Antifa-AG der Uni
Hannover:
In den
letzten Wochen häuften sich sowohl in den seriösen bürgerlichen Medien der BRD
(ARD, „SZ“ …), der Schweiz („Weltwoche“) und Israels (die linksliberale
Tageszeitung „Haaretz“) als auch in linken italienischen Zeitungen
unterschiedlicher Ausrichtung Berichte über eine Kursänderung der Islamischen
Widerstandsbewegung (Hamas), d.h. der zweitstärksten politischen Formation in den
Besetzten Gebieten. Der Trend gehe eindeutig in Richtung einer Anerkennung
Israels und der Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates ausschließlich
auf dem (allerdings vollständigen) Territorium der 1967 besetzten Gebiete und
eines langfristigen Friedens mit Israel. Das alles widerspricht eklatant den in
weiten Teilen der bundesdeutschen Linken verbreiteten und liebgewonnenen
Vorurteilen, dem Bild von den „islamistischen Fanatikern“, die „alle Juden
umbringen wollen“ etc. Es eröffnet allerdings auch einer Befriedung der Region
im Sinne des Imperialismus neue Optionen, denn – ob es einem gefällt oder nicht
– ein imperialistischer und sozialer „Friede“ im „Nahen Osten“ führt entweder
über die Zerschlagung oder die Integration von Bewegungen wie der Hamas und der
Hisbollah. Im Zusammenhang mit dieser „Wende“ (die unseres Erachtens so neu gar
nicht ist) fällt meist auch der Name des Ende November 2004 aus israelischer
Gefangenschaft entlassenen Hamas-Chefs im Westjordanland Scheich Hassan Yussef.
Da liegt es nahe, sich anzuhören, was er genau vertritt. Die
sozialdemokratische italienische Tageszeitung „l’Unità“ (das ehemalige
PCI-Organ) führte für die Ausgabe vom 25.1.2005 ein Interview mit ihm,
dessen Übersetzung wir im folgenden präsentieren.
Aus gegebenem
Anlass (da von prozionistischen Kreisen gern mit wilden Unterstellungen
gearbeitet und beim palästinensischen Widerstand häufig wutschnaubend nach
Zensur geschrieen wird) betonen wir hier nochmals, dass wir die Hamas (ähnlich
wie die Hisbollah, bei der dieser Prozess noch weiter gediehen ist) als
kleinbürgerlich-antiimperialistische Organisation betrachten, die in den
letzten Jahren zum Teil auch linkspopulistische Züge angenommen hat. Insofern deckt
sich unsere Kritik an der Hamas im Grundsatz mit der von der palästinensischen
Linken vertretenen. Z.B. vom DFLP-Führungsmitglied Taysir Khaled: „Wir sind
Teil desselben Widerstandes gegen die zionistische Besatzung, aber in Bezug auf
die Politik, den Staat, die individuellen und kollektiven Rechte, die Rolle der
Frau in der Gesellschaft und in der Politik sind unsere Positionen einander
diametral entgegengesetzt.“ Ziel bzw. Zwischenziel auf dem Weg zu einer
sozialistischen Gesellschaft ist: „… ein laizistischer Staat, mit einer
fortschrittlichen sozialen Gesetzgebung, in dem die Trennung von Politik und
Religion klar und deutlich ist. Damit wir uns richtig verstehen: Ich will
nicht, dass der palästinensische Staat auf einem theokratischen Regime beruht.“
(aus einem “l’Unità“-Interview vom 7.1.2005).
Die
Anziehungskraft der Hamas beruht (ähnlich wie die der noch finanzkräftigeren
Fatah) zu einem nicht geringen Teil allerdings auch darauf, dass sie „ein
wirtschaftlicher Faktor“ ist: „Insgesamt greift die Hamas nicht nur vielen
tausend armengenössigen Familien unter die Arme. Sie beschäftigt in ihren
Institutionen rund 10.000 Angestellte, die mit ihrem Einkommen an die 50.000
Menschen versorgen.“ („Weltwoche“ Nr. 13/2004)
„Hamas ist bereit, Abu Mazen eine
Chance zu geben“
„Die Verhandlungen mit
Mahmud Abbas (Abu Mazen; Anm.d.Red.) gehen in die richtige Richtung.
Abbas erkennt die Rolle der Hamas in der palästinensischen Gesellschaft und im
Widerstand gegen die zionistische Besatzung an, will einen Dialog für das Wohl
der palästinensischen Sache führen und beabsichtigt kein Diktat. Zum ersten Mal
wurden substantielle Fortschritte erzielt und die Verhandlungen haben zu
wichtigen Ergebnissen geführt, die bald bekannt gegeben werden.“ Der das
behauptet ist Scheich Hassan Yussef, einer der politischen Führer der Hamas. Am
18.November 2004 nach 28monatiger Gefangenschaft von Israel freigelassen, hat
Yussef sofort wieder die Führung der integralistischen Bewegung in Cisjordanien
übernommen. „Die stattfindenden Gespräche“ – verrät Yussef – „betreffen nicht
nur eine mögliche hudna (Waffenruhe; Anm.d.Red.), sondern
umfassen alle Probleme, die die Zukunft des palästinensischen Volkes
betreffen.“
Der Präsident der <Palästinensischen
Autonomiebehörde> ANP hat sich
optimistisch gezeigt, ein Abkommen mit den verschiedenen palästinensischen
Fraktionen zu erreichen. Teilen Sie diese optimistische Einschätzung ?
„Wir befinden uns zweifellos
auf einem guten Weg. Abu Mazen hat die Bedeutung einer Wahrung der Einheit der
palästinensischen Front begriffen und dem nationalen Dialog eine konstruktive
Prägung gegeben.“
Die erste von Abu Mazen
gestellte Forderung ist die nach einer Feuerpause.
„Bei anderen Gelegenheiten
dienten einseitige Waffenruhen dazu, Aktivisten und Führer der Intifada zu
töten. Die Feuerpause kann keine Kapitulation vor dem Feind bedeuten. Wir
verstehen jedoch Abu Mazens Beweggründe und haben unsere Bereitschaft erklärt,
eine hudna (Waffenruhe; Anm.d.Red.) auszuhandeln, wenn sich
Israel – wie auch von Abu Mazen gefordert – verpflichtet, dasselbe zu tun…“
Was bedeutet das konkret
?
„Es bedeutet, dass Israel
den Staatsterrorismus gegen die palästinensischen Militanten beenden und die militärischen
Operationen in den Gebieten einstellen muss. Auf dieser Grundlage ist eine
zeitweilige Feuereinstellung aushandelbar. Wenn Israel sich verpflichtet, den
politischen Morden ein Ende zu setzen und die Angriffe auf unsere Zivilisten
einzustellen, werden wir das Gleiche tun.“
Zu den Fragen, die im
Mittelpunkt der Gespräche zwischen Abu Mazen und der Hamas stehen, gehört auch
die Frage der palästinensischen Gefangenen in den israelischen Gefängnissen.
„Die Befreiung der 9.000 von
Israel gefangen gehaltenen palästinensischen Kämpfer ist für uns eine der grundlegenden
Fragen und es ist bedeutsam, dass sich Abu Mazen an diesem Problem besonders
interessiert gezeigt hat.“
Die stattfindenden
Verhandlungen betreffen nicht nur eine Feuereinstellung, sondern umfassen – wie
Abu Mazen wiederholt hat – auch die Möglichkeit eines Eintritts der Hamas in
die <Autonomiebehörde> ANP.
„Das ist auszuschließen. Die
ANP stellt, so wie sie beschaffen ist, den Ausdruck jener Osloer Abkommen dar,
die Hamas immer angefochten hat. Etwas anderes ist der Beginn von Gesprächen über
die Schaffung einer hohen palästinensischen Autorität…“
Könnte diese Autorität
die PLO sein ?
„Das ist eine Hypothese, an
der zu arbeiten ist…“
Wäre die Hamas in diesem
Fall bereit, ein Teil von ihr zu werden ?
„Das ist eine Möglichkeit,
die wir derzeit ernsthaft in Betracht ziehen. Andererseits hat die Hamas die
Absicht den in Cisjordanien und im Gaza-Streifen errungenen Konsens in jedem
Bereich des politischen Lebens Palästinas und der Institutionen, die die
Absicht haben alle Kräfte des Widerstandes gegen die zionistische Besatzung zu
repräsentieren, zur Geltung zu bringen.“
Abu Mazen hat diverse
Male erklärt, dass der Frieden, für den man kämpft, ein auf 2 Staaten
gegründeter Frieden ist. Ist Hamas bereit, das Existenzrecht Israels
anzuerkennen und aus der Feuereinstellung einen „Neubeginn“ zu machen ?
„Hamas verteidigt die Rechte
eines Volkes, dem das Recht als Volk zu existieren, bestritten wird. Wenn
Israel akzeptiert, das Recht der Palästinenser anzuerkennen, in einem unabhängigen
Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt zu leben, der die `67 besetzten Gebiete
umfasst, dann wird es möglich sein, eine neue Phase zu eröffnen…“
Eine Phase ohne
bewaffneten Kampf ?
„Der bewaffnete Kampf steht
im Dienste einer politischen Konzeption. Er ist ein Instrument und kein
Selbstzweck. Das Ziel ist die Gründung des Staates Palästina. Wenn wir das
erreichen, werden wir die Ersten sein, die die Waffen niederlegen.“
(Dieses Interview
entstand unter Mitarbeit von Osama Hamlan.)
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover