Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Im Folgenden ein Interview, das der Gründer und langjährige,
vor gut einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurückgetretene
Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP),
George Habash, kurz vor der Ermordung seines Nachfolgers im Amt des PFLP-Generalsekretärs,
Abu Ali Mustafa, durch einen gezielten Raketenanschlag der israelischen Armee
im Westjordanland gab. Durch diese Ereignisse ist George Habash vorübergehend
wieder die Nummer 1 der PFLP, die seriösen Umfragen zufolge zusammen
mit der DFLP, die sich Anfang der 70er Jahre von ihr abgespalten hatte, ihr
nun aber wieder nahesteht, vor dem Anschlag 8% der palästinensischen
Bevölkerung in den besetzten Gebieten hinter sich hat.
Das Interview erschien wurde ursprünglich für die Zeitschrift “News
from within” geführt und in den hier übersetzten längeren
Auszügen, die in der linken italienischen Tageszeitung “il manifesto”
vom 28.8.2001 veröffentlicht wurden, aus dem Englischen ins
Italienische übertragen. Unserer Einschätzung nach dürfte
durch die zweimalige Übersetzung allerdings wenig an der Substanz verändert
worden sein, weil das Interview generell in einer sehr einfachen und eindeutigen
Sprache gehalten ist. Es ist darüberhinaus eines der ganz wenigen aktuellen
Dokumente, die von der sozialistischen PFLP überhaupt in deutscher Sprache
zu haben sind. (In englischer Sprache finden sich eine ganze Reihe Texte
auf der sehr gut gemachten Website der PFLP unter der Adresse: www.pflp-pal.org
)
“Mit der Intifada werden
wir siegen”
George Habash, historischer Führer der Volksfront (PFLP):
“Der Aufstand ist eine einzigartige Gelegenheit, die alle Palästinenser
geeint hat.” Und sie wird zu einem Frieden führen, der nicht “die von
Israel gewollte Apartheid ist”.
Dieses Interview, von dem wir längere Auszüge wiedergeben, ist
in der palästinensisch-israelischen Jerusalemer Zeitschrift “News from
Within” erschienen. George Habash ist der Gründer und historische Führer
der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die gegen das
Abkommen von Madrid, aber dennoch integraler Bestandteil der PLO ist. Vor
einem Jahr ist er zugunsten von Abu Ali Mustafa, der gestern von den Israelis
ermordet wurde, von der Führung der PFLP zurückgetreten.
Zehn dramatische Jahre sind seit der Konferenz von Madrid vergangen. Wie
beurteilen Sie diese Periode im Verhältnis zu ihrer Ablehnung der Madrider
Konferenz ?
“Der Friedensprozeß, der 1990 in Madrid begann, ist in einer Sackgasse
gelandet, die das grundlegende Ungleichgewicht wiederspiegelt, auf dem jener
Prozeß aufgebaut ist. Das war ein amerikanisches Projekt, das dem arabisch-israelischen
Konflikt gemäß den Interessen der israelisch-amerikanischen Allianz
ein Ende setzen wollte. Jenes Ungleichgewicht ist nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion und der durch den Golfkrieg hervorgerufenen arabischen Zersplitterung
noch größer geworden. Unsere Entscheidung, jenen Prozeß
abzulehnen, ist nicht willkürlich gewesen und bedeutete nicht, daß
die Palästinenser oder die palästinensischen Parteien prinzipiell
gegen den Frieden wären. Eher war es die Bestätigung unserer Überzeugung,
daß die Bedingungen jenes Prozesses nicht zum Frieden führen konnten.
Die tägliche Praxis der israelisch-amerikanischen Allianz offenbart
eine besondere Art den Frieden zu verstehen: nämlich als ein Instrument
zu politischen Kapitulation der Araber im Allgemeinen und der Palästinenser
im Besonderen.”
Welches sind Ihrer Meinung nach die Gefahren, die die palästinensische
Intifada bedrohen und was hat die Intifada bis heute erreicht ?
“Die Hauptgefahr, die der Intifada droht, liegt in den politischen Versuchen
sie abzubrechen / zunichte zu machen. Die politischen Ziele der Intifada
sind dieselben wie die der Nationalen Befreiungsbewegung, die in den politischen
Dokumenten der PLO klar definiert sind. Wir müssen <uns /d.Ü.>
daran erinnern, daß die Hauptursache der Intifada das wachsende Bewußtsein
des palästinensischen Volkes über die Auswirkungen der Abkommen
von Oslo ist. Nicht nur seine Rechte und seine legitimen historischen Forderungen
befinden sich aufgrund der Verhandlungen über den sogenannten Endstatus
am Rande der Vernichtung, sondern die israelisch-palästinensische <sic
! /d.Ü.> Allianz ist dabei, den Palästinensern mit voller Geschwindigkeit
ihre Begriffe und ihre Bedingungen aufzuzwingen. Mit anderen Worten, als
das palästinensische Volk realisiert hat, daß die Ziele der Vereinigten
Staaten und die Praxis Israels Teil eines gut entwickelten und organisierten
Planes sind, um das Palästinenser-Problem zu ‚lösen‘ und alle seine
Fundamente zu sprengen, da hat die neue Intifada mit dem Ziel begonnen, die
Gleichung neu zu formulieren und klarzumachen, daß die Konstanten der
palästinensischen Sache in Erinnerung gerufen und verteidigt werden
müssen. Das was wir heute in den Begriffen eines offenen Krieges gegen
ein unbewaffnetes Volk erleben, ist in Wirklichkeit und im Grunde ein mit
militärischen Fallen übersäter politischer Krieg. Es ist einfach
ein Versuch der Eindämmung und Unterwerfung des palästinensischen
Volkes über die Nutzung militärischer Mittel, um die politische
Vision Israels in der Perspektive des Scheiterns der Verhandlungen durchzusetzen.
Hier liegt die wahre Gefahr, auf die die Palästinensische Autorität,
die nationalen Kräfte, die islamischen Kräfte und das palästinensische
Volk im allgemeinen antworten müssen.
Bislang hat der palästinensische Aufstand zu vielen Resultaten von großer
Bedeutung geführt. Er hat bestätigt, daß das palästinensische
Volk mit Blick auf die Rückeroberung seiner nationalen Rechte weiterhin
an den eigenen Positionen festhält. Er hat dem israelisch-amerikanischen
Plan, die palästinensische Sache zu vernichten, einen entscheidenden
Schlag versetzt. Er hat bewiesen, daß jedes Abkommen, das die Rechte
des palästinensischen Volkes, so wie sie im nationalen Programm der
Palästinenser und in den internationalen Konventionen festgelegt sind,
nicht anerkennt, dazu bestimmt ist, zu scheitern. Er hat Israel (egal ob
mit einer Labour- oder einer Likud-Regierung) gezwungen, seine Karten bezüglich
der Frage aufzudecken, was es unter einem ‚politischen Abkommen‘ versteht.
Er hat die Natur des zionistischen Projektes klargestellt und die Tatsache,
daß die Position Israels auf dem Fortbestand der Besatzung in neuen
Formen basiert und der Grundgedanke seines ‚Friedens‘ ein Apartheidsystem
ist, das in der Lage ist, die Gegenwart und die Zukunft des palästinensischen
Volkes unter Kontrolle zu halten. Er hat bewiesen, daß die Stärke
des palästinensischen Volkes nicht unterschätzt werden darf. Das
ist eine Kraft, die die Lügen der vergangenen 10 Jahre, die um den Gedanken
der ‚Normalisierung‘, der ‚Koexistenz‘ und der ‚Friedensgrundlagen‘ kreiste,
enthüllt und dem Widerstand neue Anerkennung und Bestätigung gegeben
sowie Würde und Nationalstolz verbreitet hat. Der Aufstand hat desweiteren
sowohl den Palästinensern wie auch den anderen Arabern den Platz zurückgegeben,
der ihnen als vollwertiger Konfliktpartei zukommt - trotz des hohen Preises,
den die Palästinenser bezahlt haben und trotz des Ungleichgewichtes
der Kräfte. Er hat der palästinensischen Sache ihre richtige Rolle
als wichtigstem Befreiungskampf unserer Ära in der arabischen Welt und
in der internationalen Arena zurückgegeben. Und schließlich hat
er den Palästinensern eine historische Gelegenheit geboten, die Ereignisse
der vergangenen Jahre neu zu betrachten und neu zu bewerten. Wenn es das
palästinensische Volk versteht diese Gelegenheit zu nutzen, kann es
seine auf den Widerstand gegen die israelische Besatzung und auf den Versuch
die legitimen eigenen Rechte wiederzuerlangen, gegründete politische
Strategie in besserer und klarerer Weise neu schreiben. Es ist der Intifada
gelungen, das palästinensische Volk nach 10 Jahren interner Spaltungen
und Zersplitterungen wiederzuvereinen. Wenn diese wiedergewonnene Einheit
nicht in ein klares politisches Programm mit demokratischen Zielen und Praktiken
umgewandelt wird, besteht die Gefahr, daß das zu einem so teuren Preis
erworbene Gut verloren geht. Deshalb ist es entscheidend, daß alle
politischen Parteien ihre nationale Einheit in politische Einheit verwandeln.”
Sind Sie für die Zukunft optimistisch ?
“Gewiß bin ich optimistisch. Und das sage ich nicht bloß aus
Opportunismus, sondern weil ich sehe, wie sich die Realität und die
Geschichte bewegt und weil ich die Kraft und die Entschlossenheit unseres
Volkes kenne. Ich sehe die Möglichkeiten der arabischen Nation und die
historische und zivilisierte Rolle, die es in der internationalen Arena spielen
kann. Der Schlüssel, um gegen jeden potentiellen internen Konflikt Front
zu machen ist, es einen demokratischen Prozeß auf jeder Ebene der Gesellschaft
zu garantieren und den kulturellen, religiösen, politischen und sozialen
Pluralismus zu sichern. Sodaß er zu einer Quelle des Reichtums und
der Einheit anstatt zu einem Weg hin zur Zersplitterung wird, die die ausländischen
und kolonialistischen Einmischungen begünstigt.”
Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover