Antifa-AG der Uni Hannover:
Anlässlich
der chilenischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am Sonntag, den
11.Dezember 2005 brachte die Wochenzeitung der DKP „unsere zeit“ am 9.12.2005
das folgende Interview mit dem Führungsmitglied der KP Chiles (PCC), Jorge Insunza. Er geht darin auf die aktuellen politischen Lager
des Landes ein und präsentiert den Ende 2003 gestarteten Versuch eines
umfangreichen Linksbündnisses „Juntos Podemos Más“, dem auch die Bewegung der Revolutionären Linken (MIR)
und Nachfolgeorganisationen der kommunistischen Guerillaorganisation FPMR
angehören. Auch wenn dieses Bündnis mit großem Abstand nur auf Platz 3 landen wird,
nutzen wir die Gelegenheit Insunzas Überblick
weiterzuverbreiten, denn Informationen über die Situation in Chile und die
chilenische Linke sind hierzulande in den letzten Jahren zur Mangelware
geworden, was leider auch dem Desinteresse der bundesdeutschen Linken
geschuldet war.
Das Grundsatzdokument des Linksbündnisses „Juntos
Podemos Más“ gibt es auf Deutsch unter: http://www.podemos.de/Deutsch/detail.php?nr=30&kategorie=Deutsch
Zahlreiche
weitere Artikel aus der „UZ“ unter:
Jorge Insunza (KP Chile): Gemeinsam können wir mehr!
Jorge Insunza ist in der Politischen Kommission
(Sekretariat) der Kommunistischen Partei Chiles für internationale Beziehungen
verantwortlich. Er kandidiert in einem Hauptstadt-Distrikt für das Parlament,
dem er bereits früher angehört hatte.
Jorge, wie
stellt sich das Panorama vor den Wahlen dar?
„Es handelt sich um sehr wichtige Wahlen,
da außer der Präsidentschaft auch über das komplette Parlament und eine Hälfte
des Senats entschieden wird.
Es gibt drei Blöcke: die "Concertación"
(Vereinbarung der Parteien für die Demokratie), der Parteien von
Christdemokraten bis Sozialisten angehören und die seit 1990 die Regierung
stellen. Dann die Rechte, die mit Pinochet regierte und aus den Parteien UDI
(Unabhängige Demokratische Union) und RN (Nationale Erneuerung) besteht, wobei
UDI auf das Erbe der Diktatur pocht, während RN sich von seiner Vergangenheit
distanziert und sich als erneuerte Kraft präsentiert. Und die Linke innerhalb
von Juntos Podemos Más (JP+).
Hinzu kommen regionale oder unabhängige Listen.
Die Rechte stellt mit ihrem
Bündnis "Allianz für Chile"
allerdings zwei Präsidentschaftskandidaten, Joaquín Lavín (UDI) und Sebastián Piñera (RN). Da die absolute Mehrheit nötig ist, hofft die
Rechte dadurch den direkten Sieg der Concertación-Kandidatin,
Michelle Bachelet, zu verhindern und dann in der
Stichwahl am 11. Januar vereint zu gewinnen.“
Wodurch unterscheidet sich Bachelet von Parteifreund Ricardo Lagos, dem derzeitigen
Präsidenten?
„Michelle Bachelet
ist Mitglied der Sozialistischen Partei (PS), die 1970 mit uns und anderen
Kräften Salvador Allendes Sieg möglich gemacht und tiefgreifende
soziale Änderungen angestoßen hatte, wie die Kupferverstaatlichung, die Landreform,
sozialisierte Bereiche in Großunternehmen und wesentliche Neuerungen bei der
Verteilung zwischen Kapital und Arbeit. Aber seitdem hat die PS eine Politik
gemacht, die auf Humanisierung des Kapitalismus hinausläuft. Ricardo Lagos war
und ist Vorreiter dieser Linie, die Chile zu einem "erfolgreichen"
Modell des Neoliberalismus gemacht hat. Es kam zu Wachstum der
Auslandsinvestitionen und des Bruttoinlandsprodukts, aber auch zu einer Öffnung
der Schere zu Lasten der Arbeiterinnen und Arbeiter. Am Ende der Diktatur lag
das Verhältnis zwischen den oberen und den unteren fünf Prozent bei 120:1, im
Jahr 2001 war es 240:1, was zeigt, dass die Concertación das Wesentliche des
Diktatursystems fortgeführt hat.
Michelle Bachelet
plant keine fundamentale Änderung, wenn sie auch partielle Modifikationen bei
Vorsorge, Erziehung oder Gesundheit verspricht. Sie bleibt unkonkret um
Konflikte innerhalb ihres Blocks zu verhindern, wo es ja Vertreter des
Großkapitals gibt. Der Diskurs ihrer Kandidatur ist im Rahmen der bisherigen
Politik. Sie vermeidet stark, sich von Lagos zu unterscheiden und ordnet sich
der Concertación unter. Sie ist Exponentin der Linken
in ihrer Partei, weshalb die Charakterisierung dieses Bündnisses als Gefängnis
fortschrittlicher Gedanken erlaubt ist: es gibt allenfalls kleine
Zugeständnisse.“
Welche Rolle spielt die rechte "Allianz
für Chile"?
„Im Grunde ist die "Allianz für Chile" ein Versuch der Träger
der Diktatur mit der Präsidentschaft das Zentrum der politischen Macht zu
erlangen; das bei den Menschen wenig angesehene
Parlament spielt in Chile nur eine untergeordnete Rolle. Mit den faktischen
Machtträgern wie dem Großkapital, der staatlichen Bürokratie, dem noch
gegenwärtigen Militärapparat und dem imperialistischen Druck der USA, würden
sie die Installierung des neoliberalen Systems akzentuieren und es verewigen
wollen. Beide, RN mehr und UDI weniger, versuchen sich von dem Diktaturstigma
zu befreien und lösen sich von der Figur Pinochet. Als Vergleiche mit Europa
kämen Berlusconi oder Aznar in Frage. Mit Le Pen will
sich niemand identifizieren.“
Die KP Chiles tritt innerhalb der Liste
"Gemeinsam schaffen wir mehr" an. Wie charakterisiert sich
dieses Bündnis?
„JP+ ist ein politisch-soziales Bündnis, das es geschafft hat, die
lange zerstreuten Linkskräfte in einem gemeinsamen Programm zu vereinen, mit
einheitlichem Präsidentschaftskandidat und Einheitsliste für das Parlament.
Außer kommunistischen, humanistischen, linkschristlichen, linkssozialistischen
und anderen Kräften sind in JP+ auch soziale, anti-neoliberale Organisationen
wie gewerkschaftliche oder gegen Privatisierungen kämpfende Strömungen,
kulturelle Bewegungen, Umweltgruppen oder solche von Indigenen. Bei der
Gründung im Dezember 2003 waren es 25, jetzt sind es 52 Organisationen. JP+ identifiziert
sich mit der demokratischen Tradition der historischen chilenischen Linken.
Symbole dafür sind Allende, Gladys Marín oder die in Amtsausübung verstorbene Abgeordnete der
Humanisten, Laura Rodríguez.“
Tomás Hirsch ist der Kandidat von JP+.
1999 kandidierte er für die Humanistische Partei (PH). Woher kommt er
politisch?
„Tomás Hirsch und seine Partei waren
vorher Teil der Concertación,
er war unter <dem
christdemokratischen> Präsident
Aylwin (1990-94) Botschafter in Neuseeland. Nach zwei Jahren trat die PH aus
der damaligen Regierung aus und entschied nach einigen Jahren Unabhängigkeit
Teil des Aufbaus einer linken Alternative zu werden. Auf einer klar anti-neoliberalen,
antiimperialistischen und volksnah-demokratischen Grundlage arbeiten wir an der
Einheit in der Verschiedenheit.“
Wie kann Chile, dessen Außenpolitik
unter dem sozialistischen Präsidenten sich negativ von der einiger
Nachbarländer unterscheidet, zu einer auf die regionale Integration gerichteten
Politik kommen?
„Es ist falsch hier von
sozialistisch zu sprechen, Ricardo Lagos wollte nie zum Sozialismus. Für Lagos
ist die Integration zweitrangig hinter den Verträgen mit den USA und der EU.
Der Freihandelsvertrag mit den USA war ein Mittel um andere lateinamerikanische
Staaten zur Amerikanischen Freihandelszone ALCA zu zwingen. Mit Bush und dem
Mexikaner Fox aber war Lagos der große Verlierer von Mar
del Plata, wo ALCA nicht durchgesetzt werden konnte. In Chile ist JP+ die einzige Kraft, die für die
lateinamerikanische Integration wirbt.“
Viele deiner Landsleute sind durch die
Diktatur in die DDR und die BRD gekommen, die KP Chiles und die im März
verstorbene Vorsitzende Gladys Marín
sind keine Unbekannten für die Mitglieder der DKP. Was bedeutet sie heute?
„Gladys
ist als Symbol des Wiederaufbauprozesses der Linken für alle deren Teile
Beispiel für Konsequenz und Courage, wie der schweren Periode der letzten
fünfzehn Jahre zu begegnen war; über die Linke hinaus hat sie den Respekt von
Millionen Menschen in Chile und Lateinamerika.“
(Die Fragen stellte: Günter Pohl)
Vorbemerkung
und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover