Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Das folgende Interview mit einem (linken) Leitungsmitglied der britischen
Transportarbeitergewerkschaft RMT am Vorabend des Streikes bei der Londoner
U-Bahn führte die Tageszeitung von Rifondazione Comunista, “Liberazione”.
Es erschien in der Ausgabe vom 18.7.2002.
Interview mit Alex Gordon von der National Union of Rail, Maritime
& Transport Workers (RMT) und Führer des Kampfes bei der U-Bahn.
“Und nun ist der Transportsektor
an der Reihe”
London - Unser Korrespondent Guy Fawkes
Wir sprechen, wenige Stunden vor dem 24stündigen Streik der Beschäftigten
der Londoner U-Bahn, die seiner Gewerkschaft angehören, per Telefon
mit Alex Gordon von der National Union of Rail, Maritime & Transport
Workers (der Gewerkschaft der Seeleute und der Eisenbahner; Anm.d.Red.).
Alex Gordon hat an der Initiative von Bagnoli, “Europa ist in Bewegung” am
5.Mai 2002 zusammen mit anderen europäischen Gewerkschaftern und dem
Sekretär des PRC, Fausto Bertinotti, teilgenommen.
Warum dieser Streik ?
“Die RMT hat sich an die Regierung gewandt, um zu fordern, daß dem
Problem der Sicherheit Aufmerksamkeit geschenkt wird. Das Projekt der Privatisierung
der U-Bahn von London gibt keinerlei Garantie in dieser Richtung. Leider
ist die Antwort der Regierung in keiner Weise befriedigend gewesen. Wir sind
weiterhin besorgt wegen der Sicherheit der U-Bahn-Beschäftigten und
der Passagiere.”
Welche Art von Streikbeteiligung erwartet Ihr ?
“Eine sehr hohe. Unsere Organisation zählt 9 000 Mitglieder. 9 von 10
Mitgliedern haben sich für den Streik ausgesprochen. Ermutigende Signale
kommen auch von der anderen Transportgewerkschaft - der ASLEF - deren Mitglieder
nicht die Absicht zu haben scheinen, die Reihe der Streikposten vor den Toren
zu durchqueren. <Von Streikpostenkette kann seit den Anti-Gewerkschaftsgesetzen
der Mrs. Thatcher keine Rede mehr sein, da nur noch jeweils 6 Streikposten
am Straßenrand - und nicht wie früher quer über die Straße
- gestattet sind.>
Wie wird der englische Pendler angesichts der Unannehmlichkeiten, die
der Streik unvermeidlich verursachen wird, Deiner Meinung nach reagieren
?
“Von den 3 000 vergangene Woche interviewten Leuten haben sich 88% für
die Initiative ausgesprochen. Noch überraschender ist die Zahl derjenigen,
die der Meinung sind, daß über die Ablehnung der Privatisierung
der Londoner U-Bahn (Metropolitan) hinaus auch die Renationalisierung der
Eisenbahn zu befürworten wäre. Es handelt sich um beachtliche 68%.”
Was hat das Experiment der Privatisierung der Eisenbahn gelehrt ?
“Wenn wir uns auf Blair und auf seine Regierung beziehen, nichts. Das gescheiterte
Eisenbahn-Experiment ist dem Premierminister keine Lehre gewesen. Ken Livingston
wurde <als halb-linker Labour-Rebell im Jahre 2000> zum Bürgermeister
von London gewählt, weil er ein klares ‚Nein‘ zur Privatisierung der
Metro in sein Programm aufgenommen hatte. Dennoch weicht die Regierung nicht
zurück. Die JARVIS, d.h. die private Gesellschaft, der die Leitung der
Eisenbahn anvertraut ist, hat bereits Kürzungen beim Personal sowie
bei den Sicherheitsmaßnahmen beschlossen - mit den katastrophalen Konsequenzen,
die allen vor Augen sind. Die letzte in der zeitlichen Reihenfolge war die
Tragödie von Potters Bar am 10.Mai. Das sind die Konsequenzen der Privatisierung.
Und es ist genau die JARVIS, der die Regierung einen großen Teil der
bei der Privatisierung der Metro vorgesehenen Verträge anvertrauen will.
Die Regierung hat vor, eine Reihe von Verträgen mit Privatgesellschaften
(darunter die JARVIS) in einem Gesamtwert von 16 Milliarden Pfund Sterling
für 30 Jahre zu unterschreiben. Bei den Parteitagen von 1997 und 1998
hat New Labour von der JARVIS beträchtliche Spenden und das Sponsoring
von privaten Abendessen erhalten, an denen Blair selbst teilgenommen hat.
Die Labour-Regierung ist entzückt von den Geschäftsleuten. Sie
nennt sie ‚Reichtumsschaffer‘, obwohl sie nichts anderes als Piraten, Kriminelle
und - mit ihrer Nachlässigkeit - Verantwortliche für die Leben
derjenigen sind, die zu Opfern der Tragödien auf den Gleisen geworden
sind. Leider ist die Privatisierung der öffentlichen Dienste nicht bloß
ein englisches Phänomen... Dasselbe geschieht derzeit in Frankreich
und in Italien. Wir glauben, daß dies die Konsequenz der Globalisierung
ist. Mit Besorgnis schauen wir auf das Datum 13.März 2003, an dem eine
Direktive der europäischen Gemeinschaft erlassen wird, die alle Mitgliedsstaaten
der Union dazu drängt, die Verwaltung der Eisenbahn-Infrastrukturen
von der Kontrolle der Züge zu trennen. Das ist exakt das, was hier in
England 1995 mit dem von der damaligen konservativen Regierung initiierten
Privatisierungsprogramm auf ‚dramatische Weise‘ geschehen ist. Es ist notwendig,
daß alle europäischen Gewerkschaften - vor allem diejenigen des
Transportsektors - sich vereinen, um gegen diese drohende Direktive zu protestieren.
Es ist notwendig, die Gier von Privatgesellschaften wie der JARVIS zu stoppen.
Wir glauben, daß das Europäische Sozialforum <der Anti-Globalisierungsbewegung>,
das in diesem Herbst in Florenz stattfinden wird, den angemessenen Ort darstellt,
um die Thematik der Zukunft des öffentlichen Transportes in Europa in
Angriff zu nehmen. Wir müssen die Privatisierung aufhalten und die Rechte
der Beschäftigten verteidigen, weil diese die Ersten sein werden, die
‚privatisiert‘ werden.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover