Antifa-AG der Uni Hannover:
Die politische Szenerie Palästinas ist
mehr denn je in Bewegung, wie die nach und nach vollzogene
Schwerpunktverlagerung der Hamas auf die politische Ebene, ihr Willen zum
Eintritt in die PLO (gemeinsam mit dem Islamischen Dschihad) und zur Beteiligung
an den Parlamentswahlen sowie die faktische Anerkennung des Staates Israel in
den Grenzen von 1948 zumindest durch die Hamas-Führung des Westjordanlandes
zeigen. Gleichwohl bleibt die kleinbürgerlich-antiimperialistische Hamas
aufgrund ihrer Ablehnung fauler Kompromisse in Bezug auf die Siedlungspolitik
Israels in Ost-Jerusalem und der Westbank, den Mauerbau und die Korruption der
palästinensischen Autonomiebehörde sowie ihre linkspopulistischen Tendenzen im
sozialen Bereich und ihre Erfolge bei den jüngsten Kommunalwahlen für die
regierende Fatah-Führung unter Mahmud Abbas (alias „Abu Mazen“) und deren
Pfründe und Privilegien ebenso wie für die Besatzungsmacht Israel ein nicht zu
unterschätzender Gegner. Was Abbas bekanntlich veranlasste die für Juni 2005
vorgesehenen Parlamentswahlen in autokratischer Manier kurzerhand abzusagen.
Nach einigen Monaten der Unklarheit sollen sie nun angeblich im Januar 2006
stattfinden.
Der – insbesondere durch den bewaffneten
Widerstand der palästinensischen Linken und der Hamas erzwungene – Abzug der
israelischen Truppen und Siedler aus Gaza führt zu einer weiteren Zuspitzung
der innerpalästinensischen Auseinandersetzung und wird, vielen Beobachtern
zufolge, angesichts des Apartheidwalls, der fortgesetzten Besiedlung der
Westbank (die laut Sharon „für die Ewigkeit“ ist), der Abriegelung des
geräumten Gaza-Streifens von außen und aus der Luft und vor allem durch die
weiter zunehmende Massenverarmung der Palästinenser, wahrscheinlich binnen
kurzem zu einer „3.Intifada“ führen.
Angesichts dieser Situation berichtet
die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ in ihrer Ausgabe vom 7.7.2005
über die Taktik der Hamas und die Verhandlungen mit der Fatah-Führung.
Hamas bleibt außerhalb der
Regierung, um größeres Gewicht zu haben
Palästina: Die Islamisten lehnen das
Angebot von Präsident Abu Mazen ab. Der Dialog mit der Autonomiebehörde (PA)
wird fortgesetzt.
Pragmatismus der in der 1.Intifada
entstandenen Gruppe. Keine Beteiligung an einer „korrupten“ Exekutive, keine
Zusammenarbeit mit den Israelis für den Rückzug aus Gaza.
MICHELE GIORGIO
Der palästinensische
Ministerpräsident Abu Ala <alias Ahmed Kurei, der als Zementfabrikant auch einen
Teil des Materials für den Bau des israelischen Apartheidwalls liefert !> wird den Dialog trotz des schroffen Neins der Hamas
zur Beteiligung an einer Regierung der nationalen Einheit und der vom Führer
der islamischen Bewegung, Mahmud Zahar, gegen die Autonomiebehörde und
das Vorhaben einer Entwaffnung der bewaffneten Gruppen der Intifada abgegebenen
feurigen Erklärungen fortsetzen. Das sagte Samir Huleileh (Direktor des
Büros des Ministerpräsidenten) gestern dem Radiosender Stimme Palästinas.
Es ist jedoch eine symbolische Haltung, weil die Hamas ihre Position schwerlich
ändern wird. Gestern erwarteten nur sehr Wenige konkrete Ergebnisse von dem
Treffen zwischen Präsident Abu Mazen und dem obersten politischen Leiter
der islamischen Bewegung, Khaled Mashaal, in Damaskus. Das Wort
‚Schluss’ mit der Idee einer Regierung der nationalen Einheit ausgesprochen hat
gerade einer der gemäßigteren Hamas-Vertreter, Scheich Hassan Yusef, der
sich überzeugt zeigte, dass „der innerpalästinensische Dialog auch dann
weitergehen wird, wenn sich die islamischen Kräfte nicht an der PA-Exekutive
beteiligen“. Worte, die keinen Zweifel am Willen der Hamas lassen, zur Regierung
auf Distanz zu bleiben – zumindest für den Moment. Und die Gründe, die zu
dieser Linie geführt haben, sind zahlreich.
Die Ablehnung der aus den
(von der palästinensischen Opposition niemals anerkannten) Osloer Abkommen
hervorgegangenen PA ist nur der bekannteste. Hamas hat im Augenblick
nicht die Absicht, sich in diese heikle Phase, die mittlerweile Allen als
„israelische Entsetzung“, d.h. Räumung der israelischen Siedlungen und
Militärbasen im Gaza-Streifen bekannt ist und dem in den vergangenen Monaten
von Ministerpräsident Ariel Sharon gebilligten Plan entspricht,
hineinziehen zu lassen. „In eine Regierung einzutreten, die sich bereit erklärt
hat, die Sicherheit Israels in den Tagen zu garantieren, in denen Siedler und
Soldaten Gaza verlassen, würde bedeuten, der Rolle der Palestinian Authority
(PA), dem Sharon-Plan und letztlich einer Form von politischer Zusammenarbeit
und einer Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen zwischen Palästinensern und
Israelis zuzustimmen.“ Das ist für Hamas zuviel, die „vergessen wir das nicht,
Israel – zumindest offiziell – nicht anerkennt“, erklärte der in Gaza lebende
Politologe <und
Chefredakteur der Hamas kritisch verbundenen Wochenzeitung „Al-Risala“>, Ghazi Hamad. Wobei er klarstellte, dass
Hamas nicht die Absicht hat, Sharon Garantien anzubieten.
Hamas hat außerdem nicht die Absicht ihren bewaffneten
Arm, die „Ezzedin Al-Qassam“, zu entwaffnen, der durch Anschläge und
bewaffnete Aktionen während der Intifada unter den Palästinensern einen enormen
Zuspruch errungen hat und der politischen Führung gleichzeitig Ansehen und
Einfluss bei den innerpalästinensischen Angelegenheiten sicherte. Dies
verkündeten am Dienstag der Hamas-Sprecher in Gaza, Mushir Masri, und
vor allem Mahmud Zahar, der den Finger auf die Autonomiebehörde
richtete, die seiner Ansicht nach in Zukunft beabsichtigt, eine repressive
Politik gegen die islamische Opposition zu verfolgen – um damit Israel und die
Vereinigten Staaten zufrieden zu stellen. Vor allem <aber> will Hamas sich nicht an einer Exekutive beteiligen,
die von der übergroßen Mehrheit der Palästinenser als „korrupt“ und daher als
ungeeignet angesehen wird, Cisjordanien und Gaza zu verwalten. „Die islamische
Führung hat einen Großteil ihrer Strategie auf den Kampf gegen die Korruption
an der Spitze der PA gesetzt und ihr möglicher Eintritt in die Regierung würde
der Bevölkerung als Verrat erscheinen. Das wäre in Hinblick auf die
Parlamentswahlen“, die aller Wahrscheinlichkeit nach Anfang 2006 stattfinden
werden, „ein kontraproduktiver Schritt“, erklärte Ghazi Hamad. Die
Position Zahars und der anderen Führungsmitglieder hat in jedem Fall auch die
deutliche Ablehnung einer Regierung der nationalen Einheit durch den Islamischen
Dschihad, der anderen islamischen Gruppe, beeinflusst, die derzeit versucht,
unter den Palästinensern an Zustimmung zu gewinnen, indem sie sich gerade auf
die moderate Wende der Hamas bezieht.
Die Ablehnung der
islamischen Oppositionsgruppen, in die Exekutive der PA einzutreten, könnte
allerdings das Schicksal Abu Alas besiegelt haben, der sich bereits seit
langem auf Konfrontationskurs zu Abu Mazen <alias Mahmud Abbas> befindet. Seine Ersetzung sei vom palästinensischen
Präsidenten mit Faruk Qaddumi (dem Generalsekretär von Al-Fatah) während
ihres Treffens vor einer Woche in Amman diskutiert worden.
Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in
eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover