Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Nach den ersten außenpolitischen
Kostproben ihrer künftigen Politik mit der Weiterfinanzierung des
Kriegseinsatzes in Afghanistan und der Übernahme der Führungsrolle beim –
überwiegend vom EU-Imperialismus getragenen – „Schutztruppeneinsatz“ im
Libanon legt die im April gewählte Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi und Außenminister Massimo D’Alema
(ehemals PCI, jetzt DS) auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Karten
auf den Tisch. Um die Erwartungen des EU-„Stabilitätspaktes“ (also der
neoliberalen Maastrichter Konvergenzkriterien) zu erfüllen und den Wünschen der
italienischen Bourgeoisie gerecht zu werden, hat Wirtschafts- und
Finanzminister und Ex-EZB-Direktoriumsmitglied Tommaso Padoa-Schioppa
für den Staatshaushalt 2007 ein Sparpaket von 30 Milliarden Euro geschnürt, das
unter anderem Einsparungen im Gesundheitswesen und eine weitere Erhöhung des
Rentenalters umfasst, obwohl die Renten vor den Wahlen für „unantastbar“
erklärt worden waren. Das bedeutet Ärger, wie die „Neue Zürcher Zeitung“
vom 23.9.2006 sehr treffend feststellte: „Zweifellos hat die Regierung Prodi im August mit ihrem Engagement in Libanon außenpolitisch
punkten können. Doch auch in Italien ist für den politischen Erfolg in der
Regel die Heimfront ausschlaggebend, und dort herrscht gegenwärtig alles andere
als eine erbauliche Situation. Der Ministerpräsident scheint bereits am Ende
seines Lateins angelangt zu sein.“
Die in der Regierung vertretene „radikale Linke“
(also Rifondazione Comunista,
ihre Rechtsabspaltung PdCI und die italienischen
Grünen) boten einmal mehr ihre ganze „Radikalität“ auf und verlangten
eine Reduzierung des Haushaltsmanövers auf 25 Milliarden Euro, obwohl die drei
großen sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL kurz
zuvor dokumentierten, dass der Umfang der darin enthaltenen Sozialkürzungen 12,7
Milliarden Euro beträgt. Da die Auseinandersetzung um den Sparhaushalt von der
Krise der Telecom Italia begleitet wird (Gefahr einer
Zersplitterung des Konzerns und einer ausländischen Übernahme sowie das
Auffliegen jahrelanger illegaler Abhöraktionen unter Beteiligung des
Sicherheitschefs der Telecom), in der Prodi erstens
offen gelogen und zweitens dilettantisch agiert hat, liegen nach kaum einem
halben Jahr Mitte-Links-Regierung die Nerven blank. Zitat „NZZ“
vom 23.9.2006: „…einhellige Kritik übten die Bündnispartner Prodis daran, dass dieser tölpelhaft und vor allem in
völliger Eigenregie gehandelt habe, obschon die Sache industriepolitisch von grösster Bedeutung sei. (…) Bei der Kontroverse
scheint es gar nicht so sehr um Telecom Italia zu
gehen, die diese Woche auch noch vom Strudel eines Aufsehen
erregenden Abhörskandals erfasst worden ist. Im Streit um das Verhalten Prodis scheinen sich vielmehr die vielen Frustrationen und
Unstimmigkeiten zu entladen, die sich seit dem knappen Wahlsieg des höchst
heterogenen Mitte-Links-Bündnisses im April aufgestaut haben.“
Der
Ende September von der Regierung beschlossene endgültige Haushalsentwurf sieht
– laut der unabhängigen linken Tageszeitung „il manifesto“
vom 30.9.2006 – ein Manöver im Umfang von 33,4 Milliarden Euro vor, von
denen 14,8 Mrd. der Einhaltung der Brüsseler „Stabilitätskriterien“ dienen.
Das Verhältnis des Haushaltsdefizits zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird
dadurch auf 2,8% gedrückt. Dementsprechend fiel der Kommentar des
stellvertretenden Ministerpräsidenten und wichtigsten Exponenten der
„Margerite“ (dem rechten Flügel der Mitte-Links-Union), Francesco Rutelli, in einem Interview für die führende bürgerliche
Tageszeitung „Corriere della Sera“
vom 2.10.2006 aus: „Wer erwartet hatte, dass wir auf einen nur
polemischen und Berlusconi und seinen Gesetzen gegenüber Konflikt-orientierten
Beginn der Legislaturperiode setzen würden, musste feststellen, dass die großen
Prioritäten in der Wirtschaftspolitik keine Beseitigungen vorangegangener
Reformen waren, sondern Liberalisierungen und Senkungen der Arbeitskosten.“
In einem Interview für „il manifesto“
vom 1.9.2006 setzt sich der wichtigste Exponent der CGIL-Linken
und Nummer 2 der größten Metallarbeitergewerkschaft FIOM, Giorgio Cremaschi, mit dieser
Haushaltspolitik und dem Kampf der Call Center-Beschäftigten
bei Atesia auseinander. Sein Kommentar ist auch nach
Vorlage des endgültigen Entwurfs hochaktuell.
Cremaschi: „Die
Exekutive kürzt? Dann wird der Herbst sehr heiß!“
Der FIOM-Sekretär:
Auch diese Regierung fordert die „Selbstbeteiligung an den Sozialkosten“.
Der Angriff auf Löhne und Renten muss gestoppt werden. In Sachen Atesia geht es um die Zukunft der Arbeit. Alle auf die
Straße mit der Parole „Stoppt die Prekarität
jetzt!“
Antonio Sciotto
Wenn die Regierung die
angekündigten Kürzungen bestätigt, wird die Gewerkschaft nicht anders können
als auf die Straße zu gehen. Es ist nicht möglich weiterhin die Erwerbstätigen
und die Rentner zur „Selbstbeteiligung an den Sozialkosten“
aufzufordern. Und weiter: Es ist nötig das anzugehen, was in den ersten hundert
Tagen der Regierung Prodi ein regelrechtes „Schwarzes
Loch“ war: den Kampf gegen die Prekarität. Die
Vorgänge bei Atesia haben den Deckel von einem, aus
Missbräuchen und schweren Verstößen bestehenden, großen Topf genommen. Die Ende
Oktober stattfindende Demonstration „Stoppt die Prekarität
jetzt!“ wird die Abschaffung des Gesetzes Nr. 30 <aus dem Jahr 2003> fordern und die Arbeit wieder in den Mittelpunkt
rücken. Das Mitglied des Nationalen Sekretariats der FIOM, Giorgio Cremaschi, kündigt einen „sehr heißen“ Herbst an und
geht auch mit der CGIL nicht zimperlich um: „Bislang warst Du nicht
brillant“, sagt er an die Adresse des Gewerkschaftsbundes gerichtet. „Wir
können nicht die ‚Regierungsberater’ machen. Es ist Zeit aufzuwachen.“
Beginnen wir beim
heißesten Thema: dem Haushalt und den Renten.
„Es ist klar, dass wir mit
Nachdruck fordern, dass der Haushalt ‚eingecremt’ und nicht nur auf ein
Jahr bezogen ist, damit nicht bei den üblichen Verdächtigen gekürzt wird. Es
ist unglaublich, dass man, kaum dass auf ein fortschrittliches und
nachvollziehbares Thema, wie dem angekündigten Steuerdruck, angespielt wird,
andererseits sofort die Notwendigkeit verspürt, den Erwerbstätigen und Rentnern
eine Eigenbeteiligung an den Sozialkosten abzuverlangen. Das ist die, von
Instituten wie der Rating-Agentur Fitch
oder EZB repräsentierte und natürlich von Italien, von der Partei des ‚Corriere
della Sera’ sowie den Anhängern einer strengen
Haushaltspolitik verlangte, ‚gute’ internationale ‚Sitte’, die
versucht die üblichen Rezepte gegen diejenigen Gruppen durchzusetzen, die
bisher den Löwenanteil bezahlt haben. Schauen wir uns die Renten an: Wie der
Präsident der Abgeordnetenkammer Fausto Bertinotti <Rifondazione
Comunista>
vor einigen Tagen ganz richtig festgestellt hat, wäre jetzt, bei den
gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in Italien, eine Erhöhung des Rentenalters ein
‚soziales Verbrechen’. Vor allem wenn man daran denkt, es so zu machen
wie die Regierung ankündigt, mit einer Methode, die dem Programm der <Mitte-Links->Union grob widerspricht. Dort heißt es: ‚Wir werden die von <Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni eingeführte ‚Prunktreppe’ beseitigen.’ Und auf dieser Grundlage haben wir sie gewählt. Dort
hieß es durchaus nicht: ’Wir werden die Prunktreppe beseitigen, aber Ihr
werdet es bezahlen.’’“
Ein weiteres „heißes“
Thema ist die Prekarität der Arbeit, die
Schlüsselfigur der „parasubordinati“
(Scheinselbständigen).
„Da gibt es einen großen Schwindel,
der in den Call Centern praktiziert wird, aber nicht
nur dort. Und man muss sagen, dass hinter diesen (großen – wie Atesia – oder kleinen) Gesellschaften multinationale
Konzerne stehen, die Profite herauspressen, und auch öffentliche Verwaltungen.
Beginnen wir bei einem Fernsehwerbespot der TIM. Hinter diesen Milliarden und
diesem Lächeln stehen Hunderttausende von Leuten, denen 400 Euro im Monat
bezahlt wird. Mit einer Arbeit und einem prekären
Leben und geringen Sozialbeiträgen. Wieviele Millionen
Euro werden jedes Jahr nicht an die Staatliche Italienische
Sozialversicherungsanstalt (INPS) bezahlt, weil viele abhängig Beschäftigte als
‚Selbständige’ eingruppiert werden? Und das gilt auch für die ‚Outbounds’ <Anm.1>. Das
haben in den letzten Tagen in Eurer Zeitung Arbeitsrechtler wie Nanni Alleva oder Eliana Como (Autorin einer Untersuchung über die Call Center) erläutert. Man will – mit Hilfe des
mittlerweile bekannten ‚Damiano-Rundschreibens’
<Anm.2> den Diskurs durchsetzen, dass es nicht mehr die
Situation des Arbeitenden ist, die ein Arbeitsverhältnis definiert, sondern die
Auftragsentwicklung, die Höhen und Tiefen des Marktes. Kann auch der Arbeiter
in den Schiffswerften zu einem ‚Co.Co.Pro’ (Scheinselbständigen)
werden, wenn er einen Auftrag erledigt? Die Projekt-bezogene Arbeit darf im
Gegenteil nur für die hohen Freiberufler gelten: Ein Museum, das einem
Spezialisten die Restauration eines Buches aus dem 17.Jahrhundert anvertraut.
Bezüglich dieser Themen müssen wir auf die Straße gehen. Am 8.September werden
wir uns treffen, um die Demonstration ‚Stoppt die Prekarität
jetzt!’ zu organisieren, die auf die große Versammlung vom 8.Juli folgen
wird.“
Anmerkungen:
1)
Bei Outbound-Projekten
rufen die Call Center-Beschäftigten von sich aus
bestehende oder potentielle Kunden an, um den Vertrieb von deren Produkten und
Dienstleistungen zu fördern. Outbound-Projekte
können eigenständig oder als Teil eines umfassenden „Dialog-Marketings“
durchgeführt werden.
2)
Der aus dem Piemont
stammende Linksdemokraten (DS)-Politiker, langjährige FIOM-Funktionär
und ehemalige PCI’ler Cesare Damiano
(58) ist Arbeitsminister der neuen Regierung Prodi.
In der Metallarbeitergewerkschaft FIOM war er bis zu seinem Ausscheiden 1996 der
Kopf des rechten Flügels. Sein Staatssekretär ist niemand anderes als Alfonso
Gianni, ein bekannter Alt-68er und bis April 2006 Chefideologe des ehemaligen Rifondazione Comunista
(PRC)-Parteichefs Fasuto Bertinotti,
der mittlerweile zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer (d.h. ins dritthöchste
Staatsamt!) aufgestiegen ist. Beide spielen innerhalb Rifondaziones
weiterhin eine bedeutende Rolle.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover + Gewerkschaftsforum Hannover