Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Fausto Bertinottis forcierte Bemühungen um die uneingeschränkte Regierungsfähigkeit von Rifondazione Comunista (PRC), d.h. um die Kompatibilität mit einer freundlicher vorgetragenen und schöner verpackten, substanziell aber unveränderten wirtschaftsliberalen Politik, rufen in den letzten Monaten den Widerstand ganz unterschiedlicher Strömungen in der Partei hervor. Darunter auch den der zweitgrößten und eher traditionalistisch ausgerichteten, deren politisch-organisatorischer Kopf Claudio Grassi ist.

 

Claudio Grassi gehört dem Nationalen Sekretariat von Rifondazione an. Seine Strömung, die sich um die Zeitschrift „l’ernesto“ (www.lernesto.it) gruppiert bezeichnet sich selbst als “an Lenin, Gramsci und Togliatti orientierter Bereich”, dessen weitere führende Vertreter Losurdo, Sorini und Burgio sind. In puncto marxistische Theorie, Geschichte der sozialistischen / kommunistischen Bewegung und Rolle der Arbeiterklasse ist diese Strömung, die etwa 30% der Partei hinter sich hat, orthodox, und damit seit jeher links von Bertinotti. In Fragen der Bündnispolitik und der Wahltaktik stand sie den Linksdemokraten (DS) und dem Olivenbaum-Bündnis bisher grundsätzlich sehr viel “offener” und kompromissbereiter gegenüber und befand sich damit bis vor einem ¾ Jahr deutlich rechts von Bertinotti. Auch dort bewegt sie sich, dank des opportunistischen Kurses der Parteispitze nun halblinks von dieser. Das nachfolgende Interview trägt das Datum vom 19.Mai 2004 und erschien in der dem äußersten linken Flügel von Rifondazione, dem Progetto Comunista (www.progettocomunista.it) von Marco Ferrando nahe stehenden Zwei-Monats-Zeitschrift „Pianeta Futura“ (Planet Zukunft / zukünftiger Planet) aus Pisa vom Juni 2004. Es liefert eine umfassende Darstellung der aktuellen Positionen des „l’ernesto“-Bereiches sowohl was die Kritik am offiziellen Kurs als auch was seine Gegenvorschläge anbelangt, ist allerdings auch deshalb sehr interessant, weil es zum ersten Mal detaillierter auf die Politik des Bereiches um die Zeitschrift „Progetto Comunista“ eingeht, die auf dem letzten Parteitag 10% erhielt (und damit 7% verlor) und offiziell als die „PRC-Linke“ firmiert. Üblicherweise werden solche „Konkurrenten“ in Italien stillschweigend übergangen oder bestenfalls indirekt und verklausuliert erwähnt.

 

Interview mit Claudio Grassi

(vom nationalen Sekretariat des PRC)

 

Wir haben dem Genossen Claudio Grassi (Nationales Sekretariat des PRC und Bereich um die Zeitschrift „l’ernesto“) einige kritische Fragen gestellt, um den Versuch zu unternehmen, besser zu verstehen, was gegenwärtig in Rifondazione Comunista vor sich geht und einige zusätzliche Elemente zur Beurteilung der verschiedenen Fraktionen der Kommunisten in Italien zu liefern.

 

Frage: Bewegung, Gewaltfreiheit, Überwindung des Kommunismus des 20.Jahrhunderts, Regierungsabkommen mit dem Olivenbaum-Bündnis: Wie ist Deine Einschätzung der Veränderungen der Linie des PRC ?  Glaubst Du nicht, dass dieser Gesinnungswandel in Sachen Regierungsabkommen zu einer weiteren Abweichung des PRC anstatt zu einem wirklichen Engagement für die kommunistische Neu(be)gründung führt ?

 

Antwort: „Sicher, der Linienschwenk des vergangenen Sommers ist – ein bisschen so wie die anderen – geschehen, ohne dass man vorher in der Partei darüber diskutiert hätte. Wir haben den Zeitungen entnommen, dass man letztendlich das vertrat, was wir seit langem (auch in der Parteitagsdebatte) behauptet hatten und zwar, dass die Bewegung mit Sicherheit wichtig ist, eine politische Partei sich aber auch dem Problem des Verhältnisses zu den anderen politischen Kräften stellen muss und dass es in diesem Land in jedem Fall ein entscheidendes Problem gibt, das Berlusconi heißt.

Wir wurden für diese unsere Einschätzungen kritisiert. Es begann eine große Polemik über den alleantismo (Hang zur Bündnisbildung) und den frontismo (Hang zur Frontbildung). Man sagte uns, dass die Bewegung alles gelöst habe. Das ging soweit, dass man im Parteitagsdokument von einer vorrevolutionären Situation sprach.

Nun ist das Problem umgekippt. Wir befinden uns in einer Situation, in der die Notwendigkeit, einen politischen Kampf gegen Berlusconi in den Mittelpunkt zu stellen, sich in die unmittelbare Suche nach einem Regierungsbündnis niederschlägt und auch das ist meiner Ansicht nach ein Fehler.

Ich glaube nicht, dass es richtig ist, die Frage in dieser Form zu stellen. Sicherlich muss sich Rifondazione Comunista dem Problem stellen, einen Beitrag dazu zu leisten, Berlusconi zu verjagen. Wenn sich Rifondazione Comunista gegenüber der Niederlage der Regierung und der Rechten gleichgültig zeigen würde, würde sie bei den Wahlen dafür hart bestraft. Es ist aber eine Sache, dies zu sagen. Etwas Anderes ist es zu sagen, dass – da Rifondazione Comunista Berlusconi verjagen will, es mit den Kräften des Olivenbaum-Bündnisses ein Regierungsabkommen abschließen muss, um dies zu tun. Hier gibt es einen logischen Sprung, der nicht begründet und der unproduktiv ist: Wenn Du von vornherein sagst, dass Du ein Regierungsabkommen abschließen willst, hast Du null Verhandlungsmacht.“

 

Du aber würdest erneut ein Fernbleibe-Abkommen <accordo di desistenza = Vereinbarung darüber, wer in welchen Direktwahlkreisen nicht antritt> wie 1996 vorschlagen ?

 

„Ich wiederhole es: Heute ist es falsch, es für ausgemacht zu erklären, dass man ein Regierungsabkommen abschließen wird. Wenn ich darüber hinaus eine politische Prognose abgeben soll, so halte ich dieses Ergebnis für schwer erreichbar.

In einer Situation wie dieser ist – wenn sich die programmatischen Orientierungen der anderen Kräfte der Mitte-Linken nicht ändern – nicht an ein organisches Abkommen zu denken. Ihr werdet alle Prodis Manifest gelesen haben, das sich zum humanitären Krieg im Kosovo bekennt. Ihr wisst, dass Giuliano Amato damit beauftragt wurde, das Programm der zukünftigen Mitte-Links-Regierung zu verfassen. Ihr habt <den Parteipräsidenten der Linksdemokraten und vorletzten mitte-linken Ministerpräsidenten Italiens> D’Alema gehört, der erklärt, dass man mit Rifondazione Comunista ein Abkommen abschließen muss, gleichzeitig aber die Meinung vertritt, die Außenpolitik sei mit Rifondazione Comunista nicht verhandelbar. Wie kann ich auf der Grundlage derartiger Vorbedingungen daran denken, mit diesen Kräften zusammen zu regieren ?“

 

Aber warum sich dann nicht auf die Schaffung eines antikapitalistischen Pols konzentrieren ?  Oder meinst Du, dass das Abkommen mit der Mitte-Linken in jedem Fall strategisch ist ?

 

„Ich glaube, dass man auf eine andere Art anfangen muss: Nach den <Kommunal- und Europa-> Wahlen muss innerhalb von Rifondazione Comunista eine Debatte begonnen werden, um eine inhaltliche Offensive zu starten. Welches sind die programmatischen Inhalte, mit denen wir ein eventuelles Bündnis aufzubauen gedenken, um die Rechte zu schlagen ?  Und was sind die unerlässlichen Minimalbedingungen, die wir für ausschlaggebend halten, um ein Bündnis zu akzeptieren oder nicht, um festzustellen, ob jenes Bündnis akzeptabel ist oder nicht ?  Darüber vor allem müssen wir diskutieren, während das heute eine vollständig verdrängte Frage ist.

Wir laufen Gefahr von einer Position zur anderen zu schwanken. Deshalb wechseln wir unversehens von einer Position, die alles auf die Radikalität der Bewegung setzt, zum extremen Gegenteil, zur Entscheidung in die Regierung Prodi einzutreten, mit der man `98 als Konsequenz der Tatsache, dass keine unserer Forderungen übernommen wurde (Erhöhung der Mindestrenten und Reduzierung der Arbeitszeit) gebrochen hat. Diejenigen, die es vergessen haben, erinnere ich daran, dass wir im Kongressdokument geschrieben haben, dass die Entscheidung aus der Parlamentsmehrheit auszuscheiden, die Prodi unterstützte, der erste wirkliche Akt von Rifondazione Comunista gewesen sei.

Was diese Überlegung anbelangt schließt sich der Kreis nicht. Also sage ich voraus, dass es über diesen Punkt eine Diskussion unter uns gibt, im Lichte derer sich herausstellen wird, wer in der Partei links, mitte oder rechts ist. Eine Diskussion zwischen denjenigen, die die inhaltlichen Fragen an die erste Stelle setzen und denjenigen, die stattdessen der Meinung sind, dass man Bündnisse auf ganz skrupellose Weise eingehen kann.“

 

Was ist der substanzielle Unterschied zwischen dem was Bertinotti vorschlägt und Eurer Position als Bereich um die Zeitschrift „l’ernesto“ ?

 

„Das Entweder-Oder ist nicht akzeptabel. Entweder tut man nichts oder man schließt das Regierungsabkommen ab. Aber wer sagt das ?  Die Indische Kommunistische Partei (CPI) hat <der Vorsitzenden der Kongresspartei> Sonja Gandhi Bedingungen gestellt, eine Abkehr von der Politik einzuleiten, die auch die Kongresspartei betrieben, d.h. von derjenigen, die in den letzten 10 bis 15 Jahren stattgefunden hat. Die indische KP hat Sonja Gandhis Kandidatur unterstützt, war aber nicht bereit in die Regierung einzutreten. Allenfalls erwägt sie die Möglichkeit einer Unterstützung von außen. Warum kann das nicht ein anderer <gangbarer> Weg sein ? Darüber müssen wir diskutieren.

Bezüglich dieser Frage gibt es – was uns anbelangt – einen Punkt, an dem wir uns von Ferrando unterscheiden: Ich glaube nicht, dass es für unsere Partei von einem politischen Gesichtspunkt aus richtig wäre, ein Abkommen a priori auszuschließen, d.h. nicht einmal eine Diskussion zu beginnen, um Übereinstimmungspunkte mit den anderen Kräften der Mitte-Linken zu finden. Zumindest von einem taktischen Gesichtspunkt aus ist das eine Linie, die sich nicht auszahlt, weil man sofort mit dem Image desjenigen versehen wird, der dieser Situation gleichgültig gegenübersteht.

Es ist eine Sache, ob Du sofort sagst, dass Du kein Abkommen willst, eine andere Sache ist es, ob Du guten Willen zeigst, um dazu beizutragen, auch wenn es sich dann, aufgrund der Unnachgiebigkeit der Anderen gegenüber einigen von unseren Inhalten, als nicht realisierbar herausstellt.

Das ist zugleich eine Frage der Form und der Substanz. Ich sage es noch einmal: Bezüglich dieser Regierungsgeschichte wird innerhalb von Rifondazione Comunista eine schöne Diskussion beginnen. Das war bereits in der Parteitagsdebatte so. Weil, wie man in den letzten Monaten gesehen hat, die Mehrheit der Mehrheit diesen Aspekt immer hervorheben wollte: dass es notwendig ist, ein Abkommen zu schließen, das Regierungsgültigkeit besitzt.“

 

Aber können, gerade nach der Erfahrung mit den Olivenbaum-Regierungen <von 1996 – 2001> noch Bedingungen für ein Abkommen mit dem neoliberalen Reformismus existieren ?  Im Grunde hat Prodi eine äußerst gravierende Haushaltspolitik für Europa <d.h. zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien> gemacht und mit dem Treu-Paket <d.h. ihren liberalen Arbeitsmarktreformen> dem Gesetz Nr. 30 / 2003 (Biagi-Gesetz) die Tür geöffnet und Amato <ex-PSI>

 

„Es gibt gegenüber `98 ein neues Element. Was das anbelangt sagt Bertinotti etwas Richtiges. 1998 waren wir es allein, die bestimmte Kämpfe unterstützten. Es gab innerhalb des Olivenbaum-Bündnisses andere Positionen, aber niemand machte den Mund auf. Heute ist die Lage ein bisschen anders: Es gibt Rifondazione Comunista, aber es gibt auch eine Komponente innerhalb des Olivenbaum-Bündnisses, die jedoch mit dem Triciclo <= Dreirad = Zusammenschluss von DS, SDI und Margerite, die ca. 80% des Olivenbaum-Bündnisses ausmachen> angehört und in einer Reihe von Fragen öfter mit Rifondazione Comunista als mit dem Triciclo zusammen abstimmt. Und außerdem sind in der Gesellschaft Bewegungen herangewachsen (die Friedens-, die no global- und vor allem die Arbeiterbewegung), die es `98 nicht gab.

Warum beginnen wir keine Diskussion am Runden Tisch mit diesen politischen, sozialen und Kräften der Bewegung, mit dem Ziel, ein von Allen geteiltes Programm zu erarbeiten ?  PRC, DS-Linke, Grüne, PdCI, FIOM, Basisgewerkschaften und Bewegungen: Diskutieren wir, welches unser Programm wäre, um die Rechten zu schlagen. Und schreiben wir es !  Dann gehen wir zum anderen Teil des Olivenbaum-Bündnisses, zum Triciclo und starten eine Offensive, indem wir sagen, dass es – wenn man zu keinem Abkommen findet – es ihnen allein nicht gelingen wird, Berlusconi zu verjagen. Wir von Rifondazione Comunista sind es, die eine Offensive starten müssen. Wer soll es sonst machen ? Wenn wir nicht damit anfangen, wo wir der am weitesten links stehende Teil sind, wer soll es dann tun ?

 

Das gilt auch für die Abkommen mit der Mitte-Linken auf lokaler Ebene. Die Überlegung ist ganz einfach: Abkommen schließt man dann, wenn die programmatischen Bedingungen gegeben sind, um sie einzugehen. Wenn die Inhalte vorhanden sind, für die es die Mühe wert ist, Übereinkünfte zu finden. Wir sind nicht gegen Übereinkünfte. Die Kommunisten sind niemals gegen Übereinkünfte gewesen. Die sind positiv, wenn sie den Schichten dienen, die wir vertreten wollen. Aber gerade deshalb: Wenn bestimmte Minimalbedingungen nicht gegeben sind, schließt man keine Abkommen. Ich bin dagegen zu sagen: ‚Entweder niemals oder immer!’ Gewiss, man muss auch ein Gefühl für das Maß haben. Wenn Du eine 5%-Partei bist, kannst Du nicht alles fordern. Bleibt der Umstand, dass man Deine Handschrift bei einigen ausschlaggebenden Punkten, wie dem Schutz der öffentlichen Dienste, dem Privatisierungsstopp und der Beseitigung der Kommunalen Immobiliensteuer (ICI) erkennen muss.“

 

Wäre dieser Kampf nicht stärker, wenn sich alle parteiinternen Oppositionen, die gegen die „Hyper-Regierungsfähigkeits“-Wende von Bertinotti sind, zusammenschließen würden ?

 

„Wir betrachten uns innerhalb von Rifondazione Comunista nicht als eine Minderheit, sondern als einen Bereich, der daran arbeitet, die Linie der Partei zu verändern, um einen Linienschwenk herbeizuführen und zur Mehrheit zu werden. Wenn nicht allein, dann zusammen mit Anderen. Die grundlegende Sache, die uns vom Genossen Ferrando unterscheidet ist, dass wir daran arbeiten, die Linie von Rifondazione Comunista zu ändern und nicht die organisierte Minderheit zu bilden. Außerdem repräsentiert der Genosse Ferrando in Italien eine internationale Organisation trotzkistischer Prägung <die International Trotzkist Opposition (ITO) für die revolutionäre Neubegründung der IV.Internationale>. Ihr politisches Projekt ist definiert und wird dort beschlossen.

Schließlich zur Perspektive: Ich verstehe die Genossen, die einen intensiveren Kampf möchten, aber es muss uns gelingen, zwei Erfordernisse zusammenzuhalten. Einerseits Sichtbarkeit und Radikalität – andererseits Dialog und Zusammenarbeit innerhalb der Partei mit denen, die andere Positionen vertreten als wir, aber die Partei und ihre Einheit als essentiell betrachten. Das heißt mit denjenigen, die – auch wenn sie die letzten Beschlüsse für diskussionswürdig oder falsch halten – aus dieser Bewertung keine Entscheidung für ein parteiinternes Lager ableiten. Wir dürfen niemals müde werden, mit diesen Genossen zu diskutieren, da eine Arbeit zur Erlangung der Hegemonie in der Partei über ein immer engeres Verhältnis zu ihnen führt.“

 

19. Mai 2004

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover