
beim Global Forum da waren.” <und dagegen demonstrierten>
Was bedeutet es, daß der Protest radikal sein wird ?
“In Wahrheit reden wir von Dingen, die wir immer gemacht haben. Das Problem
ist, daß, wenn Du einer illegalen Sache gegenüberstehst, Du Dir
nicht die Frage stellst, legal oder illegal zu handeln. In dieser Hinsicht
kann man von Radikalisierung sprechen. Aber wir wollen deshalb keine Teile
des Netzwerkes verlieren.” (In jener Kampagne sind alle vertreten, von den
centri sociali bis hin zu den pazifistischen Vereinigungen; Anm.d.Red.)
In der Zwischenzeit ist die Botschaft, die über die Medien rübergekommen
ist, die der Gewalt.
“Wir haben uns sicherlich der Naivität schuldig gemacht. Aber nur bis
zu einem gewissen Punkt. Weil sich auch etwas in den Kommunikationsmitteln
verändert hat, die für uns eines der Terrains der Auseinandersetzung
sind. Deshalb sind wir dabei über die Kommunikationsformen zu diskutieren.
Bis zu einem gewissen Punkt ist es uns gelungen, ein Informationsgleichgewicht
aufrecht zu erhalten. Wenn Du z.B. das Global Forum vom März nimmst,
da kompensierten unsre Informationen in der Presse diejenigen der Gegenseite.
Aber nach Genua verändert sich etwas. Die Reflektion, die wir anstellen
ist, daß die Bewegung noch nicht ohne die Kommunikationsmittel auskommen
kann. Aber es besteht eine starke Gefahr der Banalisierung. Ich gebe Dir
ein Beispiel: Die Tute bianche haben in Neapel niemals existiert und doch
hat die <Tageszeitung> ‚il Mattino‘ von neapolitanischen Tute bianche
geredet. Deshalb würde ich alle einladen, eine Gewissensprüfung
zu machen - auch die Journalisten - und die Verantwortung für die Dummheiten
zu übernehmen, die sie sagen.”
Welches sind - nach Genua - die Perspektiven für die Bewegung ?
“Unsere Linie hat sich nicht geändert. Alle begreifen den Unterschied
zwischen der <demnächst in Rom tagenden Welternährungsbehörde>
FAO und der NATO. Unter uns ist die Erinnerung an das, was <an Polizeibrutalität
bei der Anti-Globalisierungs-Großdemo> am 17.März in Neapel
geschehen ist, sehr lebendig und dafür hat niemand bezahlt. Deshalb
betrachten wir es als eine Provokation, den Gipfel in demselben gebiet durchzuführen.
In der Bewegung gibt es eine Debatte und ich hoffe, daß sie auch erbittert
ist, aber es gibt keine Spaltung, wie jemand Glauben machen möchte.”
Aber in Neapel werden wahrscheinlich nicht all jene sein, die in Genua waren.
“Diese Bewegung drückt eine bemerkenswerte Komplexität aus, aufgrund
derer wird es diejenigen geben, die den Protest gegen die NATO teilen. Aber
dies ist kein Spaltungselement und auch keines der Schwäche. Einige
Teile werden teilnehmen, andere nicht - genauso wie es am 17.März geschehen
ist.”
Die Gefahr ist jedoch die der Ritualisierung der Auseinandersetzung anläßlich
der Gipfel. Denkst Du nicht, daß man aus dieser Falle herauskommen
müßte ?
“Ich denke, daß diese Bewegung ihre maximale Ausdehnung noch nicht
erreicht hat. Es ist das Entstehen einer Bewegung, die noch wachsen kann.
Das Niveau der Auseinandersetzung zu erhöhen, wie es unsere Gegenseite
macht, zielt gerade darauf ab, die Mobilisierung zu unterdrücken. Für
die Medien existieren nur die Gipfel, aber die Netzwerke entstehen ja gerade,
um auf dem Territorium zu arbeiten. Wir beschäftigen uns seit Jahren
mit den lokalen Mikroproblemen, z.B. mit dem Komitee Liberiamoci dal carcere
(Befreien wir uns uns vom Gefängnis). Und das, was wir für den
herbst in der Mache haben, ist genau das. Wir beabsichtigen Häuser zu
besetzen, Fabriken zu besetzen und fortzufahren die Zwangsräumungen
von alten Leuten zu verhindern.”
Welche Unterschiede siehst Du zwischen dem Protest gegen das Global Forum
im März und demjenigen gegen den NATO-Gipfel ?
“Es gibt einen Unterschied zwischen dem Global Forum und diesem anderen Anlaß.
Der erstere war wesentlich weniger wichtig. Da sind wir es gewesen, die das
Niveau der politischen Auseinandersetzung erhöhten und das ist sinnvoll
gewesen. Diesmal ist es anders. Wir werden provoziert und müssen diskutieren,
wie diese Provokation anzugehen ist. Das Tam-Tam in der Bewegung hat mittlerweile
begonnen und etwas wird passieren.”
Mit der Gefahr, daß es wieder bei Schlägen und Schlägereien
endet.
“Die Sache, die hervorzuheben uns wichtig ist, ist daß sich in der
Bewegung auch die Pazifisten die Frage stellen, wie man allein das Demonstrationsrecht
sicherstellen kann. Und was man daher tun muß, um nicht massakriert
zu werden. Wir haben noch keine Idee, wie man das anstellen muß. Und
wir wollen nicht in die Spirale von Repression, Antwort darauf und weiterer
Repression geraten - eine Sache, die man bereits in den 70er Jahren erlebt
hat.”
Aber das könnte die Gefahr sein.
“Das Problem ist, daß wir gegen eine Mauer laufen, weil keine politischen
Vermittlungen möglich sind. Daher muß man die Selbstverteidigung
über das Netzwerk organisieren. Zum Beispiel indem im Voraus ein eigener
Rechtsbeistand, eigene Sanitäter, eigene Kommunikationsmittel etc. bestimmt
werden. Und das ohne sich Naivität zuschulden kommen zu lassen. Die
Bewegung muß dann das Bewußtsein haben, daß jede Sache
eine Eroberung ist und kein Pflichtakt, weil bei diesen Gelegenheiten der
Rechtsstaat suspendiert ist. Denk‘ an das, was in der Nacht des 21. <Juli
2001> in Genua geschehen ist ! Vielleicht hätten wir das, was
passieren konnte, erahnen und allen Demonstranten sagen müssen: ‚Haut
ab aus Genua !‘.”
Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover