Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Als 5.Teil unserer Reihe über die radikale Linke in der Schweiz diesmal ein Interview, dass sich mit der Politik der Schweizer Kommunisten in den 30er und 40er Jahren befasst. Geführt wurde es mit Heiri Strub (89), einem der Gründungsmitglieder der Partei der Arbeit (PdA), die am 21.Mai 1944 als Ersatz für die zwischen 1937 und 1941 Schritt für Schritt verbotene Kommunistischen Partei der Schweiz und ihrer direkten Nachfolgeorganisation Fédération Socialiste Suisse (FSS) entstand. Wir entnahmen es der PdA-Wochenzeitung „vorwärts“ vom 5.8.2005.

 

„Bürgerliche Sentimentalitäten“

 

mst.   Ein Gespräch mit dem PdA-Gründungsmitglied und Künstler Heiri Strub über Aktivdienst, Rütli-Rapport und Landesverteidigung aus antifaschistischer Sicht.

 

Der heute 89jährige Heiri Strub ist schon als Jugendlicher aktiv in der kommunistischen Bewegung als Roter Sportler, in Agitprop-Gruppen, als Künstler, Grafiker und Kinderbuchillustrator. Der Kalte Krieg verunmöglicht ihm zunehmend, Aufträge als freier Künstler zu erhalten. So emigrieren Heiri und seine Lebenspartnerin Lotti 1957 in die DDR. Als Andenken seines politischen Engagements „blieben uns zehn Kilo Fichen <Dossiers des schweizerischen Inlandsgeheimdienstes über ihn>, etwa 1.700 Blätter: die schlechteste und teuerste Literatur, die in der Schweiz je geschrieben wurde“, wie er in einem Interview erklärte. Nach seiner Rückkehr 1971 in die Schweiz wird er langjähriger VORWÄRTS-Redaktor, bevor er sich ab 1981 ausschließlich der Malerei widmet.

 

Wie habt Ihr als KommunistInnen auf die Machtergreifung Hitlers reagiert?

 

„Für uns war es ein unheimlicher Schock. Unserer Partei wurde von den Bürgerlichen vorgeworfen, den Reichstag angezündet zu haben, das Zeichen der Demokratie. Die Wirtschaftskrise wirkte auf uns mit massivem Lohnabbau. Die Bürgerlichen versuchten, das vom Generalstreik <siehe Anm.1> Erreichte zu zertrümmern und als Kommunisten wurden wir meist als Erste entlassen. Manche haben sich aus dieser Angst heraus aus der Politik zurückgezogen. Wir genossen auch keinen Schutz der reformistischen Gewerkschaften, der Hass gegen die Sozialdemokratie ist nicht vom Himmel gefallen. Fast alle Demonstrationen wurden von der Polizei angegriffen. Der Klassenkampf hat sich weitgehend zwischen der Polizei und den DemonstrantInnen abgespielt.“

 

Worin bestand Eure politische Arbeit nach 1933?

 

„Eine unserer wichtigen Aufgaben war die Unterstützung der illegalen MigrantInnen, die oftmals ohne Papiere in die Schweiz einreisten. Illegale jüdische Flüchtlinge wurden in der Basellandschaft verfolgt und ausgeschafft. Im roten Basel unter dem sozialdemokratischen Polizeirat Franz Brechbüel war dies nicht der Fall. Er selbst setzte sich für die Legalisierung der Flüchtlinge ein. Hilfsorganisationen wurden aufgebaut, Essens- und Schlafplätze gesucht. Die Hilfsbereitschaft der Bewegung war außerordentlich groß. Daraus entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit, die sich auch inhaltlich auswirkte: Zum Beispiel in der Einheitsfrontstrategie.“

 

Du hast Aktivdienst gemacht, wie wurdest Du als aktenkundiger Kommunist aufgenommen?

 

„Der Hauptmann fragte mich, wie ich zur Schweiz stehe. Sehr positiv, antwortete ich, als Antifaschist sei ich sofort bereit, für die Schweiz einzustehen. Der Rütli-Rapport war eine politische Realität, dagegen gab es nichts einzuwenden – insofern die Armee bereit war, den Bundesrat <d.h. die Schweizer Bundesregierung> zu desavourieren. Wir kritisierten scharf die weiche Haltung des Bundesrats, aber auch die Kriegsmaterialtransporte durch die Schweiz und so wurden wir komischerweise Anhänger General Guisans, der im Grunde ein stinkaristokratischer Reaktionär war. In diesem Moment war der nationale Widerstand in erster Linie ein Kampf gegen den Faschismus. Wir befürchteten, dass die Armee mit Hitlerfreunden durchsetzt ist. Der Offiziersstand war durchlöchert mit Nazifreunden. Die Mythologisierung des Rütli haben wir als bürgerliche Sentimentalität abgetan. Der Rütli-Rapport hat vor allem politisch im Volk gewirkt und den Widerstandswillen gestärkt. Das war das Wesentliche. Nach der Anpasser-Rede vom Juni 1940 (Bundesrat Pilet-Golaz hat die wirtschaftliche Integration ins nationalsozialistische Europa angekündigt) und der Eingabe der Zweihundert (im November 1940), in der Rechtskonservative den Bundesrat aufforderten, sich den ideologischen Gegebenheiten anzupassen, war das ein wichtiges Zeichen.“

 

DIE 650 HÖCHSTEN OFFIZIERE NAHMEN AM 25.JULI 1940 AM RÜTLI-RAPPORT VON GENERAL GUISAN TEIL. AM DIESJÄHRIGEN 65.JAHRESTAG SPRACH <Bundesrat, Milliardär und Führer des rechtspopulistischen Flügels der SVP> CHRISTOPH BLOCHER. ER ERINNERTE AN DIE WICHTIGKEIT DER BEWAFFNETEN NEUTRALITÄT UND LOBTE DIE PRAGMATISCHE HANDELSPOLITIK DER DAMALIGEN ZEIT.

 

 

Anmerkung 1:

Gemeint ist der Schweizer Generalstreik vom 12. bis 14.November 1918, an dem sich nach Schätzungen des SGB rund 250.000 Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten. Bernard Degen schrieb in der linken / linksliberalen Schweizer Wochenzeitung „WoZ“ vom 5.11.1998 in einem Artikel unter der Überschrift „Als die Schweiz ein bewegtes Land war“ dazu:

 

„Der Generalstreik wurde lange weitgehend als Misserfolg interpretiert. Eine schwache Führung habe die Durchsetzung der Forderungen oder gar eine Revolution verhindert, kritisierte die radikale Linke. Die gemäßigte wollte die Bewegung rasch in Vergessenheit geraten lassen und alle Ergebnisse ihrem Verhandlungsgeschick zuschreiben. Das bürgerliche Lager schließlich betonte die bedingungslose Kapitulation und die deutliche Lehre, die der Staat denen erteilte, die konventionelle Wege verließen. Dabei wurden namentlich der angeblich unschweizerische Charakter der Bewegung und die Rolle der Armee herausgestrichen.

 

Diese negative Wertung überdeckte lange die Erfolge des Generalstreiks. Mit der Zeit fanden immerhin die neun Forderungen der Streikproklamation mehr Aufmerksamkeit, in moderner Terminologie Neuwahl des Nationalrates nach dem Proporz, Frauenstimmrecht, allgemeine Arbeitspflicht, 48-Stunden-Woche, Demokratisierung der Armee, sichere Lebensmittelversorgung, Altersversicherung, Staatsmonopol für den Außenhandel sowie Vermögenssteuer. Maßnahmen zu Arbeitspflicht, Lebensmittelversorgung und Außenhandel entfielen mit dem Ende der Kriegswirtschaft. Die übrigen Punkte fanden bis 1971 ganz oder teilweise Verwirklichung, erwiesen sich also keineswegs als systemsprengend.

 

Ein Zusammenhang mit dem Generalstreik lässt sich allerdings nur bei der Erfüllung von zwei Forderungen herstellen. So entstand von Anfang 1919 bis 1925 die Verfassungsgrundlage für die Alters- und Hinterlassenenversicherung; die effektive Einführung ging dann erst nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt wegen der noch immer gegenwärtigen Angst vor einem weiteren Generalstreik zügig voran.

 

Die weitaus klarste materielle Folge des Streiks von 1918 war eine massive Arbeitszeitverkürzung. Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement und Spitzenfunktionäre von Unternehmerverbänden machten eindringlich auf die Gefahr einer Wiederholung der allgemeinen Arbeitsniederlegung aufmerksam, falls die 48-Stunden-Woche nicht eingeführt werde. Tatsächlich gelang es bereits im Jahre 1919, durch Absprachen und Gesetze in der Industrie, im öffentlichen Dienst und in zahlreichen Gewerbezweigen die neue Normalarbeitszeit durchzusetzen. (…)

 

Neben diesen materiell greifbaren Ergebnissen verbesserte sich vor allem die Stellung der Arbeiterorganisationen in Wirtschaft und Staat. Entgegen verbreiteter Meinung gehört die Schweiz nicht zu den Pionierländern der Sozialpartnerschaft; Gesamtarbeitsverträge bildeten lange die große Ausnahme und beschränkten sich auf einige Gewerbezweige. Unternehmerverbände hielten es nicht einmal für nötig, mit Gewerkschaften zu verhandeln.“

 

 

Vorbemerkung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover