Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Vom 15.
bis 17.Oktober 2004 wird in London das dritte Europäische Sozialforum
stattfinden, von dem nicht wenige Linke befürchten, dass es zu einer
Kommerzialisierung, zu einer (inhaltlichen wie organisatorischen) Dominanz sozialdemokratischer Kräfte und zur
Umwandlung des ESF in einen unverbindlichen Event führen wird. Was keineswegs
bedeutet, dass diese Elemente im ESF und der Antiglobalisierungsbewegung nicht
bereits heute zum Teil deutlich auszumachen wären. Um zu klären, wie die Dinge
unmittelbar vor dem Londoner ESF stehen und welche politischen
Auseinandersetzungen im Vorfeld hinter den Kulissen ausgefochten wurden,
bringen wir im Folgenden die Übersetzung einer sehr detaillierten kritischen
Bestandsaufnahme, die nach dem letzten großen Vorbereitungstreffen vom
3.-5.9.2004 in Brüssel in der britischen Wochenzeitung „Weekly
Worker“ Nr. 543 vom 9.9.2004 erschien. Es
ist die bisher umfassendste kritische Darstellung des Standes der Dinge, von
der es bisher leider nur sehr wenige gibt. In den Kernpunkten deckt sie sich im
übrigen mit dem von der österreichischen Gruppe ArbeiterInnenstandpunkt
in ihrem „Red Newsletter“ Nr.124 vom 28.9.2004 (http://arbeiterinnenstandpunkt.net/)
gelieferten Bericht, bietet an vielen Punkten allerdings – auch aufgrund der
Insider-Kenntnisse über die britische Linke – weitergehende Einblicke.
Der „Weekly Worker“ (http://www.cpgb.org.uk/worker/) wird
von der Communist Party of Great Britain
(CPGB) herausgegeben, genießt allerdings aufgrund seiner offenen, kompetenten
und bewegungsorientierten Berichterstattung in weiten Kreisen der britischen
Linken ein hohes Ansehen.
Livingstone festigt seinen Griff
Das Europäische Sozialforum muss demokratisiert
werden, wenn es der Linken überall in Europa wirklich helfen soll. Stattdessen
wird die ganze Sache allerdings mehr und mehr zu einem bürokratischen
Flickwerk. Es gibt Unmut und Opposition, die aber verdrossen und unorganisiert
ist. Tina Becker und Anne Mc Shane
berichten von dem Vorbereitungstreffen, das vom 3. bis 5. September in Brüssel
stattfand.
Die Hauptbeschäftigung der
letzten Vorbereitungsversammlung vor dem aktuellen ESF war das Verschmelzen von
Seminarvorschlägen. Mehr als 800 Vorschläge wurden zu gerademal
150 zusammengefasst – der Anzahl der im Londoner Alexandra Palace verfügbaren
Versammlungsräume.
Viele Genossen von überall
aus Europa waren verärgert, dass so wenige Veranstaltungen stattfinden und wir
wurden daran erinnert, dass 2003 in Paris und 2002 in Florenz die Anzahl
beinahe doppelt so hoch war. Die ziemlich unappetitliche Aufgabe,
Organisationen dazu zu nötigen, ihre Vorschläge („aber wir brauchen unsere
eigene Veranstaltung“) zu verschmelzen, wurde immerhin erleichtert als deutsche
und französische Delegationen beschlossen, einen Extra-Raum in Ally Pally zu finanzieren. Das
bedeutet, dass ungefähr 18 weitere Seminare stattfinden können.
Dennoch kritisierten viele
Teilnehmer die Begründung, die von Redmond O’Neill, in Vertretung des Londoner
Bürgermeisters Ken Livingstone, für den kleineren
Austragungsort gegeben wurde, den das ESF dieses Jahr hat.
Er erzählte der Versammlung,
dass „schlichtweg kein weiteres Geld verfügbar ist, um zu expandieren“.
Geld klug ausgegeben
?
In jedem Fall schoss sich
Genosse O’Neill selbst ein bisschen in den Fuß als er dazu überging, das Budget
vorzulesen: 40.000 Sterling <= 52.000 Euro> sind jetzt
bestätigt als Kosten für unsere ziemlich einfallslose und unzulängliche Website
(versuch’ mal das Programm für ein spezielles Thema zu finden – ein Alptraum!).
Die Nutzung der Möglichkeit online zu bezahlen – World Pay
– kostet weitere 17.000 Sterling <22.100 Euro>.
Anwalts- und Berufshonorare <wahrscheinlich für die Dolmetscher> bescheren uns 40.000 Sterling <52.000 Euro>,
das Büro beläuft sich auf rund 20.000 Sterling <26.000 Euro> und 50.000 Sterling <65.000 Euro> sind für das IT-Equipment bestimmt.
Als Leser des „Weekly Worker“ wirst Du
wissen, dass es in keinem offiziellen ESF-Gremium eine Diskussion über das
Budget gegeben hat. Genosse O’Neill, der auch ein führendes Mitglied der
Untergrundsekte Socialist Action (SA) ist, verkündete
bei einem ESF-Koordinationstreffen vor einigen Wochen schlicht und einfach die
Zahlen – nachdem ein beträchtlicher Teil davon bereits ausgegeben oder
zugeteilt war. Änderungen am Haushalt sind nicht erlaubt, „es sei denn Du
findest das Geld, um sie zu bezahlen“, wie Louise Hutchins
(eine weitere SA-Genossin, die im ESF-Büro arbeitet) es formuliert. Nicht nur,
dass es keine Diskussion gab. Es wurde uns auch verboten, über irgendwelche
Einzelheiten des Haushaltes zu berichten. Angesichts von Vertretern aus ganz
Europa war Redmond O’Neill jedoch schwerlich in der Lage auf der üblichen
Knebelungsanordnung zu bestehen. Mit diesen Zahlen, die nun offen zu Tage
lagen, fragten viele ESF-Aktivisten, wie klug einige der Ausgaben waren: „Für
40.000 Sterling kannst Du zwei professionelle Webseiten-Designer ein Jahr lang
beschäftigen“, insistierte ein italienischer Genosse. Stattdessen wurde der
Vertrag mit der Green Net-Company abgeschlossen, die im Augenblick nicht einmal
in der Lage zu sein scheint, Probleme mit der Seite zu beheben, auf die
zahllose Male hingewiesen wurde.
Dann sind da die Ausgaben in
Höhe von 50.000 Pfund <65.000
Euro> für IT-Equipment,
mit dem ein Medienzentrum mit 25 Computern, 50 Breitband-Lines,
3 ISDN-Anschlüssen und einigen Fotokopierern im Alexandra Palace ausgestattet
wird. Obwohl auf einer Sitzung des ESF-Organisationskomitees vor einigen
Monaten beschlossen wurde, dass alle Computer im Medienzentrum von Computer Aid gemietet werden und nur mit offen zugänglicher Software
laufen sollten, wurde diese Entscheidung – wie so viele andere – von dem Mann
ignoriert, der in Wirklichkeit der Leiter des ESF ist: <Der jüngst in Blairs New Labour
Party zurückgekehrte Londoner Bürgermeister> Ken Livingstone, der von seinen gut bezahlten
Socialist Action-Lakaien unterstützt wird, die der
Reihe nach die Socialist Workers
Party (SWP) benutzen, um ihre Wünsche durchzusetzen.
Es stellte sich heraus, dass
Computer Aid uns mit mehr Computern hätte beliefern
können und das für weniger als die Hälfte des Geldes. Diese Computer würden
allerdings ‚nur’ Pentium 3 benutzen, während das ESF-Büro auf Pentium
4-Rechnern bestanden hätte, auf denen Windows XP verwendet werden könne. Ohne
zu sehr darauf einzugehen, ist Pentium 3 mehr als ausreichend und sehr viel
besser als die Computer, die von vielen kommerziellen Unternehmen verwendet
werden. Wegen dieses großen Ausgabenpostens scheint es keinen Spielraum im
Budget mehr für das zu geben, was als „Entspannungszentrum für die Delegierten“
tituliert wird. So ist es durchaus möglich, dass es keine Computer und
Internetzugänge für die Zehntausenden von ESF-Aktivisten im oder irgendwo in
der Nähe von Ally Pally
geben wird. (Das Palace liegt auf einem Hügel, zu Fuß
gut 20 Minuten von den nächstgelegenen Annehmlichkeiten entfernt.)
Niall Sookoo, der vor einigen
Wochen zum ESF-Pressesprecher ernannt wurde (natürlich ohne die Konsultation
irgendeines offiziellen ESF-Gremiums) ließ vor ein paar Wochen die Katze aus
dem Sack. Auf der Sitzung des koordinierenden Komitees am 26.August berichtete
er, dass er mit „einem Internet-Kollektiv aus Glasgow“ in Kontakt gestanden
habe, dass mehr als 50 Computer für ein Internet-Café in Ally
Pally geliefert hätte – für umsonst ! Alles was sie verlangten, war die
Möglichkeit, den Nutzern Kaffee zu verkaufen. „Der Londoner Stadtrat (Greater London Assembly
– GLA) hatte allerdings einen Vertrag abgeschlossen, der Ally
Pally einen bestimmten Betrag an Einkünften aus dem
Gastronomiebetrieb garantiert. So konnten wir dies nicht weiterverfolgen.“
Genossin Hutchins
unterbrach den viel zu gesprächigen Genossen mit ihrem üblichen: „Bis jetzt ist
nichts endgültig entschieden. Wir stehen nach wie vor in Verhandlungen und
deshalb kann hier nichts beschlossen werden.“ Dieselben Entschuldigungen wurden
wochen- und monatelang benutzt, um jedes offizielle ESF-Gremium davon
abzuhalten, Beschlüsse zu fällen.
ESF-Eröffnungsveranstaltung
Zum Beispiel wurde uns
gesagt, dass wir nicht über die Eröffnungsveranstaltung diskutieren könnten,
weil „wir“, laut Genossin Hutchins, „bislang noch
keinen Austragungsort gefunden haben“. Seit sie zur „Koordinatorin des
ESF-Büros“ ernannt wurde, erstattete sie Deborah Dickey
Bericht, der von der GLA ernannten „Büro-Managerin“, die jeder Sitzung des
ESF-Komitees beiwohnte. Sitzung für Sitzung versicherte uns Genossin Hutchins, dass „wir nächste Woche mit Vorschlägen für die
Eröffnungsveranstaltung ankommen werden“. Solange es aber keinen vereinbarten
Austragungsort gäbe, wäre eine solche Diskussion „nutzlos“. Versuche, eine
Arbeitsgruppe einzusetzen, die Planungen für die Veranstaltung anstellt, wurden
von SA-Genossen abgeblockt.
Und jetzt wissen wir warum.
Beim Treffen des Koordinationskomitees am 2.September berichtete das
SA-Mitglied Sarah Colborne (die offiziell die Palestine Solidarity Campaign repräsentiert), dass „die GLA und der Haringey Council angeboten haben,
eine Eröffnungsveranstaltung für das ESF zu organisieren. Ich meine, das ist
großartig und wir sollten das unterstützen.“
Als SA-Genossen dasselbe auf
der Sitzung des Koordinationskomitees am 29.Juli vorschlugen, widersprachen
Chris Nineham und Rahul Patel (beide SWP) ihren Verbündeten mit dem Hinweis des
Genossen Nineham, dass die „Eröffnungszeremonie
eindeutig Teil des ESF ist und das ESF es deshalb <selbst> organisieren
sollte. Wir können darüber diskutieren, ob Livingstone
auf einer solchen Veranstaltung sprechen sollte oder er sogar den Vorsitz
übernehmen kann. Aber es ist unsere Angelegenheit, sie zu organisieren.“ (siehe
„Weekly Worker“ vom
5.8.2004)
Auf einem ihrer zahlreichen
geheimen Treffen scheint Genosse O’Neill allerdings ein oder zwei Worte mit den
SWP-Genossen gewechselt zu haben, die nun ihre
Ansichten geändert haben: „Du kannst das ESF nicht bei einer 90
Minuten-Veranstaltung irgendwie abkapseln“, sagt Genosse Nineham.
„Ich bin sehr froh, dass die GLA sie ausrichtet. Das bedeutet, dass wir an eine
Sache weniger denken müssen.“
Nur Kate Hudson (von der Campaign for Nuclear
Disarmament – CND – ein Mitglied der den „Morning Star“ herausgebenden Communist
Party of Britain – CPB – und normalerweise eine treue
SA-SWP-Verbündete) wusste nicht Bescheid: „Es erscheint
mir nahe liegend, dass über den Inhalt einer solchen Veranstaltung vom ESF
entschieden werden sollte.“ Ungewöhnlicherweise muss jemand vergessen haben,
sie über die Flickschusterei, auf die man sich geeinigt hatte, auf dem
Laufenden zu halten.
Redmond O’Neill spürte, dass
er erklären musste, was der GLA anbietet: „Wir sind glücklich, wenn wir diese
Veranstaltung organisieren oder wenn wir es nicht tun. Es ist an Euch, darüber
zu entscheiden, aber es bleiben nur noch 6 Wochen. Wenn wir es machen, dann ist
es Eure Veranstaltung. Wir werden dem ESF definitiv nicht helfen, einen Ort
dafür zu finden. Ihr könnt uns um Rat fragen, aber es wird die Sache der GLA
sein, über den Inhalt der Veranstaltung zu entscheiden.“
Er machte auch klar, dass es
im Haushalt kein Geld für eine ESF-Eröffnungsveranstaltung gäbe. Nach einer
langen Diskussion akzeptierte das Koordinationskomitee, dass die GLA einfach
eine durchführen wird. Allerdings nicht die ESF-Begrüßungsveranstaltung. Das
Ganze unter der Bedingung, dass das ESF von nun als Treffen angekündigt wird,
das vom 15. bis 17.Oktober stattfindet. Es ist keine Überraschung, dass die
Website noch immer die Auftaktveranstaltung für den 14. anzeigt.
Wird Ken sprechen
?
Genossen der SWP und der SA
vollzogen noch einen weiteren Gesinnungswandel. Es scheint, dass Genosse
O’Neill keine Einwände mehr dagegen hat, dass politische Parteien in das ESF
einbezogen werden – zumindest wenn es um ihre Vertreter geht, die auf den
Plenarveranstaltungen sprechen. (Diese 27 Veranstaltungen sind die einzigen,
die Eigentum des gesamten ESF sind. Alle anderen Veranstaltungen werden von
teilnehmenden Gruppen selbst durchgeführt.)
Viele ESF-Aktivisten waren
überrascht als Vertreter von SA und SWP sich dafür einsetzten, dass die zuvor
beschlossene Liste der Sprecher aus Großbritannien widerrufen wird (siehe „Weekly Worker“ vom 2.9.2004).
Das schien durchaus eine übertriebene Reaktion auf einen kritischen Brief zu
sein, der von einer Anzahl von NGO-Sprechern einige Tage zuvor veröffentlicht
wurde, sich über die geringe Zahl von NGO-Sprechern beschwerte, die ausgewählt
worden war und den „Mangel an Transparenz und Offenheit im britischen Vorgehen“
kritisierten. Wie auch immer, der Brief verlangte nicht den Rückzug aller
Sprecher und keine der NGO’s wollte ein neues
Auswahlverfahren.
Was stand also hinter diesem
Schritt ? Es
scheint, dass unsere Genossen von der SA selbst mit der endgültigen Liste der
ausgewählten Sprecher ziemlich unglücklich waren, da ein Name fehlte: Ken Livingstone. Er stand an der Spitze ihrer eigenen Liste,
die mit der SWP vor dem Treffen der ESF-Programmgruppe zusammengestellt worden
war, das die Sprecher am 26.August auswählte. Sie mussten allerdings geschwind
ihre Taktik ändern nachdem Asad Rehman
(George Galloways <siehe Anm.1>
politischer Berater und ein Vertreter des Newham Monitoring Project) den Kandidaten des Londoner Stadtrates
(GLA), Lee Jasper, klar schlug als es zur Abstimmung über die Sprecher für eine
Plenarveranstaltung zum Thema Rassismus kam. Man stelle sich vor, wie peinlich
es gewesen wäre, wenn Ken Livingstone ebenfalls
niedergestimmt worden wäre.
So beschlossen die beiden
Gruppen, diese Demütigung nicht zu riskieren, sondern die ganze, auf dem
Treffen gebilligte Prozedur zu ändern. In ihrem, dem Koordinationskomitee am
2.September vorgelegten, Begründungsschreiben kritisierten sie den Weg, auf dem
die Entscheidung über die Sprecher getroffen worden war. Darin ignorierten sie
„die Prinzipien des Weltsozialforums“ über die Durchführung von Abstimmungen.
Und nun ratet mal, wer diese Methode auf dem Treffen einführte
? Richtig, das Treffen wurde von
der SA-Vertreterin Sarah Colborne und von Mick
Connolly vom TUC-Regionalverband Südostengland (sehr
schlecht) geleitet. Wobei Letzterer bei den wenigen Treffen, an denen er
teilnahm, ein treuer Verbündeter der Liason aus
Londoner Stadtrat / SA und SWP gewesen war. Scheinheiligkeit aller Orten !
In langen, quälenden
Diskussionen in der ‚britischen Delegation’ in Brüssel beschlossen wir am Ende
eine neue Methode zur Auswahl unserer Sprecher. Nebenbei bemerkt wurde, auf die
hartnäckige Forderung von SA und SWP hin, die Zahl der „in Großbritannien
wohnhaften“ Plenarsprecher von 15 auf 27 angehoben, „um allen Schattierungen
der Bewegung zu ermöglichen, gehört zu werden“, wie Genosse O’Neill es
darstellte. So seht Ihr, dass nicht die Flickschustereien und im Anschluß daran die Abstimmungsblocks von SWP und SA das
Problem waren, sondern dass wir aus Großbritannien nur über 15 Sprecher
verfügten. Die Liste von 27 Sprechern soll nun mindestens 4
Gewerkschaftsvertreter, 4 Leute von Nichtregierungsorganisationen etc.
beinhalten. Die endgültige Entscheidung wird auf der nächsten Sitzung der
Programmgruppe getroffen.
Der interessanteste Teil
dieser Diskussion drehte sich jedoch um die mögliche Aufnahme von „Politikern“
in die Liste der Sprecher. Leser des „Weekly Worker“ werden wissen, dass Genossen der SWP und der SA
unsere Aufforderungen, die offene Beteiligung politischer Parteien zu erlauben,
stets abgelehnt haben (siehe z.B. „Weekly Worker“ vom 19.2.2004). Solch ein Verbot führt nur
dazu, dass Parteien sich hinter verschiedenen Frontorganisationen verstecken,
argumentierten wir, und dass wir ohne die Einbeziehung von Parteien der
Arbeiterklasse niemals in der Lage sein werden, das System wirklich zu
verändern, dass wir alle bekämpfen.
Wie auch immer, nun, wo es
nur noch 6 Wochen bis zum ESF sind, dachte der Genosse O’Neill, es sei
angebracht, das Thema Parteipolitiker zur Sprache zu bringen (namentlich
natürlich Ken Livingstone), die von ESF-Podien aus
sprechen. „Wir müssen konsequent sein“, sagte er. „Entweder erlauben wir
Politikern zu sprechen oder wir tun es nicht. Wir können nicht nur einen
Vertreter der Labour Party oder von Respect oder der Communist Party of Great Britain
(!) sprechen lassen. Alle Teile müssen vertreten sein“, sagte er.
Ihm trat eine Anzahl
europäischer Sprecher entgegen, die meisten von ihnen selbst Mitglieder
politischer Parteien, die offiziell diese Gewerkschaft oder jene Kampagne
vertreten. Vermutlich arbeiten sie immer noch in der Illusion, dass es sehr
viel einfacher ist, Leute für solch harmlose Frontorganisationen wie Attac zu rekrutieren als für die einzelnen linken Organisationen,
denen ihre vorrangige Loyalität gilt. Nutzlos zu sagen, dass solche
Frontorganisationen von geringem Nutzen sind, wenn die Arbeiterklasse daran
geht einen Machtwechsel herbeizuführen.
Die kleine internationale
Programmgruppe wird sich am 13.September in Paris treffen, um die Angelegenheit
weiterzudiskutieren und zu entscheiden, ob es Ken erlaubt wird, zu sprechen.
Unserer Ansicht nach sollte ihm nur dann ein Redebeitrag gestattet werden, wenn
er auf Kritik vom Podium oder aus dem Publikum eingestellt ist. Im Idealfall zu
seiner ekelhaften Aufforderung an die Mitglieder der
Transportarbeitergewerkschaft RMT, ihren Arbeitskollegen <beim Londoner U-Bahn-Streik Ende
Juni 2004> durch Streikbruch in den
Rücken zu fallen (siehe „Weekly Worker“ vom 1.7.2004).
Wenn Ken Livingstone
mit dem RMT-Sekretär Bob Crowe
über Arbeiterrechte diskutiert, würde ich einen Extrabeitrag zahlen, um das zu
sehen.
Europa oder Bush ?
Während unserer ganzen
Versammlung war die Abschlussdemonstration am 17.Oktober der am meisten
diskutierte Gegenstand. Insbesondere Genossen von der SWP beharrten darauf,
dass das Schwergewicht auf die US-Wahlen gelegt werden sollte, die zwei Wochen
nach dem ESF stattfinden.
„George W.Bush
repräsentiert all die Dinge, gegen die wir sind: den Krieg, Imperialismus und
Neoliberalismus“, argumentierte Genosse Nineham. „In
Großbritannien kann man ganz einfach keine Demonstration durchführen, ohne Bush
anzugreifen. Das wäre verrückt. Es kann sein, dass man in anderen europäischen
Ländern Demos machen kann, ohne Bush anzugreifen, aber nicht in
Großbritannien“, sagte er und bekam – wie üblich – hauptsächlich von seinen
eigenen Genossen Unterstützung. „Bush ist der neue Mc
Donald’s – alle hassen ihn“, schrie Elaine Heffernan.
Unsere Genossen aus Europa
waren ganz offensichtlich nicht beeindruckt. Nach echter französischer und
italienischer Art wurden Gesichter geschnitten und abweisende Handbewegungen
gemacht. Obgleich Genosse Nineham den Anwesenden zu
versichern versuchte, dass „Europa und soziale Einschnitte in unserer Demo
natürlich ebenfalls wichtig sein werden“.
Sprecher aus Frankreich und
Italien beharrten darauf, dass die Hauptlosung ‚Für ein anderes Europa in einer
anderen Welt’ sein sollte – das zuvor vereinbarte offizielle ESF-Motto. „Wir
sind alle gegen Bush – das ist sicherlich keine Frage. Wir können seine
neoliberale Agenda jedoch nur dann wirklich bekämpfen, wenn wir alle Kämpfe,
die gegenwärtig in Europa stattfinden, aufgreifen. Denn dort leben wir“, sagte Annick Coupé aus der französischen Delegation bei lautem
und anhaltendem Applaus von ungefähr drei Viertel der Anwesenden.
Unsere europäischen Genossen
sind natürlich gut beraten, den SWP-Genossen nicht
zuzutrauen, dass sie Europa ernst nehmen. Nicht nur hat Chris Nineham öffentlich dafür argumentiert, dass Europa und
seine Verfassung „langweilig“ und „in Großbritannien kein Thema“ seien. In
interner SWP-Korrespondenz, die nach dem Brüsseler
Treffen verschickt wurde, hat die SWP bereits auf „die ‚Bush raus, Truppen raus!’-Demo am 17.Oktober“ verwiesen.
Europaweite Aktionen
Viele europäische Vertreter
argumentierten ganz richtig, dass das ESF einen zahn zulegen muss, wenn es beim
Kampf gegen die gegenwärtigen Angriffe auf die (lohn-)arbeitenden Menschen in
ganz Europa von irgendeinem Nutzen sein soll. Entsprechend den vom
Weltsozialforum (WSF) auf undemokratische Weise verabschiedeten Regeln können
Sozialforen offiziell keine politischen Aktionen organisieren und so hat das
ESF die ‚Versammlung der Sozialen Bewegungen’ eingesetzt, die formell außerhalb
des ESF steht, um gemeinsame Aktivitäten zu diskutieren.
In seinem Einführungsreferat
auf der Versammlung der Sozialen Bewegungen setzte sich Pierre Khalfa von Attac Frankreich (und
der Ligue Communiste Revolutionnaire – LCR) für eine Reihe europaweiter Aktionen
im Verlaufe der nächsten 12 Monate ein, die aus einem Protesttag (im März 2005)
gegen die überall in Europa stattfindenden Sozialkürzungen und Demos gegen das
G 8-Treffen in Schottland (im Juli 2005) bestehen soll.
Sein interessantester
Vorschlag lief auf die Empfehlung sog. ‚campaigning meetings’
(Kampagnen organisierende Treffen) hinaus, die während des ESF abgehalten
werden sollten. Auf diesen täglichen Treffen könnte eine Reihe von Kampagnen
gestartet, Erklärungen diskutiert und gemeinsame Aktivitäten geplant werden. Zum
Beispiel eine europaweite Kampagne gegen die EU-Verfassung oder eine Kampagne
gegen die Angriffe auf das europäische Sozialsystem.
Jedenfalls griff keiner der SWP-SA-Vertreter diesen sinnvollen Vorschlag auf und so
blieb er etwas in der Luft hängen, obwohl er von vielen europäischen Vertretern
unterstützt wurde. Wiederum werden die Details abschließend am 13.September
geklärt.
Ein Treffen der ‚Frauenversammlung’
beschloss ebenfalls eine europaweite Kampagne zu starten. Die Einzelheiten
müssen noch geklärt werden. Ein Vorschlag der CPGB-Vertreterin
Anne Mc Shane, sich auf das
Recht auf Abtreibung zu konzentrieren (das in einer Reihe europäischer Staaten
zunehmend attackiert wird), wurde gut aufgenommen. Die Vertreterin der Socialist Action, Anne Kanne, die sich zuvor dafür gemeldet
hatte, die Koordinatorin einer solchen Kampagne zu machen, nahm an dem Treffen
nicht einmal teil. Unglücklicherweise einigte sich das Treffen dann darauf,
diese Rolle ihrer SA-Genossin Sarah Colborne zu
übertragen, obwohl Genossen der Socialist Action
selbst immer wieder unter Beweis gestellt haben, dass sie hauptsächlich daran
interessiert waren, das ESF als Event zu kontrollieren.
Genau wie ihr Boss, Ken Livingstone, haben sie überhaupt kein Interesse daran,
sicherzustellen, dass wir europaweite Kampagnen und Organisationen schaffen,
die das Europa der Bankiers aktuell bekämpfen können.
<Versehen war der Artikel u.a. mit einem Foto des ehemaligen TUC-Präsidenten
und heutigen EGB-Chefs John Monks. Bildunterschrift:>
John Monks,
Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) eröffnet die
ESF-Versammlung und gibt sich radikal: „Auf dem ESF Debatten zu führen, ist
eine sehr gute Sache. Wir müssen allerdings mehr tun als das. Wir müssen unsere
Kräfte sammeln. Je mehr Menschen wir gewinnen können, um so
mehr können wir sicherstellen, dass der Kapitalismus die Welt nicht ungehindert
beherrschen wird, sodass andere Kräfte ebenfalls ihren Anteil haben können.“
Der allzu bürokratische EGB hat sich bekanntlich als vollkommen unfähig
erwiesen, den Kapitalismus zu verändern oder zumindest die Arbeiter aus ganz
Europa angemessen zu vertreten. Er unterstützt ferner die neue EU-Verfassung,
die ein wenig verschleierter Versuch ist, die Ausbeutung der europäischen
Arbeiter zu rationalisieren.
Anmerkung 1: George Galloway
ist ein vor kurzem aus der New Labour Party ausgetretener linker Abgeordneter
des britischen Parlaments und war die Galionsfigur des von der SWP, der
britischen Muslim-Vereinigung und einigen prominenten Linken, wie Galloway und dem Filmregisseur Ken Loach,
zu den Europawahlen 2004 gegründeten Wahlbündnis „Respect
– The Unity Coalition“, in dem die SWP ziemlich bestimmend ist, das
aber weit hinter den Erwartungen zurückblieb (250.000 Stimmen, was in England +
Wales zusammen gerademal 1,65% bedeutet und in London
als Hochburg 4,8% – die wesentlich radikalere Scottish
Socialist Party holte zeitgleich in Schottland
5,2%).
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung
und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und
Gewerkschaftsforum Hannover