HARTZ und HOPP ?


Information und Diskussion über das Hartz–Konzept mit


Ernst Taux (Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven), Willi Lüpkes (ALSO Oldenburg + ver.di-Erwerbslosenausschuss), Klaus-Dieter Gleitze (Arbeitslosenkreis Hannover-Linden).


Donnerstag, 27.2.2003, 19.30 Uhr, Freizeitheim Linden


Seit Jahren versuchen uns Regierungen, Unternehmerverbände, Medien und auch manche Gewerk-schaftsfunktionäre weiszumachen, „unsere“ Arbeitsplätze und damit „unser“ Wohlstand seien nur durch „unseren“ Verzicht zu sichern. Ein neuer, spektakulärer Höhepunkt sind die Pläne der Hartz-Kommission und ihre Umsetzung durch die Regierenden. Anspruch ist es, die Arbeitslosigkeit binnen weniger Jahre zu halbieren. Erreicht werden soll das mit einem umfassenden Druck auf Arbeitslose, unterbezahlte Jobs anzunehmen. Lohnarbeit zu jedem Preis ist das Ziel. Damit soll einer Situation abgeholfen werden, in der im Osten auf eine freie Stelle 20 Arbeitssuchende kommen und im Westen derzeit acht bis neun. Die gesellschaftlichen Ursachen von Erwerbslosigkeit werden völlig ausgeblendet. Den Unternehmen wird nichts, aber auch gar nichts Substanzielles abverlangt.


Trotzdem gehen die Vorschläge den Kapitalistenverbänden nicht weit genug. Allenfalls weisen sie, so der Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe und der Dresdner Bank, M. Heise, „in die richtige Richtung“. Für BDI-Präsident Rogowski, der ansonsten einen „entfesselten Arbeitsmarkt“ fordert, ist die Umsetzung der Hartz-Vorschläge nur der Anfang. Trotz wachsender Kritik innerhalb der Gewerkschaften sprachen sich auch die Gewerkschaftsführungen diensteifrig für die Vorschläge aus. DGB-Chef Sommer „begrüßt“ sie ausdrücklich. Ver.di-Chef Frank Bsirske feierte sie als ein „gelungenes Gesamtkonzept“. Und die IG BCE-Zeitung „kompakt“ titelte gleich: „Hart(z), aber sicher“!. Die Gewerkschaftsspitzen versuchen jede weitere Diskussion abzuwürgen. Schließlich haben sie den Hartz’schen Horrorkatalog in Treue fest zu ihrem Kanzler und zur sogenannten Sozialpartnerschaft selbst mit ausgearbeitet. Die einvernehmliche Kooperation geht so weit, dass der VW-Manager Peter Hartz als Festredner zur Einweihung des neuen IG Metall-Hauses in Frankfurt eingeladen wurde.


Inhalt des unter seiner Führung entwickelten Wunderwerkes ist die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, wobei bei der Berechnung zusätzlich massiv gekürzt wird, sowie die Umwandlung von Arbeitsämtern in „Job-Center“, dessen „Fallmanager“ z.B. Praktika vermitteln, in denen für das bloße Arbeitslosengeld geschuftet werden darf. Es geht um die Einrichtung von sog. Personal Service Agenturen (PSA), die nichts anderes sind als Leiharbeitsfirmen des Arbeitsamtes oder gar Sklavenhändler, die per Vollmacht des Arbeitsamtes Erwerbslose vermarkten. Das heißt dann nichts anderes als untertarifliche Bezahlung bei doppelter Ausbeutung und weitgehender Rechtlosigkeit. Eine andere grandiose Idee ist die sog. „Ich-AG“. Die Leute sollen sich selbstständig machen, bei einer Pauschalbesteuerung von 10% und voller Sozialversicherungspflicht sollen sie sich Unternehmen oder anderen anbieten. Für diese liegt der Vorteil auf der Hand: Sie sparen alle Sozialabgaben, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, etc. Kündigungsschutz gibt es gar nicht, statt dessen die Kümmerexistenz der Scheinselbstständigkeit:


Um die Arbeitslosen nun endlich in die Leiharbeitsfirmen zu pressen oder zur Scheinselbstständigkeit zu animieren, gibt es die Regeln einer „Neuen Zumutbarkeit“. Zumutbar ist (fast) alles, was die Arbeits-beratung befiehlt und dem jeweiligen Unternehmer gefällt: Z.B. eine berufliche Abqualifizierung oder ein Umzug von Hannover nach Stuttgart bzw. wesentlich schlechtere Arbeit für weniger Lohn oder dass Frauen mit arbeitendem Freund oder Ehemann nur noch zweitrangig vermittelt werden. Doch wie schön, „Niemand ist gezwungen, eine angebotene Stelle anzunehmen, in die PSA einzutreten, oder an einer Maßnahme zur Integrationsförderung teilzunehmen.“ steht auf Seite 97 des Hartz-Papieres.


Dies ist nur eine weitere Verhöhnung aller Menschen, die nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, um über die Runden zu kommen. Denn bei Ablehnung der „Vorschläge“ des „Fallmanagers“ gibt es schlicht kein Geld mehr - nicht einmal mehr Sozialhilfe. Schließlich soll, so der neoliberale Zynismus der Hartz-Kommission: „durch eine differenzierte und flexibel handhabbare Sperrzeitenregelung ... die Ernsthaftigkeit der eigenständigen Integrationsanstrengungen verstärkt werden.“


Ein Beispiel: Anja Schmidt, 25 Jahre, Fleischereifachverkäuferin, 1000.-Euro Nettolohn, wird zum 31. 01. 2004 vom Kaufhaus H. entlassen. Sie erhält ein Arbeitslosengeld von 610 Euro (1). Das Job-Center steckt sie nach einem Monat in eine Leiharbeitsfirma, umgetauft in PSA. Die PSA wird von Randstad betrieben. Die PSA verleiht sie sofort an ein anderes Kaufhaus. Dort muß sie sechs Wochen zur Probe arbeiten – für ihr Arbeitslosengeld ! Danach arbeitet sie im neuen Kaufhaus weiter, immer noch verliehen von Randstad. Sie bekommt den von ver.di mit Randstad vereinbarten Niedrig-Tarif (2), das sind 800 Euro, also 20% weniger als ihr alter Lohn.

Da ihre Warmmiete 400 Euro beträgt, bleiben ihr für das „süße Leben“ noch 400 Euro monatlich. Sie liegt damit jetzt unter dem Sozialhilfebedarf. (3) Anja Schmid ist empört. Doch das Job-Center droht ihr mit 12 Wochen Sperrzeit, wenn sie die Leiharbeit nicht annimmt.

Die Regierung tröstet sie: „Wer nur seine Ansprüche pflegt, der hat noch nicht verstanden (4)

(1) durchschnittliches ALG einer unverheirateten Frau im Jahre 2001 (2) Gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommt a. Schmidt nur, wenn kein Tarifvertrag mit der Leiharbeitsfirma abgeschlossen wurde (3) Bedarf z. B. in Hessen: 294 E Regelsatz + 400 E Warmmiete =694 E; bereinigtes Einkommen: 800 E Nettolohn – 147 E Freibetrag f. Erwerbstätige – Fahrtkosten – Arbeitsmittel (4) Regierungserklärung FR 30.10.2002


Eine weitere Waffe dieser „Reform“ ist die Kürzung des Arbeitslosengeldes. Durch die Beutelschneiderei bei der Berechnung des zustehenden Geldes bzw. die häufiger verhängten Sperrzeiten sollen schon im Jahr 2003 1,3 Milliarden Euro bei den Arbeitslosen eingespart werden. Während die Hartz-Pläne den Kapitalisten Anreize und Vorteile bieten, zwingen sie die Arbeitslosen, jeden Job anzunehmen und Vor-stellungen von angemessenem Lohn und Sicherheit aufzugeben. Die Arbeitslosen sollen eine weitgehend rechtlose Verschiebemasse werden, denen obendrein noch die Verantwortung für die Misere zugeschrieben wird. Die staatliche Förderung von Niedriglöhnen und unsicheren Arbeitsverhältnissen trifft nicht nur Erwerbslose, sondern auch bestehende Arbeitsverhältnisse. Die Arbeitsbedingungen und der Lohn wer-den nach unten „angepasst“. Das Tarifrecht wird ausgehebelt. Die Reduzierung von Stammbelegschaften zugunsten des vermehrten Einsatzes von Leiharbeitern oder Ich-AGs hat in einigen Betrieben schon begonnen. In Handwerksbetrieben können demnächst bis zu 50% der Belegschaft aus Ich-AGs bestehen.


Zusammengefasst bedeutet dies die Zerschlagung des bisherigen, in über hundert Jahren erkämpften, sozialen Sicherungssystems. Die ersten Schritte waren die stufenweise Privatisierung der Kranken- und Rentenvorsorge. Nun beginnt die Abschaffung der sozialen Grundsicherung. Und ein Ende ist nicht absehbar. Die Rürup-Kommission ist schon dabei, die Zwei-Klassen-Medizin auszuarbeiten und SPD-Superminister Clement denkt über die Aufhebung des Kündigungsschutzes in Kleinbetrieben nach, was 80% aller Betriebe betreffen würde.


Wo das endet, liegt aber auch in unserer Hand. Angesichts dieser Verhältnisse gibt es keine individuellen Möglichkeiten der Gegenwehr mehr. Erfolgreicher Widerstand ist nur gemeinsam möglich. In verschiedenen Regionen und Städten haben sich bereits Anti-Hartz-Bündnisse gebildet, auch unter Einschluss von Basisgruppen der Gewerkschaften. Was bei einer entschlossenen Bewegung möglich ist, haben die Ar-beitslosenproteste in Frankreich 1998 und in Argentinien gezeigt (wo zwei Präsidenten gestürzt wurden !).

Mehr Informationen über „Hartz und die Konsequenzen“ und eine Diskussion der Widerstandsmöglich-keiten gegen Schikanen, Kürzungen, Leiharbeit und Niedriglöhne gibt es mit den Vertretern dreier seit Jahren aktiver Gruppen von Erwerbslosen und prekär Beschäftigten aus Norddeutschland: Ernst Taux (Wilhelmshaven), Willi Lüpkes (Oldenburg) und Klaus-Dieter Gleitze (Hannover). Am


Do., den 27.2.2003 um 19.30 im Fzh. Linden (Windheimstr. 4)


Gewerkschaftsforum Hannover


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