„junge Welt“ 27.11.2006

 

Herbst bleibt stürmisch

Zehntausende folgten in Portugal Aufruf der linken Gewerkschaftszentrale zum »Protesto Geral«

Von Peter Steiniger
 

Bei einem landesweiten Protesttag gingen am Sonnabend zeitgleich in 21 größeren Städten Portugals mehr als 70000 Demonstranten gegen die Regierungspolitik auf die Straße. Aufgerufen zum »Protesto Geral« hatte der Dachverband der Gewerkschaften, die CGTP-Intersindical.

Auf einer Kundgebung auf dem Rossio im Zentrum Lissabons forderte Gewerkschaftschef Carvalho da Silva vor Tausenden Teilnehmern eine Wende in der Arbeits- und Sozialpolitik. Eine Erhöhung der Mindestlöhne sei dringend geboten – gegenwärtig liegt das Einkommensminimum offiziell bei 385,90 Euro. In Portugal vollziehe sich mit dem für 2007 vorgelegten Sparhaushalt – Ministerpräsident José Sócrates will mit drastischen Maßnahmen das Defizit auf 3,7 Prozent senken – eine »Vertiefung der neoliberalen Politik«. Vorgesehen sind Kürzungen von Gehältern und Sozialleistungen, die Erhöhung des Rentenalters sowie Beförderungsstopps im öffentlichen Dienst. 75000 Stellen, mehr als jeder zehnte Arbeitsplatz, sollen dort demnach wegfallen. Auf allen Protestmärschen wurden in Sprechchören, auf Plakaten und Transparenten auskömmliche Jobs und würdevolle Arbeitsverhältnisse gefordert: »Für Kollektivverträge, »Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind keine Manövriermasse!« hieß es.

Portugal erlebt in diesem Herbst die heftigsten sozialen Auseinandersetzungen seit den 1980er Jahren. Darin bündelt sich der Unmut über wirtschaftliche Stagnation und sich verschlechternde Lebensbedingungen. Unterstützt von Kommunistischer Partei (PCP) und Linksblock (BE) treibt besonders die CGTP den Widerstand gegen eine marktliberale Politik der regierenden Sozialistischen Partei (PS) voran. Anfang November waren die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes landesweit in einen zweitägigen Ausstand getreten.

Die Linie der PS-Regierung orientiert sich mit Privatisierungen und Deregulierung am EU-Monetarismus. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst sprunghaft. Die Masse der Bevölkerung leidet unter Stellenabbau, Reallohnverlusten, einem maroden Bildungssystem und einer ausgedünnten öffentlichen Infrastruktur, vor allem im Landesinneren.

 

 

Quelle: www.jungewelt.de