Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Wie wird sich die israelische Politik nach der von Ariel Sharon vollzogenen Spaltung des rechten Likud-Blocks und der Gründung seiner eigenen Partei mit dem Titel „Nationale Verantwortung“ (der sich mittlerweile auch ex-Arbeitspartei-Chef Shimon Peres angeschlossen hat) aussehen. Danach fragte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ auch Michel Warschawski. Warschawski wurde 1949 in Straßburg als Sohn des ehemaligen Oberrabbiners geboren, ging 1965 nach Jerusalem, besuchte die Talmudschule, studierte Philosophie an der Hebräischen Universität, ist Mitglied des Friedensblocks Gush Shalom, Vorsitzender des Alternative Information Center (http://www.alternativenews.org/) und AIC-Vertreter im Weltsozialforum. Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre zählte er zu den Gründern der revolutionär-sozialistischen Mazpam, die dann durch die Repression des israelischen Staates zerschlagen wurde. Ende der 80er wurde er zu 30 Monaten Haft verurteilt – wegen »Unterstützung illegaler palästinensischer Organisationen« (konkret der DFLP). Bis heute ist er erklärter Antizionist und einer der bekanntesten Vertreter der israelischen revolutionären Linken. Das „il manifesto“-Interview erschien am 28.11.2005.

 

Interview:

 

„Sharon für den Frieden? Illusion oder Lüge“

 

STEFANO CHIARINI

 

Interview mit Warschawski: „Die Anklage der EU ist richtig, aber ohne Druck wird Israel nicht damit aufhören.“

 

„Der EU-Bericht, der die Regierung Sharon beschuldigt, die jüdischen Siedlungen und die Mauer in Ostjerusalem auszudehnen, um zu verhindern, dass der besetzte Ostteil zur palästinensischen Hauptstadt wird und mit diesem Vorgehen eine Verhandlungslösung des Konfliktes unmöglich zu machen, basiert auf Allen sehr gut bekannten konkreten Fakten. Allenfalls ist es skandalös, dass versucht wird, sie zurückzustellen und man Israel nicht zu einem Einfrieren der Siedlungen drängt, was die Vorbedingung für einen zukünftigen Frieden ist. Michel Warschawski (Co-Direktor des Alternative Information Center in Jerusalem), der sich in diesen Tagen in Italien aufhält, beurteilt den Bericht der Europäischen Union über Jerusalem, der bis zum 12.Dezember von Gianfranco Fini <dem italienischen Außenminister, ehemaligen Führer des neofaschistischen MSI bzw. seiner militanten Jugendorganisation Fronte della Gioventù und heutigen Chef der MSI-Nachfolgepartei Alleanza Nazionale> blockiert wird, positiv, ist aber über den Mangel an politischem, wirtschaftlichem und diplomatischem Druck besorgt, um Sharons Annexionsprojekt zu stoppen. „Doch“, fährt Warschawski fort, „Sharon hat seine Entschlossenheit und die seiner Regierung, die Siedlungen in Ostjerusalem auszuweiten, um einen Kompromiss unmöglich zu machen, diverse Male bekundet. Das wird seine Plattform für die kommenden Wahlen sein.“

 

Sharon wird sich der Wählerschaft also als der Einzige präsentieren, der in der Lage ist die Annexion Ostjerusalems und eines Teils der West Bank zu Ende zu bringen…

 

„Mit Sicherheit. Sein erklärtes Ziel ist es, die Einkreisung Ost-Jerusalems zu vervollständigen und damit das gesamte metropolitane Stadtgebiet, das einen bedeutenden Teil der West Bank bildet, Israel einzuverleiben.“

 

Israelische Regierungsquellen haben mit Härte auf das Dokument reagiert. Fast so als sei es die Frucht eines bestimmten Antisemitismus…

 

„Das ist nichts Neues. Leider ist es bei der Regierung Sharon (und nicht nur bei ihr) üblich, jedwede Kritik an der israelischen Politik und jede konkrete Aktion für einen Friedenskompromiss des Antisemitismus zu beschuldigen. Das ist insofern ein sehr gravierendes Verhalten als der Antisemitismus auf diese Weise banalisiert und seine Gefährlichkeit heruntergespielt wird.“

 

Leider ist diese Tendenz auch in Italien aufgetaucht…

 

„In Europa gibt es eine allgemeine Tendenz, Sharons Pläne (wie die Mauer) und die Erosion der Grundlagen eines möglichen Friedens zu verfolgen, ohne irgendetwas zu tun. Die Äußerungen über eine Kompromisslösung, die die Rechte der Palästinenser auf irgendeine Weise respektiert, haben der Tendenz zur Akzeptanz der Politik der vollendeten Tatsachen und der Unterzeichnung von Abkommen auf der wirtschaftlichen und militärischen Ebene, die die Politik der israelischen Regierung freisprechen und stärken, den Weg geebnet. Es reicht da, an den, mit Einwilligung der <frz.> Regierung, von einer französischen Firma übernommenen Auftrag für eine Art von überirdischer Stadtbahn zu denken, die integraler Bestandteil des Versuches ist, den Ostteil Jerusalems für Israel zu annektieren.“

 

Was können die Gründe für diesen Verzicht seitens Europas sein?

 

„Vor allem ist da der Versuch, den Riss zu den USA zu flicken und deshalb keine Positionen einzunehmen, die zu Spannungen mit Washington und mit der israelischen Regierung führen könnten. Zweitens gibt es starke wirtschaftliche Interessen und – damit verbunden – das Umsichgreifen einer neoliberalen ökonomischen und politischen Tendenz, in der es für die Menschenrechte, die UNO-Resolutionen, die Genfer Konventionen und die Rechte der Völker keinen Platz mehr gibt.“

 

Was meinen Sie zu den jüngsten Tagungen der „Linken für Israel“ und der Aufwertung von Sharon als Mann des Friedens ?

 

„Es gibt keinen Zweifel, dass diese Offensive im Begriff ist, sich auch unter den fortschrittlichen Leuten zu entwickeln, mit dem Ziel die <aus dem rechten Mehrheitsflügel der 1990 aufgelösten italienischen KP hervorgegangenen> Linksdemokraten (DS) und die Mitte-Linke vom Lager derjenigen zu entfernen, die die Rechte der Palästinenser verteidigen, damit diese mit den radikalsten Gruppen, die leichter als antisemitisch abzukanzeln <wörtlich: zu liquidieren> sind, isoliert bleiben. Was Sharon anbelangt, so kann ihn niemand als Mann des Friedens bezeichnen, da er selbst die Punkte seines Annexionsplanes ganz klar definiert hat. Der Rückzug aus Gaza war – wie Sharon erklärt hat – ohne irgendwelche Verhandlungen mit den Palästinensern geschehen, um ‚die Siedlungen’ und die Kolonisierung der West Bank ‚zu verstärken’. Diejenigen, die von einem Friedensplan Sharons sprechen, sind blind oder lügen diesbezüglich schlichtweg.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover