Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
innerparteiliche Debatte im Vorfeld des 6.Parteitages von Rifondazione
Comunista (PRC) im März 2005 in Venedig nahm Paolo Grassi zum Anlass sich
Gedanken über die Strategie im Kampf gegen prekäre Beschäftigung und prekäre
Einkommensverhältnisse zu machen. Paolo Grassi ist – als Vertreter der linken
Opposition – Mitglied des Vorstandes der von der größten Gewerkschaftszentrale
CGIL für die prekär Beschäftigten geschaffenen Kategoriegewerkschaft NIDIL
(Nuove Identità di Lavoro = Neue Arbeitsidentitäten). Die NIDIL zählte 2003
(neuere Zahlen liegen noch nicht vor) offiziell 16.762 Mitglieder. Das
bedeutete, bezogen auf das Vorjahr, zwar eine Steigerung um 17% (bei einem
Zuwachs der erwerbstätigen CGIL-Mitgliedschaft insgesamt von 1,6%), macht
jedoch nach wie vor nur einen Bruchteil der 2,5 Millionen berufstätigen
CGIL-Mitgliedern aus (hinzu kommen 2.974.967 CGIL-Rentner, was eine
Gesamtmitgliedschaft der CGIL von 5,515 Millionen ergibt). Auch verglichen mit
der Verbreitung prekärer Beschäftigung in Italien sind diese Zahlen nicht
berauschend. Allein das Sklavenhändlerunternehmen Adecco Italia vermittelte im
3.Quartal 2004 nach eigenen Angaben 215.000 Arbeitskräfte (+ 8%) und erhielt
Anfragen von 15.000 Unternehmen, die Leiharbeiter mieten wollten.
Innerhalb
von Rifondazione gehört Grassi zum kleineren Teil des explizit linken
Parteiflügels, d.h. der Gruppe um die Zeitung „Falce Martello“ (Hammer &
Sichel), die wiederum der von Ted Grant und Alan Woods geführten
trotzkistischen Strömung International Marxist Tendency angehört. (In der BRD
und Österreich: „der Funke“.)
Paolo
Grassis Diskussionsbeitrag erschien in der von Rifondazione Comunista
herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ vom 18.2.2005.
Wie den Kampf gegen die Prekarität
führen ?
Das Problem der
Zersplitterung der Arbeiterklasse ist häufig Gegenstand der innerparteilichen
Debatte. Da bildet dieser Parteitag keine Ausnahme.
Es gibt mehr als 6 Millionen
prekär Beschäftigte in Italien. Dies reduziert nach Ansicht vieler Genossen die
Konfliktbereitschaft und macht es unmöglich, jene Kämpfe zu organisieren, die
es in der Vergangenheit erlaubten, große Errungenschaften zu erreichen. Ich
habe erlebt, wie diese Argumente sowohl von denjenigen benutzt wurden, die eine
regierungsorientierte Linie vorschlagen als auch von denjenigen, die sich ihr
widersetzen.
Heute bieten sie Dir, wenn
Du das Glück hast, eine Beschäftigung zu finden, eine Leiharbeit, eine Arbeit
als Scheinselbständiger, eine projektbezogene Beschäftigung oder befristete
Arbeitsverträge an. Das betrifft nicht nur die Jungen, sondern auch viele
Arbeiter, die mit 40 oder 50 Jahren den Arbeitsplatz verlieren und vor allem
die Frauen, die, wenn sie das „Pech“ haben, Mutter zu sein, von jeder
Möglichkeit ausgeschlossen sind, eine würdige Beschäftigung zu finden.
Es ist <hier> nicht genug Raum vorhanden, um daran zu erinnern,
wie wir dahin gekommen sind und vor allem an die Verantwortung unserer Partei
nicht nur wegen der Unterstützung des Treu-Paketes <Anm.1> (das dem Gesetz Nr. 30 / 2003 den Weg ebnete),
sondern auch wegen der Trägheit unserer Funktionäre in der Gewerkschaft.
Einige hochtrabende
Erklärungen über die Bedeutung des Kampfes gegen die prekäre Beschäftigung und
Lebenssituation auf unseren Veranstaltungen genügen nicht, wenn man bei den
Entscheidungen, die die Partei in jedem Bereich treffen muss, nicht konsequent
ist.
Die Prekarisierung, die sich
in der gesamten Gesellschaft ausbreitet, zeigt bis zu welchem Punkt der
Kapitalismus unfähig ist, Millionen von Arbeitern eine würdige Zukunft zu
bieten.
Dieses Terrain ist im Kampf
der Kommunisten um die Hegemonie entscheidend.
Die prekär Beschäftigten und
Hyperausgebeuteten, die sich an die Gewerkschaft wenden, machen den ersten
wichtigen Schritt. In dem Maße aber, in dem die Gewerkschaftsspitzen nicht
bereit sind, mit den sozialpartnerschaftlichen Logiken zu brechen (und das um
so mehr in einer Krisenperiode, wie der gegenwärtigen), wird <ihnen> keinerlei Kampfperspektive geboten. Im Gegenteil,
die Gewerkschaft zügelt die Mobilisierungen und schränkt sie ein. Aus meiner
aktiven Erfahrung in der NIDIL-CGIL wird deutlich, wie die
Kategoriegewerkschaft, die die prekär Beschäftigten organisieren sollte, sich
systematisch darum bemüht, Lösungen auszuhandeln, die mit den Unternehmerforderungen
vereinbar sind, statt angemessene Mittel anzubieten, um die Rechte mit Hilfe
des Kampfes durchzusetzen.
Jenseits der von einzelnen
Aktiven geleisteten umfangreichen Arbeit fehlt eine kontinuierliche und
koordinierte Intervention der Partei in dieser und in anderen Berufsgruppen
völlig. Unsere Funktionäre in der Gewerkschaft sind immer zu sehr mit dem Kampf
um die Erringung von Posten in den Vorständen (Sekretariaten) beschäftigt und
enden damit, dass sie sich anpassen und die sozialpartnerschaftliche Politik
akzeptieren und <mit> betreiben.
Auf der nationalen
Organisationskonferenz der NIDIL-CGIL im vergangenen Herbst
<27./28.10.2004> haben die Genossen der Gewerkschaftslinken das
Schlussdokument der Mehrheit unterstützt, das eine wirkliche und wahrhaftige
Lobeshymne auf die Mäßigung und die Sozialpartnerschaft ist. Wiedereinmal
(genau wie auf der Nationalen Versammlung der <CGIL-Metallarbeitergewerkschaft> FIOM) waren die Genossen des 5.Dokumentes <d.h. des Leitantrages der „Falce
Martello“-Gruppe> die Einzigen,
die sich einem solchen Abdriften widersetzten.
Während man in der Partei
die x’te Unterschriftensammlung, z.B. in der Lombardei zum Sozialen Einkommen <d.h. der finanziellen
Grundsicherung für Alle>, einleitet
und die größten Energien der Genossen darauf verwendet, die alternative Parade
zum 1.Mai <den May
Day mit den Basisgewerkschaften, Disobbedienti etc.> zu organisieren, sorgt sich die
Gewerkschaftsbürokratie (auch die mit kommunistischem Parteiausweis) darum,
eine eiserne Kontrolle über diese Arbeiter aufrechtzuerhalten.
Das alles, während es unter
den prekär Beschäftigten eine große Bereitschaft zum Kampf gibt, die es
verdienen würde, organisiert zu werden. Unsere Aufgabe als Kommunisten sollte
es sein, uns in der ersten Reihe daran zu beteiligen und jede
Auseinandersetzung, jede Forderung (auch Teilforderung), die in den Arbeitsstätten
entsteht und die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zu einer
Weiterentwicklung des kollektiven Bewusstseins führen kann, zu unterstützen.
Wir müssen den Kampf um die
Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen mit der Notwendigkeit einer
radikalen Transformation des ökonomischen Systems verbinden und das Schielen
auf die Vereinbarkeit mit dem Kapitalismus beenden.
Nur wenn wir uns bei der
Verteidigung der prekär Beschäftigten als die Entschiedensten erweisen, werden
wir in Zukunft die erneute Geschlossenheit der Klasse erreichen, von der wir
soviel reden.
Paolo Grassi
(Mitglied der Nationalen
Koordination der NIDIL-CGIL)
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
Anmerkung
1:
Das
Gesetz 196 vom 24. Juni 1997, das nach dem damaligen linkschristdemokratischen
Arbeitsminister benannte "Treu-Paket", legt wichtige Maßnahmen
zur Förderung der Beschäftigung fest. Diese umfassen Zeitarbeit, neue
Verordnungen über gesellschaftlich nützliche Arbeit und die Beauftragung
öffentlicher Versorgungseinrichtungen in Süditalien unter Bereitstellung von
Zuschüssen, jugendlichen Arbeitslosen zu helfen, in der Arbeitswelt Fuß zu
fassen. Der Rechtsprofessor und heutige Senator des Mitte-Links-Bündnisses,
Tiziano Treu (65 Jahre und Venezianer), verfügt im übrigen über sehr enge
Beziehungen zur zweitgrößten italienischen Gewerkschaftszentrale CISL und ist –
seiner Arbeitsmarktpolitik zum Trotz – auch bei führenden DGB-Funktionären sehr
beliebt.
Das
Gesetz, das im Januar 1998 mit der Verabschiedung diesbezüglicher Ministererlasse
in Kraft trat ist, sieht desweiteren umfassende Neuerungen auf dem Gebiet der Berufsbildung
vor. Staatliche Behörden können Ausbildungs- und Arbeitsverträge abschließen.
Außerdem sind Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt, ein Jahr
lang einen niedrigeren Lohn zahlen, wenn nach der zweijährigen Laufzeit des
Vertrages eine feste Anstellung geboten wird. Das Mindest- bzw. Höchstalter der
„Lehrlinge“ wurde auf 16 bzw. 24 Jahre (in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit
auf 26 Jahre) angehoben. Die Dauer dieser sog. „Lehrlingsausbildung“, die
oftmals nichts anderes als normale Beschäftigung mit prekärer Entlohnung ist,
beträgt 18 Monate bis vier Jahre.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover