Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Zu den Anti-Korruptions-Protesten und den Führungskämpfen innerhalb der Fatah und der palästinensischen Autonomiebehörde interviewte das in Gaza und der WestBank produzierte unabhängige Wochenmagazin „Palestine Report Online“ (www.palestinereport.org/) für die Ausgabe vom 28.7.2004 Hisham Ahmed. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der palästinensischen Birzeit Universität, kritisiert das von den Vertretern der sog. israelischen und palästinensischen „Zivilgesellschaften“ ausgehandelte „Genfer Abkommen“ scharf und steht – wie aus seinen Äußerungen unschwer zu erkennen ist – links von Al-Fatah. Womit er in gewissen Punkten ein Gegengewicht zu dem eher pro-westlichen ICG-Analysten Mouin Rabbani bildet, dessen Interview zum gleichen Thema nebenstehend zu finden ist.

 

„Zwischen dem Korrupten und dem Korrupten“

 

ein Interview mit Hisham Ahmed

 

Diese Woche interviewt „Palestine Report Online“ Hisham Ahmed, Professor für Politikwissenschaft an der Birzeit University, zur aktuellen Sicherheitslage in den palästinensischen Gebieten.

 

Wieviel hat die gegenwärtige Sicherheitskrise mit Korruption und korrupten Funktionsträgern zu tun ?

 

„Das, was in jüngster Zeit in der palästinensischen Gesellschaft geschieht, fügt der Al Aqsa-Intifada einerseits und dem palästinensischen nationalen Kampf anderseits sicherlich einen schweren Schlag zu. Das Letzte, was die palästinensische Gesellschaft will, ist eine Internationalisierung des Konfliktes. Ich denke, es ist der Mühe wert, sich zu vergegenwärtigen, dass es in der palästinensischen Gesellschaft eine Vielzahl von Kräften gab, die nicht daran interessiert waren, dass die Al Aqsa-Intifada weitergeht und Ergebnisse zeitigt. Ich bin der Ansicht, dass solche Kräfte sich möglicherweise zusammengetan haben, um die Orientierung und die Aufmerksamkeit von der Intifada auf andere Fragen zu lenken.

Sicherlich gibt es in der Autonomiebehörde (PA) Korruption. Korruption ist auch in vielen anderen Institutionen der Gesellschaft vorhanden. Das heißt nicht, dass die palästinensische Gesellschaft als solche korrupt ist. Im Gegenteil, ich denke, wir haben ein Volk, dass Größe gezeigt, kontinuierlich gekämpft und durchgehalten hat. Wenn wir aber von der PA sprechen, so gibt es dort Teile, die schlecht strukturiert sind und in einer Vielzahl von Angelegenheiten Missmanagement betreiben. Ich gehöre allerdings nicht zu denjenigen, die es akzeptieren würden, die Praxis der Korruption mit Präsident Yasser Arafat selbst zu verbinden. Arafat wurde jahrlang von Sharons Panzern belagert. Er wurde allerdings ebenso von korrupten Funktionsträgern belagert, die Missmanagement betrieben und nicht die palästinensischen nationalen Interessen im Sinn hatten, sondern sich auf ihre eigenen Interessen konzentriert haben.

Ich denke, es ist ebenfalls wichtig, anzumerken, dass die palästinensische Gesellschaft nicht die einzige ist, die mit solchen Problemen zu tun hat. Erinnern wir uns daran, dass die israelische Gesellschaft das letzte Jahr lang in schweren Krisen steckte, die mit der Korruption einiger ihrer Funktionsträger zu tun hatte, Sharon eingeschlossen.“

 

Meinen Sie nicht, dass Arafat, indem er sich mit diesen Leuten umgibt, auch seine eigene Machtgrundlage schützt ?

 

„Zweifellos sollte er einen mutigen und seit langem notwendigen Schritt tun und diese korrupten Funktionäre loswerden. In jedem Fall glaube ich, ohne in die Rechtfertigungsfalle zu tappen, dass diese Funktionäre sich daran beteiligen werden, Arafat zu bestürmen, wenn es zur Unterrichtung und zu sorgfältigen Berichten über das kommt, was vor sich geht. Ebenso helfen sie dabei die Schlinge um Arafat zuzuziehen, um sich an seiner moralischen und politischen Ermordung unter seinen eigenen Leuten zu beteiligen. Mit anderen Worten, nach dem Scheitern von Sharons und Bushs Versuchen, Arafat physisch zu ermorden, glaube ich, dass es palästinensische Elemente gibt, die sich daran beteiligen, Arafats Popularität in seinen eigenen Kreisen zu reduzieren.

Ich würde zustimmen, dass er die Verantwortung dafür trägt, sich mit diesen Funktionären zu umgeben und dem großen Schaden, den sie ihm als einem Symbol des palästinensischen nationalen Kampfes, aber auch den Schaden, den sie der gesamten palästinensischen Frage zufügen, nicht zu beachten. Deshalb muss er bei der Befreiung von ihnen die Führung übernehmen.

Wie auch immer, was viele Palästinenser bei den jüngsten Ereignissen verwirrt hat, ist die Tatsache, dass viele Leute sagen, diese Auseinandersetzung fände zwischen Korrupten und anderen Korrupten statt. Ich glaube, das ist es, was dazu geführt hat, dass viele Leute am Rande stehen geblieben sind. Gewiss, viele Palästinenser wollen diese korrupten Funktionäre auf beiden Seiten des Konfliktes loswerden, aber sie hatten nicht den Eindruck, dass die stattfindende Auseinandersetzung für mehr gesorgt hat als die palästinensische Frage in die falsche Richtung zu verlagern und das ist der Grund, warum viele Leute beschlossen, eine abwartende und Zuschauerhaltung einzunehmen.“

 

Was meinen Sie, warum hat Ministerpräsident Ahmed Kurei seinen Rücktritt widerrufen ?

 

„Meiner Ansicht nach stellte Kurei’s Rücktritt einen anderen Teil des Drucks und der Belagerung dar, die gegen Arafat praktiziert wurde. Wozu dient der Rücktritt ?  Wer wird für den Kollaps der Sicherheitslage in der palästinensischen Gesellschaft kritisiert ?  Trägt nicht die Regierung selbst (d.h. Kurei’s Kabinett) eine große Verantwortung dafür, wenn es soweit kommt ?  Warum verabschiedete der Legislative Council <d.h. das palästinensische Parlament> eine Resolution, dass der Rücktritt akzeptiert werden sollte, weil es die Regierung sei, die die Verantwortung trage ?  Die Tatsache, dass Kurei von seinem Rücktritt zurücktrat, vertieft meine Überzeugung, dass der Rücktritt selbst mehr eine Taktik war, um Druck auszuüben als irgendetwas anderes. Wir wissen z.B., dass es mehrere korrupte Minister im Kabinett gibt. Warum beachtet Kurei’s Kabinett die Resolution und Empfehlung des Legislative Council nicht und trennt sich von diesen korrupten Funktionsträgern ?  Einige von ihnen <u.a. der Zementfabrikant Kurei selbst!> waren in Zementgeschäfte für den Apartheidwall involviert. Da sind ernsthafte Probleme vorhanden und ich denke, dass die palästinensische Arena einen ernsten Prozess der Neubestimmung und Neugestaltung durchmacht. Einen von den Prozessen, die, wenn wir ihnen nicht genug Aufmerksamkeit schenken, in die unverzeihliche Falle einer inneren Auseinandersetzung führen können.“

 

Wie weit spielt das Israel in die Hände ?

 

„Zweifellos ist Sharon der Hauptnutznießer dieser neuen Entwicklungen. Es ist ihm gelungen, die palästinensische Arena – speziell im Gaza-Streifen – in diese Situation zu bringen. Sharon hat, soweit es diese neuen Entwicklungen betrifft, allen Grund zum Feiern.“

 

Sind Sie der Meinung, dass das Problem in erster Linie innerhalb der Fatah liegt ?

 

„Angesichts der Tatsache, dass das die größte politische Fraktion ist, spiegelt sich alles, was in der palästinensischen Gesellschaft ereignet, in der Fatah wider und umgekehrt. Das ist so, weil viele von den korrupten palästinensischen Funktionsträgern es als geeignet und ihnen selbst als dienlich ansehen, sich – als Selbstschutzmaßnahme – grundsätzlich mit Al-Fatah zu identifizieren. So wird sie definitiv durch deren Verhalten beeinflusst. Aus diesem Grund haben wir den Eindruck, dass der größte Teil der stattfindenden Auseinandersetzung innerhalb von Al-Fatah geführt wird.

Al-Fatah muss sich einem ernsthaften Läuterungsprozess unterziehen. Es war schon immer meine Überzeugung, dass die Fatah ohne die Intifada einen sehr ernsten Auflösungs- und Kollapsprozess hätte erleben können.

Die aktive Beteiligung der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden am Widerstand gegen die Besatzung war es, was Al-Fatah intakt hielt – wenn auch nur zeitweilig bis sich die jüngste Auseinandersetzung entwickelte. Daher ist vielleicht das entscheidende Element, um Al-Fatah solange intakt zu halten bis ihre strukturellen und funktionalen Dimensionen untersucht (evaluiert) wurden, den Widerstand in der Fatah zu unterstützen und ihm den Weg zu ebnen, um seinen angemessenen Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

In jedem Fall muss festgehalten werden, dass diese Konzentration auf Al-Fatah in gewisser Hinsicht die Aufmerksamkeit von der Korruption in vielen anderen palästinensischen Fraktionen und Organisationen ablenkt. Die Tatsache, dass sich die Fatah aufgrund ihrer Rolle im Friedensprozess, an der Oberfläche bewegt, hat sie für Kritik anfällig gemacht.“

 

Meinen Sie, dass die Autonomiebehörde (PA) sich besser selbst auflösen sollte?

 

„Ich habe niemals der Denkschule angehört, die die Auflösung der PA fordert. Ich bin der Meinung, dass diese Denkweise versucht, eine schwere Krankheit mit Hilfe einer noch schlimmeren Krankheit zu behandeln. Das ist rückwärts gewandt, kontraproduktiv, kurzsichtig und engstirnig und ich denke nicht, dass das den palästinensischen Interessen in irgendeiner Weise dient.

Der Schritt, der vollzogen werden sollte, ist, was Arafat selbst anbelangt, mit einer historischen Rede an sein Volk und die Welt in die Öffentlichkeit zu gehen, sein Amt niederzulegen und Wahlen auszurufen, während er das Recht behält, wie jeder andere palästinensische Bürger bei den Wahlen erneut zu kandidieren. Mit anderen Worten: die PA auf ein Behelfsgleis zu steuern. Auf diese Weise würde es ihm gelingen, eine konstruktive internationale Krise hervorzurufen und er würde die Feinde des palästinensischen Volkes (Israel und die USA) zwingen, dem Geschehen unmittelbare Aufmerksamkeit zu schenken. Ich denke, er wäre <dadurch> auch in der Lage eine Reihe interner Probleme zu lösen. Wenn die PA allerdings Krisen weiterhin auf diese altmodische Art managet, fürchte ich, dass man in einem Monat oder so sagen muss: Zurück zum Ausgangspunkt !“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover