Antifa-AG
der Uni Hannover:
Ein Regierungssprecher, der nicht für
die Regierung spricht, weil die durch israelisches Kidnapping dezimiert und
durch Bombardierung der Ministerien sowie Morddrohungen seitens „der
einzigen Demokratie im Mittleren Osten“ zeitweise in den Untergrund
gezwungen ist. Weshalb er kurzerhand zum Vordenker und Strategen eben dieser Rest-Regierung
avanciert. Das politische Erdbebengebiet Palästina wartet wieder einmal mit sehr ungewöhnlichen
Phänomenen und Konstellationen auf. Ganz von Ungefähr kommt diese Personalie allerdings nicht: Vor seinem Job als Sprecher
der Ende Januar 2006 demokratisch gewählten Hamas-Regierung war besagter Ghazi Hamad
Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung „Al Risala“
und darüber hinaus ein international angesehener politischer Analytiker. Mit
seiner Zustimmung zur Stationierung einer multinationalen Truppe nach
libanesischem Vorbild auch in Gaza steht er allerdings im Gegensatz zur
Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung. Die lehnt – laut einer vom
mitte-linken palästinensischen Jerusalem Media and Communications
Center (JMCC) vom 19.-22.September 2006 durchgeführten Umfrage
(vollständige Übersetzung der Ergebnisse folgt!) – ein solches ausländisches
Militärkontingent zu 60,5% ab, während 34,7% die Idee unterstützen. Dass es
sich de facto um eine kaschierte Hilfstruppe des Kolonialstaates Israel handeln
würde, zeigt schon die Tatsache, dass sie nur im Gaza-Streifen in Stellung
gehen soll, wo Olmert, Peretz,
Halutz & Co. die Kontrolle zum Teil verloren
haben, nicht aber in der West Bank, wo die zionistische Besatzungsmacht weiterhin
dominiert. Auch die Rolle der deutschen BGS’ler und
anderer EU-Wächter am Grenzübergang Rafah ist diesbezüglich
sehr lehrreich. Hamad zeigt in dieser Frage (ebenso
wie bei seinen, in jüngster Zeit mehrfach wiederholten Forderungen nach
Einstellung des bewaffneten palästinensischen Widerstandes), dass er zum
moderaten Flügel der Hamas gehört. In einem Interview für die – den Linksdemokraten
(DS), d.h. den Erben des rechten Mehrheitsflügels der 1990 aufgelösten
italienischen KP, nahe stehende – sozialdemokratische und uneingeschränkt prozionistische Tageszeitung „l’Unità“
vom 29.8.2006 legt er seine Sicht der Dinge dar.
Palästina in Flammen:
Hamas: „Wir sagen Ja zu den Blauhelmen“
Regierungssprecher Hamad: „Man muss Selbstkritik üben. Die Palästinenser
leiden nicht nur aufgrund der israelischen Besatzung.“
Von Umberto De Giovannangeli
Eine harte Prüfung einer
dramatischen Realität. Eine selbstkritische Reflektion, die umso bedeutender
ist, weil sie von einer Figur aus der obersten Etage von Hamas geleistet wird:
Von Ghazi Hamad, dem
Sprecher der von Ismail Hanija geführten
palästinensischen Regierung. Ein Gebiet ohne Recht und Ordnung, in der Gewalt
bewaffneter Banden, die die israelische Besatzung „benutzen“, um
Aktivitäten „krimineller Natur“ zu rechtfertigen. Das ist der von Hamad beschriebene Gaza-Streifen: „Die palästinensische
Führung und die verschiedenen palästinensischen Gruppen müssen zu einer harten
Gewissensprüfung schreiten“ – hebt der Hamas-Sprecher hervor – „weil man
die gravierende Lage der Palästinenser nicht nur der israelischen Besatzung
anlasten kann.“ Hamad spricht sich für die
Stationierung einer multinationalen UNO-Truppe im Gaza-Streifen aus. „Wir
unterstützen“ – sagt er – „den vom italienischen Außenminister gemachten
Vorschlag. Hamas ist für eine internationale Truppe im Gaza-Streifen, um die
Sicherheit der palästinensischen Bevölkerung zu garantieren.“ Und bezüglich
der Anerkennung Israels: „Wir haben“ – unterstreicht der Hamas-Sprecher
– „unsere Bereitschaft zu einer lang andauernden Waffenruhe wiederholt zum
Ausdruck gebracht, aber Israel antwortet darauf mit der Inhaftierung von
Ministern und Abgeordneten und hält eine Million und Vierhunderttausend Palästinenser
im Gaza-Streifen als Geiseln, wobei es fälschlicherweise glaubt, dass die
eiserne Hand seine Sicherheit gewährleisten könne.“
Sie haben sehr harte
Worte gebraucht, um die Realität in Gaza zu beschreiben. Ist das auch das
Eingeständnis einer Niederlage der Hamas?
„Das ist die Feststellung
einer dramatischen Realität, die nicht nur der israelischen Besatzung
angelastet werden kann. Die israelischen Verbrechen können die Verantwortung
der palästinensischen Führung und der verschiedenen Gruppen nicht beseitigen
und das gilt natürlich auch für die Hamas, die ein grundlegender Bestandteil
der palästinensischen Gesellschaft ist. Ich habe geschrieben und bekräftige es:
Unser Denken ist beschränkter geworden. Nur selten gelingt es uns, unsere
Projekte zu verwirklichen. Gaza ist zu einem Mülleimer geworden. Die Regierung
und die Opposition sind ohnmächtig. Wir haben uns daran gewöhnt, anderen die
Schuld für unsere Fehler zu geben. Aber welche Beziehung gibt es zwischen dem
bewaffneten Chaos, der Anarchie, der Illegalität, den wahllosen Tötungen, den
Erpressungen und der israelischen Besatzung?“
Hamas hat
die Wahlen gewonnen, indem sie Ordnung und Sicherheit in den Palästinensergebieten
versprach. Die Bilanz fällt sehr trostlos aus.
„Es ist schwer wieder
Ordnung herzustellen, wenn Du jeden Tag mit Luftangriffen, mit Kommandoaktionen
am Boden, mit Artilleriebeschuss und gezielten Tötungen durch die israelischen
Besatzungstruppen rechnen musst. Das rechtfertigt allerdings nicht jene
bewaffneten Banden, die den Widerstand instrumentalisieren, um kriminelle
Logiken durchzusetzen. In den Palästinensergebieten besteht die Gefahr, dass
ein Krieg zwischen den Clans ausbricht, der nicht nur die gegenwärtige
Regierung, sondern alle palästinensischen Institutionen mitreißen könnte. Es
gibt Leute, die meinen, dass einzige geltende Gesetz sei das der Kalaschnikows.
Und das ist nicht hinnehmbar.“
Israel setzt die
Verhaftungen von Ministern und Abgeordneten der Hamas fort.
„Das sind keine
Verhaftungen, sondern Massenverschleppungen. Äußerst gravierende und illegale
Aktionen unter Verhöhnung des internationalen Rechts. Jene Abgeordneten und
Minister sind der Ausdruck eines in freien Wahlen manifestierten Volkswillens.
Jene Minister und Abgeordneten sind ebenso israelische Gefangene wie weitere
Tausende von Palästinensern, deren Schuld darin besteht, Widerstand gegen die
israelische Besatzung geleistet zu haben. Israel tritt die palästinensische
Souveränität weiterhin mit Füßen und glaubt fälschlicherweise so seine
Sicherheit gewährleisten zu können.“
Und stattdessen?
„Stattdessen spielt es mit
dem Feuer, weil die Hamas einen Damm gegen das Eindringen von Gruppen in die
Palästinensergebiete darstellt, die das Niveau der Auseinandersetzung noch mehr
erhöhen würden.“
Beziehen Sie sich auf Al Qaida?
„Nicht nur. Es sind Viele,
die die Palästinensergebiete in einen ‚zweiten Irak’ verwandeln wollen.“
Der italienische
Außenminister Massimo D’Alema <von den Linksdemokraten (DS)> hat die Stationierung einer multinationalen Truppe
unter UNO-Ägide in Gaza in Aussicht gestellt. Wie bewerten Sie diese
Möglichkeit?
„Positiv. Eine
multinationale Truppe, die der Belagerung ein Ende setzt, die Israel seit mehr
als zwei Monaten betreibt und damit Hunderttausende Palästinenser zum Hungern
zwingt, ist willkommen. Hamas ist nicht nur für eine multinationale Truppe,
sondern würde sich aktiv daran beteiligen, ihr die Aufgabe zu erleichtern.“
Zu den Forderungen, die
die internationale Gemeinschaft der palästinensischen Regierung stellt, gehört
die Freilassung des Gefreiten Ghilad Shalit, der von einem Intifada-Kommando
am 25.Juni entführt wurde. Was können Sie diesbezüglich sagen?
„Was ich dazu sagen kann
ist, dass der israelische Soldat gesund und wohlauf ist. Das habe ich in einem
Gespräch mit dem Vater (Noam), mit dem ich in Kontakt stehe, bestätigt.“
Wer ist für Hamas (der
Hisbollah-Chef) Hassan Nasrallah?
„Er ist der Führer einer in
der libanesischen Gesellschaft stark verankerten Widerstandsbewegung. Er ist
ein Unterstützer der palästinensischen Sache, ist allerdings kein Modell, auf
das man sich beziehen sollte.“
Ist die Bildung einer
nationalen Notstandsregierung aus Hamas und Fatah noch aktuell?
„Die ist nicht nur aktuell,
sondern kurz vor dem Zustandekommen. Eine Regierung der nationalen Einheit
liegt heute im Interesse des palästinensischen Volkes und die Hamas wird in der
Lage sein das Allgemeininteresse über die Fraktionslogiken zu stellen.“
Was ist für die Hamas ein
dauerhaftes Friedensabkommen aus?
„Eines, dass die Bildung
eines Staates Palästina in den 1967 besetzten Gebieten mit Al-Quds
(Jerusalem; Anm.d.Red.) als seiner Hauptstadt vorsieht.“
Das bedeutet Israel
anzuerkennen…
„Das bedeutet, die Realität
zur Kenntnis zu nehmen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügung in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover