Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die von
SPD-Parteichef Franz Müntefering Mitte April 2005 ausgelöste „Heuschrecken“-Debatte
blieb auch im benachbarten Ausland nicht ohne Resonanz. (Müntefering hatte der
"Bild am Sonntag" bekanntlich gesagt: "Manche Finanzinvestoren
verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie
vernichten. Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie
Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter".
Beim SPD-Programmforum bezeichnete Müntefering einige Tage später die
"wachsende Macht des Kapitals" als eine Gefahr für die Demokratie. Als
Beispiel nannte er Deutsche Bank-Vorstandschef Ackermann. Bei dem stimme die
Unternehmensethik nicht mehr, "wenn er eine Eigenkapitalrendite von 25
Prozent zum Ziel erklärt und bei gewachsenen Gewinnen am selben Tag ankündigt,
6.400 Menschen zu entlassen". Er fügte hinzu: "So etwas deprimiert
die Menschen und raubt ihnen das Vertrauen in die Demokratie.")
In
Italien berichteten alle großen Zeitungen über diese auf den Landtagswahlkampf
in Nordrhein Westfalen bezogenen Sprüche und noch im Juli 2005 schlug selbst
der ehemalige grüne Oberbürgermeister von Rom und heute strikt neoliberale Exponent
des rechten Flügels im italienischen Mitte-Links-Bündnis, Francesco Rutelli,
in einem Interview für den „Corriere della Sera“ vom 9.7.2005 in dieselbe
Kerbe, indem er sich gegen „Spekulanten ohne industrielle Projekte“ wandte und
gegen „Finanzstreifzüge, die nur Tote und Verletzte hinterlassen“. Ziel der
Mitte-Linken müsse es stattdessen sein, „Anreize für Industrie und Finanz“ zu
schaffen“, „damit sie Reichtum und Arbeit schaffen und dafür zu sorgen, dass
Regeln eingehalten werden, mit denen der italienische Kapitalismus auf gesunde
Weise stattfinden kann“.
Eine
andere Intention verfolgt Giorgio Cremaschi, die Nr.2 der größten italienischen
Metallarbeitergewerkschaft FIOM und prominentester Vertreter der Linken im
Gewerkschaftsbund CGIL. Er wendet in einem Leitartikel für die von Rifondazione
Comunista herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 11.5.2005
den Begriff Heuschrecken (im Titel „cavallette“, was zugleich auch „Gierhälse“
bedeutet, während im zitierten „Corriere della Sera“-Titel der nur zoologische
Terminus „locuste“ verwandt wird) nicht nur auf einzelne (noch dazu zumeist
ausländische) Investoren an, die auf der Suche nach dem schnellen Profit sind,
sondern auf das gesamte italienische Kapital – egal ob Industrie- oder
Finanzkapital., Großkonzerne oder „mittelständische“ Unternehmen – und versucht
den kritischen Blick der Linken und der Gewerkschaftsbewegung auch mit Bezug
auf den 2006 zu erwartenden erneuten Amtsantritt einer Mitte-Links-Regierung zu
schärfen, die der „rot-grünen“ Koalition in Deutschland nicht unähnlich sein
wird. Inwieweit ihm dies gelungen ist, mögen die Leser(inne)n selbst
entscheiden.
Gegen den Kapitalismus der
Heuschrecken / Gierhälse
Giorgio Cremaschi
„Kapitalisten wie
Heuschrecken – Geißel Deutschlands.“
So stand es am Sonntag im Feuilleton des „Corriere della Sera“. Dort
wurde über eine heftige Polemik in Deutschland berichtet, die ausgebrochen war,
nachdem der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei einige Kapitalisten
beschuldigt hatte, sich wie Heuschrecken zu verhalten. Sie kämen urplötzlich,
beuteten aus und ließen dann alles zurück, um weiter zu ziehen und anderswo zu
plündern.
Diese Metapher, die
wahrscheinlich das Ergebnis des Versuches ist, das wirtschaftsliberale Werk der
Regierung Schröder im Wahlkampf auszugleichen, hat in der Unternehmerwelt und
der Wirtschaftskultur vorhersehbare Missbilligung, aber auch unvermutete und
weit verbreitete Zustimmung im Volk hervorgerufen.
Dies deshalb, weil heute die
Herrschaft der Finanz und des unmittelbaren Gewinns über das Unternehmen und
die Arbeitsaktivitäten dabei sind, die Gesellschaft zu verwüsten. Wieviele
Betriebe investieren in Technologie, in Qualität und in neue Produkte ?
Paradoxerweise tun das vor allem diejenigen, die mit der Industrie verbunden
sind, von der wir möchten, dass es sie nicht gibt, d.h. derjenigen, die keine
Probleme mit dem Markt hat: die Militärindustrie. Die Anderen müssen streng den
Geboten der Spekulation folgen. Und so werden die gesamte Arbeit und das
gesamte gesellschaftliche Leben immer prekärer.
Der Finanzfond kauft die
Fabrik und will im Laufe weniger Monate daran verdienen. Er denkt nicht an die
Arbeit, er denkt nicht an die Zukunft. Er denkt an den unmittelbaren Gewinn.
Wenn sich dieser dann einstellt, ist es nicht so, dass sich die Dinge beruhigen,
weil die Fabrik an diesem Punkt versteigert wird, um den Gewinn schnell zu
realisieren. Und der Zyklus beginnt von neuem.
Die großen multinationalen
Konzerne operieren mit derselben Brutalität wie die Finanzfonds. Sie
konzentrieren, transferieren und zerstören Ressourcen, indem sie Logiken
folgen, die für sie überzeugend, für diejenigen, die sie erleiden müssen, aber
häufig destruktiv sind. Und wenn wir unsere Beobachtung auf kleinere
Dimensionen richten, finden wir dieselben Effekte vor.
Viele kleine und mittlere
Industrielle Nordostitaliens, die in der Vergangenheit so gepriesen wurden,
sind plötzlich dazu übergegangen dicht zu machen und zu entlassen – angelockt
von der Möglichkeit, die hohen Gewinne, die sie bei uns realisiert haben, anderswo
zu reproduzieren. So wechseln sie nach Rumänien oder nach Moldawien. Vielleicht
sogar in der Erwartung, einen anderen Ort zu finden, an dem sie dieses
Karussell weiter betreiben können. Sie verschießen so viele Pfeile gegen die
Invasion der chinesischen Produkte und dabei wird häufig vergessen, dass das „Made
in Italy“ zuweilen schlicht die spekulative Überführung anderswo (unter bei
uns nicht praktizierbaren Ausbeutungsbedingungen) gefertigter Produkte ist.
Die Erpressung der
Finanzinvestitionen (diejenige der multinationalen Konzerne), die Verlagerung
von Produktionen, die extreme Ausbeutung von Arbeitern und Territorien, das
alles ähnelt sehr dem Werk eines Insektenschwarms, der alles verzehrt und
zerstört. Diese Jahre der ideologischen Kampagne in Sachen freier Markt hatten
offenkundig nur den einen Zweck, uns daran zu gewöhnen, das alles für normal zu
halten. Und vielleicht ist ihnen das auch ein bisschen gelungen.
Wenn ein Unternehmen die
Umwelt verschmutzt, fängt man an, sie dazu aufzufordern, etwas für die Schäden
zu bezahlen. Das genügt nicht, ist aber das Zeichen, dass man nicht machen
kann, was man will. Wenn jedoch das Kapital für soziale Umweltverschmutzung
sorgt, menschliche, gesellschaftliche und Umweltressourcen an einem Ort benutzt
und dann, nachdem es sie ausgepresst hat, abhaut und nur Trümmer hinterlässt,
dann erscheint all dies unvermeidlich und sogar korrekt.
Was wir da vor uns haben,
ist allerdings keine unkontrollierte und unkontrollierbare Naturgewalt. Die
soziale Umweltverschmutzung ist das Ergebnis menschlichen Handelns, das durch
das kollektive Handeln korrigiert werden kann. Nichts sagt uns, dass die wilden
Wanderungsbewegungen der ökonomischen Aktivitäten unvermeidlich sind. Es stimmt
im Gegenteil, dass man etwas tun kann, damit die Finanzschwärme gezügelt und
gestoppt werden. Man muss die Supergewinne der Reichen besteuern, muss Steuern
auf die Finanztransaktionen erheben und sie Bedingungen unterwerfen. Man muss
auf die Entscheidungen der multinationalen Konzerne einwirken und sie mit Hilfe
einer Industriepolitik konditionieren. Man muss die Standortverlagerungen
finanziell und steuerlich bestrafen. Zusammenfassend gesagt: Man muss die
Unternehmen für die sozialen Kosten ihrer Aktivität verantwortlich machen. Das
ist ein ganz simples liberales und demokratisches Prinzip. Wer darauf hinweist,
wird heutzutage allerdings des Kommunismus sowie der Verletzung der Freiheit
und der Bürgerrechte der Reichen beschuldigt. Und doch sollte die Debatte in
Deutschland etwas lehren.
Sicher, solange es
Berlusconi gibt, der mit seiner desaströsen Regierung den Blitzableiter für
alle Unzufriedenen spielt, können auch unsere einheimischen Kapitalisten darauf
hoffen, als Schmetterlinge zu erscheinen. Wenn Berlusconi allerdings gegangen
ist, wird man auch bei uns beginnen die zahlreichen, von unserem Kapitalismus
hervorgerufenen industriellen und sozialen Desaster zu messen. Und dann werden
die Worte aus Deutschland auch hier aktuell werden.
Vorbemerkung und
Übersetzung:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover