Antifa-AG der Uni
Hannover:
Der
linke römische Radiosender Radio Città Aperta (Radio Offene Stadt) fragte den
Kopf der größten der vier linken Oppositionsströmungen innerhalb von
Rifondazione Comunista (PRC), Claudio Grassi (49), nach seiner
Einschätzung der herben Niederlage von Berlusconis regierender Rechts-Koalition
bei den Kommunal- und Regionalwahlen vom 3./4.April 2005 und zum Abschneiden
von Rifondazione. Die von Grassi vertretene, eher traditionalistische, Strömung
um die Zeitschrift „l’Ernesto“ (www.lernesto.it)
erhielt auf den Basisversammlungen im Vorfeld des 6.PRC-Parteitages Anfang März
2005 für ihren Leitantrag (mozione 2) 13.409 Stimmen. Das waren 26,4% der
50.860 Mitglieder von Rifondazione, die ihre Stimme abgaben. (Die Beteiligung
betrug 52,4%.)
Radio
Città Aperta
ist in Rom und der Region Lazio auf 88,900 Mhz zu hören und findet sich im
Internet unter www.radiocittaperta.it/
Das
Interview fand am 6.4.2005 statt.
Interview
von Radio Città Aperta mit Claudio Grassi
…zu den Ergebnissen der
Regionalwahlen
Wir möchten Dich um eine
Einschätzung der Wahlergebnisse und insbesondere dem von Deiner Partei – Rifondazione
Comunista – erzielten, bitten.
„Mir scheint, dass eine
erste Einschätzung des Gesamtergebnisses ziemlich einfach und
unmissverständlich ist. Wir stehen vor einem bedeutenden Erfolg des
Mitte-Links-Bündnisses und vor einer Niederlage Berlusconis und seiner
Regierung. Es handelt sich um Regionalwahlen, aber da sie in ihrem Ergebnis auf
dem gesamten nationalen Territorium so homogen sind, verfügen sie objektiv über
eine <allgemein-> politische Bedeutung.“
Meinst Du, dass es der
Sache angemessen oder eine Übertreibung ist, von einem Referendum über
Berlusconi bei diesen Wahlen zu sprechen ?
„Es stimmt, dass die
Parlamentswahlen etwas anderes sind, worauf heute auch viele Analytiker aufmerksam
machen (angefangen bei <dem
bekannten linksliberalen Wahlforscher>
Mannheimer). Das bedeutet, dass es Berlusconi gelingt, eine politische
Initiative auf die Beine zu stellen, die im Bereich von Regional- und
Kommunalwahlen mehr Schwierigkeiten hat als sie Resonanz erzielt. Es besteht
aber kein Zweifel, dass dieses Ergebnis den niedrigsten Punkt der Stimmenzahl
und der Popularität der Regierung und von Berlusconi selbst markiert.“
Man muss jedoch sagen,
dass die Regierungskoalition jedes Mal, wenn es nach dem Sieg von 2001 Wahlen gab
(sowohl auf lokaler Ebene als auch bei den Nachwahlen zur Abgeordnetenkammer
und zum Senat oder bei den Europawahlen) verloren hat.
„Es ist richtig, wie auch
Berlusconi sagt, dass die Wahlen zur Mitte des Mandats denjenigen bestrafen,
der regiert, und die Opposition gewöhnlich begünstigen. Das ist auch Schröder
in Deutschland bei den Wahlen in den verschiedenen Bundesländern passiert. Dies
angemerkt, waren die Größenordnungen des Verlustes des Casa delle Libertà
(Haus der Freiheiten <=
Berlusconis Koalition>) und der
Erfolg der Mitte-Links-Kräfte am 3.+4.April allerdings derart bemerkenswert,
dass sie mit den vorangegangenen, zuvor von Dir genannten, nicht zu vergleichen
sind.“
Ist es eine Niederlage
der Person Berlusconi (des politischen leaders) oder ist auch das
Berlusconi-Modell und die Existenz eines sozialen Blocks besiegt worden, der
die eigenen materiellen Interessen in der gegenwärtigen Regierung wieder
erkennt ?
„Ich glaube, dass es sowohl
der Zusammenbruch seiner Popularität ist (der Berlusconi von heute ist auch mit
dem von vor 10 Jahren oder sagen mit dem von vor 5 Jahren nicht mehr zu
vergleichen) und zwar infolge der zweifellos negativen Resultate nicht nur für
die Werktätigen und die schwächeren sozialen Schichten, sondern auch für die
Wirtschaft des Landes insgesamt. Und alles zusammengenommen glaube ich, dass
dies, wenn nicht eine Krise seines sozialen Blocks, dann doch mit Sicherheit
die Vermehrung bedeutender Widersprüche bewirkt hat. Auch die Neupositionierung
der <Industriellenvereinigung> Confindustria, die sich sehr von der vor einigen
Jahren unterscheidet, sagt viel über das Zerbröckeln eines sozialen Blockes
aus, der in den vergangenen Jahren auf ihn gesetzt hatte.“
Das Ergebnis in Apulien
ist, von diesem Gesichtspunkt aus, sicherlich Aufsehen erregend.
„Der Sieg unseres Genossen
Nichi Vendola in Apulien ist äußerst bedeutend. Nicht nur, weil es schwierig
war, zu gewinnen, wenn man den Stimmenabstand betrachtet, sondern auch weil ein
kommunistischer Kandidat gegen die Rechte stand, der – im Gegensatz zu dem, was
in der Mitte-Linken immer behauptet wurde – nicht nur nicht zur ‚Flucht’ der
moderaten Wählerstimmen geführt, sondern Teile der Gesellschaft zur
Wahlbeteiligung motiviert hat, die für den Sieg entscheidend waren.“
Das Wahlergebnis von
Rifondazione Comunista löst Diskussionen aus: <Die Chefredakteurin der
Parteizeitung „Liberazione“>
Rina Gagliardi widmet dem heute einen Artikel und auch Du unterscheidest in
einer Presseerklärung zwischen einer allgemeinen Beurteilung der Wahlen und der
Beurteilung des Gesamtergebnisses Deiner Partei, das man nicht zufrieden
stellend nennen könne.
„Mir scheint, dass auch die <für gewöhnlich voll auf der
Linie der Parteiführung liegende>
Gagliardi anerkennt, dass das Ergebnis der Partei nicht das ist, was man sich
erwartet hat. Es ist ein nicht zufrieden stellendes Resultat und das wird, wie
mir scheint, von allen anerkannt. Wir liegen gerade so eben über den
vorangegangenen Regionalwahlen von 2000. Ich möchte allerdings, dass man nicht
vergisst – um bei einem Thema zu bleiben, das den Genossen der Mehrheit des PRC
sehr teuer ist – dass die Regionalwahlen von 2000 in einer anderen historischen
Epoche stattfanden, weil sie vor Beginn des Aufschwungs der Bewegungen in
Italien, vor <den
Anti-G8-Protesten im Juli 2001 in>
Genua, vor der großen Friedensbewegung und vor dem Wiederaufleben der sozialen
Auseinandersetzung stattfanden. Es handelte sich also um eine andere
politisch-soziale Phase des Landes. Ich glaube, dass der Vergleich mit den
näher liegenden Wahlen erfolgen muss, insbesondere mit den Europawahlen von
2004.“
Wenn wir jedoch den
Vergleich zu den Europawahlen ziehen, ist das Resultat schwerwiegend … und zwar
in dem Sinne, dass der Verlust für den PRC beträchtlich ist.
„Schau’, wenn das allein der
Hauptaspekt wäre, wäre es nicht einmal so negativ, weil wir einen Rückgang um
0,6 – 0,7%% erleben und wir haben bei den Kommunal- und Regionalwahlen immer
ein weniger brillantes Ergebnis erzielt als bei den Europa- und
Parlamentswahlen. Das Element, das mir mehr Sorgen bereitet, betrifft die
Tatsache, dass in diesem Wahlkampf alle Kräfte der Mitte-Linken, verglichen mit
den Europawahlen zulegen und nur Rifondazione Comunista einen Rückgang
verzeichnet. Das ist der Punkt: Man verzeichnet in der Gesellschaft eine
Verschiebung der Wählerschaft nach links, die Rifondazione nicht auffängt. Das
scheint mir das politische Element zu sein, dass man untersuchen muss, auch
weil es nach einer Periode kommt, in der Rifondazione über das Höchstmaß an
politisch-medialer Aufmerksamkeit verfügte.“
Leider wird im Bereich
des mitte-linken Lagers wieder einmal sehr stark die gemäßigte Komponente mit
Reformeransatz belohnt – zum Beleg, dass die Analyse der Mehrheit von
Rifondazione, die den gesamten Ansatz der gegenwärtigen politischen Linie
stützt (d.h. dass man in die Regierung gehen muss, weil sich die Wählerschaft
der Mitte-Linken nach links verschoben hat) bei diesen Wahlen leider keine
Bestätigung erfährt, ja darin leider sogar einen Gegenbeweis gefunden hat.
„Genau, es legen nämlich die
<Prodi-nahe
liberal-christdemokratische> Margerite
und Mastellas UDEUR <eine
vor allem in Süditalien starke klientelistische und teilweise korrupte
christdemokratische Partei> zu. Die
Wahrheit ist, dass der wahre Sieger dieser Wahlen die Liste Uniti nell’Ulivo
(Vereint im Olivenbaum) <Anm.1> ist.“
Rom, 6.April 2005
Anmerkung
1:
Uniti
nell’Ulivo vereint
das christdemokratisch-liberale Unterbündnis Margerite und die Linksdemokraten
(DS), d.h. den ehemaligen rechten Mehrheitsflügel der 1990 aufgelösten
italienischen KP, der immer stärker in die Neue Mitte tendiert. Diese Liaison
ist von ihren Schöpfern als Embryo einer neuen gemeinsamen „Reformerpartei“
nach Art der US-Demokraten gedacht.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover