Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Massenbewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag CPE in Frankreich, der dem
Heuern und Feuern der Unter-26-Jährigen Tür und Tor geöffnet hätte und sie in
eine Lakaienrolle drängen sollte, ist mit Hilfe von Massendemos, Massenstreiks,
Blockaden und Besetzungen gekippt worden. Das ist der erste große Erfolg einer
sozialen Bewegung in Europa seit langem. Das ist eine wichtige Aufmunterung für
den sozialen und politischen Widerstand auch im übrigen Europa und zeigt wie
ein erfolgreicher Kampf gegen neoliberale Gegenreformen und den Kapitalismus
insgesamt aussehen muss…
… meint
auch der führende italienische Gewerkschaftslinke und die „Nr.2“ der größten
italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Giorgio Cremaschi,
in einem Kommentar für die von Rifondazione Comunista herausgegebene
Tageszeitung „Liberazione“ vom 16.3.2006, dessen Lektüre sich auch
nach Abschluss der Bewegung lohnt und das nicht nur, um zu sehen, wie die
italienische Linke die Anti-CPE-Bewegung diskutiert…
Kommentar:
Die Sorbonne gibt uns
Hoffnung
Giorgio Cremaschi
Der <ehemalige italienische> Botschafter <und heutige „Corriere della Sera“-Leitartikler> Sergio Romano sagte im Fernsehen, dass die Schüler
und Studenten, die heute die Sorbonne besetzen, Konservative sind, während
jene, die es `68 taten, Revolutionäre gewesen seien.
Die Würdigung der postumen
Aufwertung von `68 einmal beiseite gelassen, sind wir damit nicht
einverstanden. Die Schüler und Studenten, die heute in Frankreich kämpfen,
unterschieden sich durchaus sehr von der Generation vor fast 40 Jahren. Sie
gehen in eine Schule, die immer stärker den Rhythmen der Produktion und des
globalen Marktes unterworfen ist. Auch in einem Land wie Frankreich, wo das
öffentliche Schulwesen unendlich viel besser ist als das unsere, zerbröckelt
der Druck des Marktes das Recht auf Bildung. Und er verwandelt es in die
elendigste Praxis der „Bildung“, die sich zur Kultur verhält wie die
McDonalds-Läden zu guten Restaurants.
Vielleicht ist es aber
gerade der stärkere Fortbestand des öffentlichen / gesellschaftlichen Geistes
im französischen Schulwesen, der dafür sorgt, dass die Schüler und Studenten
gegen ein Arbeitsmarktgesetz aufbegehren. Hier liegt nämlich die grundlegende
und neue Bedeutung der französischen Bewegung. Die Schüler und Studenten
kämpfen nicht gegen eine Schulreform, nicht gegen ein Gesetz, das direkt den
Ablauf des Lernens betrifft. Sie besetzen die Universitäten <im Kampf> gegen ein Gesetz, das den Arbeitsmarkt weiter
prekarisiert.
Das Gesetz über die
Ersteinstellung (CPE) legt nämlich fest, dass die Jugendlichen unter 26 Jahren
mit befristeten Arbeitsverträgen und einer zweijährigen Probezeit eingestellt
werden können. Während dieser Zeit kann der Arbeitende jeden Augenblick ohne
echten Grund entlassen werden.
Das ist eine Regel, die auch
die christdemokratisch-sozialdemokratische Regierung in Deutschland einzuführen
versucht. In ganz Europa ist im übrigen eine Offensive gegen die Arbeitsrechte
im Gange. In den einzelnen Ländern werden dabei manchmal unterschiedliche Wege
verfolgt, die aber alle zum selben Ziel führen.
In Spanien würde ein Gesetz
der französischen Art sicher keine besonderen Emotionen hervorrufen, da der
Arbeitsmarkt dort bereits heute zu den prekärsten Europas zählt In Italien hat
man mit dem <am 24.
Juni 1997 von der ersten Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi
verabschiedeten> Treu-Paket und dann
dem Gesetz Nr. 30 / 2003 <dem
sog. “Biagi-Gesetz“ der Regierung Berlusconi> eine derartige Verfügbarkeit von prekären
Arbeitsverträgen geschaffen, dass die Unternehmen nur noch die Qual der Wahl
haben.
Für die Arbeitsmärkte, die
stärker strukturiert sind als unserer und auf denen es noch einige Rechte mehr
gibt als bei uns (wie in Frankreich oder Deutschland), stellt das Gesetz über
die Ersteinstellung dagegen den Weg dar, um zur vollständigen Prekarisierung
des Arbeitsmarktes zu gelangen.
So erleben wir heute in
Frankreich dieselbe öffentliche Debatte, wie wir sie in Italien über das Gesetz
Nr. 30 erlebt haben: Eine Regierung, die erklärt, dass eine prekäre Arbeit
besser sei als keine Arbeit. Die Industriellen, die verkünden, dass dieses
Gesetz erst der Anfang sei, weil die Globalisierung sehr viel höhere
Flexibilisierungs- und Prekaritätsniveaus erfordere. Gewerkschaften, die diese
Maßnahme (bei einigen Unterschieden in der Bewertung) insgesamt ablehnen.
Bis hierher ist das, was jenseits
der Alpen passiert, die Reproduktion dessen, was in ganz Europa geschieht. Das
wirklich neue sind die Schüler und Studenten. Bislang waren die Kämpfe gegen
die Prekarisierung dort, wo es sie gab, eine Frage der direkt Betroffenen und
der Gewerkschaften. Mit der französischen Bewegung wird der Kampf gegen die
Prekarität zu etwas Anderem. Er nimmt die Bedeutung einer allgemeinen
politischen Frage an und stellt einen Konflikt, der die gesamte Gesellschaft
durchzieht, in den Mittelpunkt.
Die Regierung hat versucht,
die Schüler und Studenten zu besänftigen und ihnen zu erklären, dass die
prekären Arbeitsverträge nur die Jugendlichen mit niedrigem Bildungsgrad
beträfen. Die Studenten haben allerdings nicht angebissen. Sie haben sehr genau
verstanden, dass die Prekarisierung eine ganze Generation angreift und auf
diesem Wege eine ganze Dimension unserer Zivilisation.
Die französische Bewegung
besitzt gerade deshalb einen allgemeinen Wert, weil sie über die traditionellen
Grenzen der organisierten Interessen hinausgeht. Durch die Kämpfe der Schüler
und Studenten werden die Prinzipien der Demokratie wieder konkret vertreten:
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit…, die der Markt und die
wirtschaftsliberale Globalisierung durch ihre eigene, moderne Triade ersetzen
wollen: Privatisierungen, Liberalisierungen, Flexibilität. Nach den Revolten
der armen Jugendlichen und der Immigranten aus den Pariser Peripherien zeigen
die Kämpfe der Schüler und Studenten, dass es noch möglich ist, eine Antwort
auf den Wirtschaftsliberalismus zu geben, die nicht nur Verzweifelung und
Zerstörung beinhaltet. Sie lassen den fortschrittlichen und einbeziehenden
Charakter des Konfliktes für die Rechte und die Freiheit neu aufleben.
Bei uns hat die
Prekarisierung der Arbeit mittlerweile ganze Gegenden des Landes überwältigt –
angefangen bei jenen Zonen des Mezzogiorno <d.h. Süditaliens>, in denen die einzig zulässige Arbeit die
Schwarzarbeit ist. Die Prekarität manifestiert sich sodann mit der Barbarei der
langen Schlangen von Migranten, die auf eine Aufenthaltserlaubnis warten sowie
in der Situation der Jugendlichen, die von den Call Centern über die
Fabriken bis in die Vorlesungssäle der Universitäten ein Leben lang auf Probe
sind. Die Prekarität durchdringt die gesamte Arbeit und alle Generationen. Sie
beginnt bei den Jüngsten und den Schwächsten, greift dann aber alle an.
Deshalb muss man darauf
hoffen und daran arbeiten, dass die Prekarität der Beschäftigung nicht mehr nur
eine Frage gewerkschaftlicher Beziehungen <zu den Kapitalisten bzw. ihren Managern> ist und noch weniger von irgendeiner neuen
Sozialpartnerschaft aufgesaugt wird. Vielmehr ist es notwendig, dass der Kampf
gegen die Prekarität zum grundlegenden Ziel einer breiten Bewegung wird, zu
deren Protagonisten vor allem die jungen Arbeiter, die Schüler und Studenten,
die Migranten und all jene gehören, die unter dieser Aggression leiden.
Es ist nur der größere
Verfall unseres Schulwesens, der eine Rebellion wie die französische bislang
verhindert hat. Deshalb sollte man allerdings nicht resignieren. Die
progressive Botschaft, die von den Universitäten jenseits der Alpen
herüberkommt, ist genau das Gegenteil der Konservierung. Sie zeigt, dass eine
Gesellschaft, die wachsen will, indem sie die Jugendlichen zur wilden
Konkurrenz und zum Verzicht auf die Rechte erzieht, keine ernsthafte Zukunft
hat.
Deshalb wendet sich die
Bewegung der französischen Schüler und Studenten an Alle und lässt gerade das
befreiende Wesen von `68 wieder aufleben. Deshalb können wir uns nur wünschen,
dass das, was heute in Frankreich geschieht, in Kürze auch in Italien gedeihen
kann.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover